Das Gilgamesh-Epos und die Ilias kennen zahlreiche Akteure und verschlungene Handlungsstränge. Die Saga vom Ende des Ölzeitalters ist ähnlich verworren. Sie handelt von Irrtümern, Missverständnissen, eitlen Hoffnungen und gezielten Täuschungen. Die bisherige “individuelle Mobilität des Westens” wird wohl als erstes Opfer zu Grab getragen.
Eine erste Ahnung beschlich die tragischen Helden in den 1990ern, als ihnen ein Geologe namens Campbell inmitten einer langen Preis-Baisse vorhersagte, dass die Erzeugung des “schwarzen Golds”, auf dem ihre Lebensart beruhte, binnen nur zehn Jahren ein Maximum erreichen und danach langsam zurückgehen würde, etwa in The End of Cheap Oil (1998),
Der Kassandra-Rufer fand schnell Jünger, von denen freilich nur wenige so viel von Erdöl verstanden wie er selbst.
Den öffentlichkeitsbewussteren unter ihnen wurde schnell klar, wonach Journos suchten und was diese beruflich verwerten konnten – nämlich Aussagen ohne besondere Wenn und Aber, vorzugsweise über unmittelbar bevorstehendes Unheil (“das lesen die Leute am liebsten”).
Jedenfalls wollten die Medienleute Prophezeiungen sehen, deren (Nicht-)Eintreffen noch innerhalb der eigenen Berufslaufbahn mitverfolgt werden konnte.
Es war dies die Geburtsstunde des modernen Narrativs vom Fördermaximum, – nicht unbedingt wie Campbell seine Geschichte meinte, sondern wie die Öffentlichkeit sie verstehen wollte.
Zunächst schien sich die story selbst in ihrer vulgarisierten Version zu bewahrheiten.
Der Preis für ein Barrel kletterte von 40 Dollar 2004 auf zunächst 80 Dollar – um nach einem retracement im Sommer 2008 auf 145 Dollar hochzuschnellen: eine klassische Blase eben.
In diesen Monaten fand sich kaum ein Experte, der die Peakoil-Theorie ganz von der Hand weisen mochte.
Doch dann erschien “die Krise” auf der Bühne und der Ölpreis stürzte auf bis zu 32 Dollar ab, wie folgende mit US-Regierungsdaten erstellte Graphik zeigt:.
Spätestens seit damals gelten peakoilistas pauschal als “empirisch widerlegt”. Der Preisverfall 2014/15, der nicht in einer akuten Krisensituation stattfand, besiegelte dieses Verdikt nur noch.
Denn: Preisrückgänge in Zeiten der Knappheit widersprechen ökonomischen Lehrsätzen fundamental und gelten inner- und außerhalb der Wissenschaft als praktisch unmöglich.
Doch sind die PO-Verfechter von der Realität wirklich widerlegt worden?
Das ist diskussionswürdig – zumindest, was Vor-Denker wie Colin Campbell angeht.
Was genau behauptete der Brite 1998? Hier erneut Titel und Untertitel seines wohl berühmtesten Texts (eigene Hervorhebung):
Campbell sagte das nahe Fördermaximum bei konventionellem Öl voraus.
Konventionelles Öl
stammt aber
- weder aus kanadischen Ölsanden;
- noch quillt es aus texanischem Schiefergestein;
- es muss nicht von unter dem Meeresboden, womöglich unter hartleibigen Salzstöcken hervorgekitzelt werden.
- Und es ist auch kein in der Gasproduktion entstehendes Natural Gas Liquid (NGL). Schon gar nicht handelt es sich um Bioethanol.
(Auch) Gail Tverberg hat es sauber demonstriert:
dass sich die Erzeugung von unkonventionellem Öl seit 2008 vervierfacht hat (Figure 1), wie die wirkliche Produktionskurve nach Abzug des neu definierten Erdöls aussieht (= flach, “undulating plateau” – Figure 2) und wo die Steigerungsraten des zu “all liquids” oder “C&C” umgetauften schwarzen Safts wirklich herkommen – eben aus shale (oil), Erdgasflüssigkeiten (shale gas) und biofuels (Mais, Palmöl).
Ein – durchaus sachkundiger - Blogger mit dem Pseudonym Westexas – Jeffrey Brown – vertritt übrigens schon seit Jahren die Ansicht, dass das internationale Produktionswachstum der jüngsten Vergangenheit ausschließlich auf Beiprodukte wie Kondensate & Liquids zurückzuführen sei und dass es bei klassischem Öl selbst (“weniger als 45 Grad API”) seit 2005 kein Wachstum mehr gegeben habe – siehe zu dieser Problematik z.B. hier und hier und hier.
Der NGL-Boom geht heute übrigens ungebrochen weiter.
Allein die US-Produktion wird 2020 pro Tag fünf Millionen Barrel ausmachen – was eine enorme Menge ist, siehe z.B. hier. Die US-amerikanischen NGL sind primär eine Folge der schnell wachsenden Gas-Produktion.
Alles in allem scheint es sich um eine Neu- bzw. Umdefinition des Öls zu handeln, einen Etikettenschwindel, wenn man so will.
In der Tiefe der Details geht es um komplizierte technische (statistische) Fragen, die aus der Sicht des Markts möglicherweise gar nicht relevant sind, denn: Wen kümmert’s, aus welchen Prozessen Kohlenwasserstoffe stammen, solange aus ihnen Treibstoff gemacht werden kann, der in internen Verbrennungsmotoren Verwendung findet?
Kondensate und Gasflüssigkeiten seien die (neue) Realität, ein vollwertiges funktionelles Äquivalent von crude und ihre Klassifikation wäre lediglich etwas für nerds, könnte man behaupten –
wogegen wieder eine Menge eingewendet werden kann, etwa der geringere energy content von Kondensaten und Liquids, die Notwendigkeit, diese mit “schwerem” Öl zu verschneiden um Benzin überhaupt herstellen zu können, sowie – daraus resultierend – der miserable EROI, die Nettoenergie der so erzeugten fuels.
Campbell konnte das Konzept des Energy Return on Energy Investment vor 20 Jahren noch gar nicht kennen.
Er verließ sich auf ein “statistisches Konstrukt”, das Hubbert-Kurve genannt wird, einen Unterfall der schon lange bekannten Glocke der Normalverteilung.Die Hubbert curve dürfte sich – berücksichtigt man Obenstehendes – als erstaunlich akkurat herausstellen, was die geförderte Menge angeht.
Weder Hubbert noch Campbell war freilich bewusst, dass ein 1960 gefördertes Barrel eine ganz andere – größere – Menge Nettoenergie beinhaltet hat als ein heute gefördertes Fass. Das gilt wohl auch für konventionelles Öl.
Energiesenken & Co.
Die geringe – vielleicht sogar negative – Energieausbeute ist auch das Hauptproblem der folgend angeführten nicht-konventionellen Ölsorten. Sie lassen sich als Indizien dafür lesen, dass sich die Ära des Erdöls ihrem Ende zuneigt.
Es handelt sich um Sonderfälle, in denen enorme Energiekosten anfallen, bevor mit einer Förderung überhaupt begonnen werden kann.
Deepwater
Dieser Begriff ist Laien bisher nur durch einen Unfall im Golf von Mexiko bekannt, der als die vielleicht schwerste Umweltkatastrophe der Weltgeschichte gilt.
Für Öl-Profis bedeutet er Exploration/Förderung mittels schwimmender Plattformen, wobei ab Meeresboden heute manchmal mehr als tausend Meter gebohrt werden müssen.
Hier ein YT-Dokumentarfilmchen, das die basics dieser Förderung beschreibt (und das weiß Wikipedia dazu zu vermelden). Hier findet sich ein Non-technical Guide, eine selbstständige Publikation.
Ungeachtet der Frage, ob die auflaufenden monetären die wirklichen Kosten zur Gänze reflektieren, liegt auf der Hand, dass der Energieeinsatz für deepwater drilling extrem hoch ist.
So hoch, dass sich die Frage stellt, ob in den extremeren Fällen nicht mehr Energie aufgewendet als produziert wird.
Nein, sagten Analysten anhand von Daten aus dem Jahr 2009 rückblickend: die Nettoenergie im Golf von Mexiko sei positiv und betrage noch zwischen vier und sieben zu eins.
Klar ist freilich nur, dass für die Mehrzahl der Tiefseebohrer nicht einmal die 70 Dollar, die sie heute für ein Fass erzielen können, ausreichend sind.
Arktisches Öl
Wie Zeitunglesern bekannt, findet seit einigen Jahren ein Wettlauf um die Bodenschätze am Nordpol statt, namentlich die Erdölvorkommen. In Prirazlomnaya fördern Russen eine bis dato eher homöopathische Menge.
Warum nicht mehr?
Arktisches Tauwetter hin oder her – die Umweltbedingungen sind in dieser Gegend einfach noch zu hart und die Kosten zu hoch.
Wie die Deepwater-Vorhaben sind nach 2014/15 auch fast alle Projekte im hohen Norden “auf Eis gelegt worden” (Hall, EROI, p. 42).
Konventionelle Produktion mit konventionellen Kostenstrukturen wäre da schon eher nach dem Geschmack von Firmen- und Finanzinvestoren - wie das angeblich bei Saudi Aramco noch der Fall ist:
Implied costs of production, including overhead and depreciation, appear to be less than $10 a barrel.”
Die Anfang 2015 einsetzende – möglicherweise künstlich hervorgerufene – Ölpreis-Baisse macht zusätzliche Förderung sowohl am Meeresgrund als auch am Nordpol unmöglich.
Überleben lässt sich nur dort, wo Banken und Investoren kein besonderes Interesse an der wirtschaftlichen Gesundheit der Projekte entwickeln.
Shale Oil
Das ist bei Schieferöl offenkundig der Fall – bei shale oil, das in den Gazetten immer wieder als Erfolgsstory gezeichnet wird.
Auf den ersten Blick zurecht, denn die USA produzierten 2017 4,67 Millionen Barrel tight oil – gegenüber 2,3 Millionen Barrel p.d. vier Jahre davor (EIA-Zahlen).
Das Problem ist aber: “Nachhaltig profitabel” arbeitet nur ein kleiner Teil der in Texas und Dakota tätigen Firmen – jene, die über den geologischen sweet spots sitzen und/oder die Unternehmen mit den günstigen Verkehrsanbindungen.
Der Rest produziert chronisch cash flow-negativ bzw. ersetzt Eigenkapital durch “billige” Schulden (oder lässt sich von unter Anlagenotstand leidenden Aktionären alimentieren).
Finanz-Englisch-Versteher können dies auf dem Blog von Steve St. Angelo nachlesen, beispielswiese hier, hier und hier.
Art Berman sagt in einer Ende März 2018 veröffentlichten Analyse zu sechs großen Eagle Ford-Plays im Wesentlichen das Gleiche:
Most tight oil companies lost money in 2017 based on full-year 10-K filings. Capital expenditures were greater than cash from operations for 73% of evaluated companies (…) Companies have been claiming profitability at prices below 2017 average levels ($51 WTI) since 2016. This study suggests that was not generally true in the Eagle Ford Shale play.”
Das regulatorische und geldpolitische Umfeld in den USA macht trotzdem möglich, was nach Logik und Betriebswirtschaft eigentlich gar nicht stattfinden dürfte.
Zweifel, dass das US-amerikanische Modell in anderen Weltgegenden/unter anderen finanziellen Bedingungen repliziert werden kann, sind jedenfalls angebracht.
Ein bürokratisches PO-Simulakrum
Unterdessen haben speziell die EU-Staaten eine Sondervorstellung für naive Gemüter angesetzt.
Es handelt sich um den Versuch, mit Verboten und ähnlichen administrativen Maßnahmen eine rasche energy transition zu den eigenen Bedingungen durchzusetzen – also eine Peak Oil-Gesetzgebung zu erlassen ohne Knappheiten und Versorgungsengpässe von physischem Öl überhaupt erwähnen zu müssen.
Die Hauptrollen spielen “demokratische” Politicos und ihre ständigen Begleiter in den konformistischen Medien – beide unter dem Deckmantel des Klimaschutzes.
Die zentralen Ereignisse des Stücks sind die 2025 beginnenden Verbote von Verbrennungsmotoren, die in der Folge rollierend ausgedehnt werden sollen. Der Consulter Oliver Wyman hat in Forbes kürzlich einen Zwischenstand für das sich abzeichnende Verbots-Stakkato zusammengefasst (nur Europa):
- Den Anfang macht Norwegen, das 2025 die Neuzulassung von Verbrennungmotoren verbieten wird, gefolgt von
- den Niederlanden und möglicherweise Deutschland im Jahr 2030
- sowie von Großbritannien und Frankreich 2040.
Zuvor werden - quasi zur Einstimmung – reihenweise Dieselantriebe untersagt – etwa in deutschen Großstädten, in Dänemark, in Griechenland und Italien.
Dieselben Politicos, die für die Verbote verantwortlich zeichnen, ebnen – nebenbei bemerkt – soeben den Weg für “umweltfreundliche” Autobatterien, die (mit mehreren hundert Kilo Gewicht) heute gerade ein Viertel der Reichweiten von mit Benzin oder Diesel getriebenen Autos aufweisen;
Akkus, deren Energiedichte (Wh/kg) geradezu Lichtjahre von der herkömmlicher Tanks entfernt ist (wobei man sich damit tröstet, dass die neuen Stromspeicher schon dreimal dichter wären als die seit Jahrzehnten zum Starten verwendeten Blei-Säure-Batterien).
Das alles mag heutiger trauriger Stand der Technik sein, der sich in zehn Jahren etwas besser darstellen wird – eines ist jedoch klar: Mit “inkrementeller Ingenieurskunst” ist es hier kein Blumentopf zu gewinnen.
Wenn hier nicht doch noch ein unerwarteter Durchbruch gelingt, ist absehbar, dasss noch die Enkel der heute Lebenden Zentner an Kobalt und Nickel mit sich werden führen müssen um sich 300 Kilometer fortzubewegen.
Und während “gewählte Politicos” ihrem Elektorat eine dysfunktionale Technologie nach der anderen in den Rachen stopfen möchten, versteigen sich Denkfabriken und Schreiberlinge in Tagträume über die von selbst “peakende” Nachfrage nach fossilen Kraftstoffen.
Das ist freilich ungefähr so wahrscheinlich wie dass Zeitgenossen freiwillig auf die Pferde-Gespanne der Amish people umsteigen.
Da bedarf es schon der tatkräftigen “Mithilfe” durch Gesetze und Verordnungen.
Bild: Dirk Ingo Franke, Hankwang at English Wikipedia, Theanphibian, Ad Meskens via Wiki Commons
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