In Mailand finden gerade Verhandlungen um die Gasversorgung der Ukraine statt. Die Medien stellen sie als den Versuch der Russen dar, mithilfe von Drohungen Bedingungen durchzusetzen, die für Kiew unakzeptabel sind. Möglich ist aber auch, dass es in Wahrheit um ein paar Milliarden Kubikmeter kostenloses Erdgas geht.
Wer die westlichen Zeitungen auf dieses Thema hin durchsucht, bei dem muss nach einem ersten Lach- ein Neidreflex einsetzen; Neid auf die Medienlandschaft in Russland, die um einiges vielfältiger sein muss als ihr westliches Gegenstück, wo die Gleichschaltung der Berichte erstaunliche Ausmaße angenommen hat. Würde in Moskau die Medienlenkung so gut wie bei uns funktionieren, müsste Putin nicht ständig die Freiheit der Medien einzuschränken.
Berichtet wird durch die Bank, Russland habe der EU die Einstellung der russischen Gaslieferungen angedroht. Speziell die staatlichen Publikationsorgane aus Österreich haben das Thema für die Allgemeinheit gut verständlich aufbereitet.
Zum Beispiel der ORF:
oder die Wiener Zeitung:
Das ist wirklich professionell gemacht und unterscheidet sich inhaltlich nicht von dem, was die anderen berichten.
Einen Sonderpreis bekommt der “Stern”, der den älteren Ostdeutschen einen Flashback in (nicht so) gute alte Zeiten beschert:
“Taten für den Frieden”. Ist ja ok – klingt aber trotzdem verdammt nach dem Wortschatz einer FDJ-Kaderfunktionärin aus dem Jahr 1985.
Ein zu Sarkasmus neigender Kollege muss bei n-tv arbeiten, der das Thema der Vorschlagzeile auf den Punkt bringt. “EU-Stresstest für warme Wohnung” ist wirklich genial.
Welche russischen Dohungen haben nun diese Berichte ausgelöst?
Um das zu erfahren, wendet man sich am besten den russischen Staatsmedien zu. Anderswo erfährt man nämlich nicht authentisch, was Putin wirklich gesagt hat. Also zum Beispiel bei RT.
Er sagte folgende Sätze: “Es gibt große Transportrisiken. Wenn unsere ukrainischen Partner beginnen, unser Gas illegal aus der Exportpipeline zu entnehmen wie das 2008 der Fall war, werden wir wie 2008 die Versorgungsmenge reduzieren.”
Und weiter (eigene Hervorhebung): “Ich kann ihnen sicher sagen und ich sage das mit absolutem Verantwortungsbewusstsein, dass es keine Krise in Europa geben wird, die auf russisches Verschulden bei der Energiekooperation zurückgeht.”
Hei, das hat er aber fein ausgedrückt ! Und wie kommt man nun darauf, dass es sich um eine Drohung handelt ? Vielleicht durch die Kenntnis der ukrainischen “Partner in der Energiekooperation”?
Dem Alltagsverständnis nach wurde gesagt, dass Russland dem westlich gelegenen Transitland von EU-Mitgliedern bezahltes Erdgas liefern wird; und dass Russland im Fall, dass sich die Ukraine einen Teil davon unter den Nagel reißt, nichts drauflegen wird – jedenfalls nicht ohne dass extra bezahlt wird.
Das ist ja nun wirklich eine erpresserische Maximalforderung! Und Geld will der Mann auch noch !
Schon im Juni hat die russische Gaslieferfirma der Ukraine den Hahn abgedreht, nachdem der letzte Liefervertrag ausgelaufen war, der noch mit dem früheren ukrainischen Präsidenten ausgehandelt worden war. Der nunmehrige EU-Schützling wird seither von den Mitgliedsländern der Union versorgt, die aus Russland gekauftes Gas in die Ukraine zurückleiten (“reverse flow”). Gazprom hält das für vertragswidrig und ist sauer, aber die EU hält dem entgegen (paraphrasiert): “Das geht schon in Ordnung so. Das dürfen wir, denn wir haben einen freien Markt.”
Die ukrainische Regierung, die von Moskau als feindselig empfunden wird, würde auch gerne jene Sonderkonditionen bekommen, mit denen Moskau die Regime Verbündeter fördert – wie das von Alexander Lukaschenko (Weißrussland) oder früher eben von Viktor Janukowitsch.
Den Russen ist bewusst, dass beim Nachbarn schon NATO-Militärberater ein und ausgehen und sie gehen davon aus, dass das Land in absehbarer Zeit dem westlichen Militärbündnis beitreten wird. Daher sagen sie: “Njet, keine Sonderkonditionen” (sind aber durchaus bereit von ihrem wenig realistischen “Listenpreis” abzugehen.)
Seit vergangenem Frühjahr ist nun ergebnislos um einen endgültigen Liefervertrag gefeilscht worden. Das Problem beginnt schon damit, dass die Ukrainer heute (Gas-)Schulden wie ein Gardeoffizier haben und wenig Animo zeigen, diese zu begleichen. Des weiteren scheinen die beiden Verhandlungspartner ziemlich unterschiedliche Preisvorstellungen zu haben. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass es vor dem Winter noch eine endgültige Übereinkunft gibt.
Übergangslösung für den Winter
Um eine Überbrückungslösung zu finden, hat EU-Energiekommissar Günther Öttinger ein sogenanntes “Winterpaket” erfunden, das sicherstellen soll, dass die Ukrainer über die kalte Jahreszeit kommen. In dieser Weltgegend werden Winter ohne Brennstoff nämlich ziemlich ungemütlich.
Ende September haben sich EU und Russland “im Prinzip” auf einen Übergangs-Deal geeinigt. “Im Prinzip” heißt hier: die Ukraine hat noch nicht offiziell zugestimmt (= sie will offenbar noch ein bisschen etwas rausholen und hat die Erlaubnis der EU dazu.)
(Dass Moskau überhaupt mit der EU verhandelt, ist übrigens nicht so selbstverständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Union mithilft, den russischen Ölfirmen den Kredithahn zuzudrehen – was auf den Versuch hinausläuft, diese in den Bankrott zu treiben).
Das Winterpaket ist/war jedenfalls ein ziemlich guter Deal für die Ukraine und manche glauben, dass die Russen dem aus Deutschland stammenden Energiekommissar bzw. Berlin einen Gefallen erweisen wollten. Zunächst müssen die Ukrainer drei Milliarden Dollar an Altschulden zahlen. Sie dürfen das aber auf Raten tun, und die Summe, die sie schulden, ist wahrscheinlich um einiges höher als 3 Milliarden (nach Rechnung der Gazprom 5 Mrd. Dollar). Die Idee dahinter ist, mit dem Paket den Streit über die Höhe der Altschulden “auf Eis zu legen”.
Das ist eine scheinbare Vertagung, denn mit Annahme des Winterpakets würden die darüber hinausgehenden Lieferantenforderungen (de facto) fiktiv werden. Die Russen wären also faktisch (nicht de jure) bereit, den Rest in den Rauchfang zu schreiben, wenn sie nur die drei Milliarden bekommen würden. (Ich will hier eingestehen, dass ich keine Vorstellung davon habe, wie gut fundiert die russischen Ansprüche sind. Es kommt ja “mitunter” vor, dass Forderungen nur angemeldet werden, um bei späteren Vergleichsverhandlungen eine bessere Ausgangsposition zu haben).
Auch der Preis wurde prinzipiell schon ausgemacht. Er soll auf sechs Monate 385 Euro pro 1.000 Kubikmeter betragen – was ein wenig über dem üblichen EU-Tarif liegt. Zu bezahlen wäre im Vorhinein, denn Moskau traut “dem Partner” nicht. Geliefert würden bis zu 5 Milliarden Kubikmeter. Das ist das (fehlende) Minimum, um die Ukraine durch den Winter bringen zu können.
Die Unterzeichnung hätte bereits Anfang Oktober stattgefunden, wenn….ja, wenn die Ukraine nicht “Ni” gesagt hätte. Kiew weigerte sich, im Vorhinein zu zahlen, weil das angeblich den “bestehenden Vertragsbedingungen” (????) widerspricht.
Überhaupt bestreitet die Ukraine, Schulden bei der Gazprom zu haben, wie AFP Anfang Oktober berichtet. Das sei der Grund, warum jede Überweisung an Russland lediglich “Zahlung” (für eine aktuelle Gaslieferung) genannt werde.
Die krankhaft misstrauischen Russen wollen dagegen überhaupt nur etwas aus der Hand geben, wenn a) der größere Teil der Altschulden beglichen ist und b) wenn sie das Cash für geliefertes Gas gleich bekommen. Das ist z.B. in der Bauwirtschaft, wo es viele Pleiten gibt, durchaus üblich. Man nennt das “Zug-um-Zug-Geschäft”. Auch Lieferanten konkursbedrohter Firmen liefern oft nur “gegen Vorauskasse”.
Das ist der Stand der Dinge bis heute, Freitag – und wenn sich die Kräfte, die nicht an einer Eskalation interessiert sind, durchsetzen, wird das “Winterpaket” in der einen oder anderen Form beschlossen. Dann findet 2014 kein Gaskrieg statt. Macht auch nix. Schon 2015 gibt es wieder eine Chance.
Ist für die Zeitungen die gerade erzählte Geschichte etwa zu kompliziert, um sie ihren Lesern zu erzählen ?
Ich glaube nicht, obwohl ich einräume, dass das eine oder andere Medium glauben kann, damit seine Leser zu überfordern.
Unverständlich trotz alledem, wie es möglich ist, aus dieser Sachlage geschwungene Keulen herauszudestillieren.
Blut auf nackten Brüsten
Zum Schluss noch ein journalistischer Leckerbissen aus der Qualitätszeitung “Guardian”, in der z.B. viele Snowden-Enthüllungen stattgefunden haben.
Der Bericht dreht sich um eine Aktion angeblicher Feministinnen, die vor dem Mailänder Dom gegen den “Killer Putin” protestierten. Die Aktion bestand darin, dass sich zwei attraktive, junge Frauen einen Kübel mit Kunstblut über den nackten Oberkörper leerten.
Die männlichen Guardian-Leser waren begeistert. Bemängelt wurde nur, dass das Bild vor dem Start der Aktion und nicht während dieser aufgenommen wurde. Einer forderte:
Der Wunsch wurde prompt erfüllt. Das Internet ist eine tolle Sache.
Foto: Stanislav S. Yanchenko, Wikimedia Commons
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