Im folgenden stelle ich miteinander unvereinbare Ansichten zweier Personen zum Konflikt um die Ukraine und die damit verbundenen prinzipiellen Fragen nebeneinander. Der eine ist ein sogenannter Linker, Daniel Cohn-Bendit, der scheidende Fraktionschef der Grünen im EU-Parlament. Der andere ist ein sogenannter Rechter, der frühere tschechische Präsident Vácvlav Klaus.
Ich versuche, so wenig wie möglich zu werten - dort wo es notwendig ist, stelle ich aber einen Kontext her. Die Aussagen fielen klarerweise unabhängig voneinander. Die Herrschaften sind seit spätestens 2008 miteinander verfeindet.
Zur verfassungswidrigen Absetzung des rechtmäßigen Präsidenten Janukowitsch:
Cohn-Bendit: “Revolutionen laufen nicht immer sauber ab. Doch jetzt muss man sich entscheiden, was man will. Unter Janukowitsch war die Ukraine jedenfalls keine Demokratie. Nun könnte sie eine werden.”
Vaclav Klaus:”Nachdem der Kiewer Putsch ausgeführt worden war (für Gesetzespuristen: verfassungswidrig), nachdem alle jene, die es wagten, eine andere Meinung zu haben, brutale Gewalt gewärtigen mussten, nach der faktischen Verstoßung eines demokratisch gewählten Präsidenten, der sich nicht traute, gegen die gewaltsamen Demonstranten vorzugehen, und nachdem der russische Teil der ukrainischen Bevölkerung immer besorgter wurde (…)”
Wer für die Geschehnisse seither hauptverantwortlich ist:
Cohn-Bendit:”Putin ist ein autoritärer Antidemokrat.”
Klaus: „Weder Russland, noch Putin haben das verursacht, was auf dem Kiewer Maidan ausgebrochen ist (…) Die Situation wurde von Westeuropa und den Vereinigten Staaten zum Kippen gebracht.”
Zur Frage der Abstimmung über die Sezession der Krim (ca. 96% Ja bei 82 % Wahlbeteiligung):
In Zusammenhang mit der Krim taucht oft der Name des heute faktisch unabhängigen Kosovo auf, der bis 1999 Teil von Restjugoslawien war. Die Abspaltung des Kosovo wurde damals erst durch die militärische und finanzielle Unterstützung durch die USA, NATO und die EU ermöglicht. Der Kosovo schuf den Präzedenzfall einer durch auswärtige Mächte in die Wege geleiteten Sezession in Europa – stärker noch als Slowenien und Kroatien, in denen Volksabstimmungen große Mehrheiten für die Unabhängigkeit erbrachten.
Cohn-Bendit: “Zum Kosovo: Angenommen, es stimmt, dass das völkerrechtswidrig war. Deswegen darf Putin völkerrechtswidrig handeln?”
(Anmerkung: Cohn-Bendit war 1999 ein entschiedener Befürworter einer Abtrennung des Kosovo von Restjugoslawien bzw. der Bombardierung Belgrads. Damit wurden die Serben zum Abzug aus ihrer bisherigen Provinz gezwungen. An der Völkerrechtswidrigkeit des NATO-Bombardements kann übrigens kein Zweifel bestehen – es gab schlicht kein UN-Mandat dafür. Heute ist Kosovo ein de facto unabhängiger Staat. Referendum hat nie eines stattgefunden).
Klaus:”Die Mehrheit der modernen Länder in Europa und anderswo haben ihre Unabhängigkeit als Resultat eines gewaltsamen Kampfes erlangt, wobei sie das zu ihrer Zeit geltende Gesetz missachteten. Völkern kann dieses Recht unmöglich mit dem Hinweis abgesprochen werden, dass Separatismus illegal sei. Würden wir (dieses Recht) nicht akzeptieren, würden wir die Gesetzesmäßigkeit der Vereinigten Staaten leugnen – aber auch unseres eigenen Staats, der 1918 in Widerspruch zur Verfassung des österreichisch-ungarischen Reichs entstanden ist.”
Zum deutschen Exkanzler Gerhard Schröder, der Putin verteidigt hatte (Schröder arbeitet heute für eine Gazprom-Tochter):
Cohn-Bendit:“Er soll endlich die Klappe halten. Basta, Schröder.”
Ein paar Tage vorher wollte die Grüne Fraktion das Europäische Parlament dazu bewegen, Schröder zum Schweigen aufzufordern. Der Antrag wurde aber nicht angenommen. Aus dem Antragstext: “Das Europaparlament bedauert die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder über die Krise in der Ukraine und betont, dass er keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen”. Begründung: Schröder befinde sich “in einem eindeutigen Interessenskonflikt.”
2008, Prager Burg: Ein Präsident wird gemobbt
Cohn-Bendit und Klaus haben wenig überraschend auch völlig konträre Ansichten zur Organisation der Europäischen Union. Das zeigte ein Besuch, den Cohn-Bendit 2008 als Mitglied einer Delegation des Europaparlaments dem damaligen tschechischen Präsidenten abstattete. Wie das Transkript des Gesprächs ziemlich klar zeigt, waren die Besucher unter Führung des damaligen Parlamentspräsidenten von Beginn auf einen Eklat aus. (“Euroskeptiker” Klaus zögerte damals mit seiner Unterschrift zum Vertrag von Lissabon).
Cohn-Bendit spielte die Rolle, die ihm am meisten lag – den Provokateur. Er befragte seinen Gastgeber, als sitze dieser in einem Gerichtssaal auf der Anklagebank (“Wie können Sie sich mit einem Mann treffen, von dem nicht klar ist, wer ihn bezahlt? In Ihrer Funktion haben Sie sich nicht mit ihm zu treffen.”)
Das tschechische Staatsoberhaupt fand, dass noch nie jemand so respektlos zu ihm (als Amtsträger) gesprochen hatte und dass ihn das an den Ton erinnere, den die Sowjets vor 1989 gegenüber den Tschechen angeschlagen hatten. Er bat EU-Parlamentspräsident Pöttering, einem anderen Delegationsmitglied das Wort zu erteilen, doch Pöttering forderte Cohn-Bendit auf, fortzufahren. Der Besuch wurde letztlich nicht abgebrochen, ging aber mit einer ziemlichen Verstimmung zu Ende.
Bald danach erschienen die ersten Berichte über den “Eklat”, in denen Klaus als paranoid dargestellt wurde – so als habe er wegen der kleinen EU-Flagge, die Cohn ihm “als Gastgeschenk” mitgebracht hatte, rot gesehen. Diese Berichte erschienen unter anderem im Spiegel und in Le Monde. Vor allem die Exzerpte von Le Monde schienen wörtlich zu sein. Jedenfalls waren sie so genau, dass sie nur schwer anders als auf Basis einer elektronischen Aufzeichnung hatten gemacht werden können. Ihr Wortlaut schien zu bestätigen, dass Klaus auf höflich formulierte Fragen zu seiner Beziehung zu einem irischen Euroskeptiker wie eine beleidigte Leberwurst reagiert hatte.
Äußerungen, die sich darauf bezogen, waren aber – so wie sie zitiert wurden -, nie gefallen. Klaus gab danach seine Tonbandaufzeichnung an eine tschechische Zeitung, die sie im Original und in voller Länge abdruckte. Während die ersten Meldungen noch ein heftiges Rauschen im deutschen Blätterwald ausgelöst hatten, wurde das Original aber fast völlig ignoriert – mit Ausnahme zweier Medien; nur eine deutsche Tageszeitung und das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” - der die ursprüngliche Meldung gebracht hatte -, berichteten.
Dem Spiegel ging es aber nicht um Nuancen oder das Ausbessern von Ungenauigkeiten des ersten Berichts, sondern um den angeblichen “Vertrauensbruch” von Klaus. O-Ton: “Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) reagierte auf den “präsidialen Lauschangriff” empört: ‘In meiner 30-jährigen Zugehörigkeit zum Europaparlament habe ich so etwas nicht erlebt.’ In einer Demokratie sei es absolut ungewöhnlich, vertrauliche Gespräche mitzuschneiden.’” Kommentar überflüssig.
Foto: Europaportalen.se, CC, DerHuti, CC
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