Die verfügbare Energie und deren Dichte hatten historisch einiges mit Zivilisation und sehr viel mit Werten, Lebenshaltung und – erwartung zu tun. Das legt die Lektüre eines deutschen und eines britischen Historikers nahe, die sich, unabhängig voneinander, mit der Energieaneignung in den vergangenen 300.000 Jahren auseinandergesetzt haben. Die Frage nach dem Energiesystem des postfossilen Zeitalters drängt sich gebieterisch auf.
Vorbemerkung: Dieser Blogger, dem Rolf Sieferle bis vor wenigen Tagen nur als Autor von quasi häretischen Stücken wie in Finis Germaniae bekannt war, hat erst jetzt dessen vor 21 Jahren erschienenen Rückblick auf die Natur gelesen.
In diesem Text lassen sich wesentliche Gedankenfiguren erkennen, die auch dem 18 Jahre später publizierten Buch Jäger & Sammler, Bauern und Fossile Treibstoffe zugrunde liegen- siehe auch hier.
Mehr noch: So verschieden die Intentionen der Autoren auch gewesen sind, ihre – unabhängig voneinander, weitgehend “induktiv” gewonnenen – energiehistorischen Narrative sind fast deckungsgleich.
Sieferles bei Luchterhand erschiener Text kam nicht nur vor dem Ausbruch der bis heute dominierenden Erderwärmungsreligion heraus; es baut auch auf Vorarbeiten auf, die Jahrzehnte zurück reichen – bis in eine Zeit, in der sich Klimatologen noch über die angeblich unmitttelbar bevorstehende neue Eiszeit owikreuzigten.
Sieferles Unterirdischer Wald wurde 1982 gedruckt. Er thematisierte den Zusammenhang zwischen der Energiekrise des 18. Jahrhunderts und der Industriellen Revolution.
Das Werk, von dem angenommen werden darf, dass es sich um eine der Zeit entsprechende, historisch-materialistische Analyse handelt, findet sich in Spuren noch im 1997 erschienenen Rückblick – wenn beispielsweise über die immer drückender werdende Holzarmut im vorindustriellen Europa berichtet und abstrahierend festgestellt wird:
Der einzige säkulare Ausweg aus diesem Dilemma bestand schließlich darin, daß sie ihre systembedingten Fesseln sprengte und zu einem andersgearteten Energiesystem überging.” (S.132)
Eine “Große Transformation” stand eben an – aber nicht eine von Feudalismus zu Kapitalismus wie konventionelle Marxisterl sagen täten, sondern eine weg vom “agrarischen Solarenergiesystem” hin zu fossilen Treibstoffen.
Der gereifte Energiehistoriker des ausgehenden 20. Jahrhunderts unterschied drei – nein, nicht: “Produktionsweisen” – sondern Arten, auf die sich Menschen Energie zugeführt haben:
- Das System der Jäger und Sammler auf “Basis unkontrollierter Biokonverter. Man nutzt Pflanzen und Tiere im wesentlichen für Nahrungszwecke, ohne sich in größerem Maße darum zu kümmern, ob und wie weit deren Lebensbedingungen aufrechterhalten werden.” (S.32) Dieses System erlaubt das Überleben von höchstens ein paar Millionen Exemplaren.
- Mit der neolithischen Revolution wurde diese Formation, die über Hunderttausende Jahre Bestand gehabt hatte, vom Solarenergiesystem sesshafter Bauern abgelöst, mit den vielen in der Sieferleschen Packungsbeilage erwähnten Risiken & Nebenwirkungen (Bevölkerungswachstum, Eigentum, Hierarchisierung, Feudalisierung etc.)
- Das hielt über die folgenden zehntausend Jahre. Dann brach das Zeitalter von Kohle und Erdöl an, in dem bisher ungeahnte Energiemengen zur Verfügung standen und die Stoffdurchsätze der sich industrialisierenden “Volkswirtschaften” eskalierten. Sieferle spricht hier nicht mehr von einem “Solarenergiesystem”, obwohl auch das eigentlich ein solches ist (die “biotische” Genese der irdischen Kohlenwasserstoffe vorausgesetzt).
Themen und Redeabsichten sind hier klar “zivilisationskritisch”, zum Beispiel wenn Sieferle über die Verwandlung der einst reich gegliederten agrarischen Natur-/Kulturlandschaften in eine “totale Landschaft” spricht (205 ff), von neuen, industriellen “Verschmutzungsinseln” (164) oder “auto-mobilo-morphen Räumen” (190).
Das sind bis heute gängige Topoi, die von individueller Beobachtung gedeckt zu sein scheinen. Wie viele andere Autoren vergisst auch Sieferle weitgehend die Rückseite der Medaille, etwa: stark erhöhte und wachsende Tragkraft & Produktivität der Flächen und Systeme , individuelle Mobilität, etc.
Manche sagen “Trade-off” zu so etwas.
Schon der jungsteinzeitliche Übergang zur stationären Landwirtschaft, schreibt Sieferle ein wenig überzeichnend, habe enorme Verbesserungen in der Lebenshaltung gebracht.
Vergleicht man die Werte in dieser Tabelle mit dem Nettoenergieertrag von Jäger- und Sammlergesellschaften, der je nach Lebensraum 0,6 bis 6,0 MJ/ha im Jahr beträgt, so wird deutlich, wie sensationell die Unterschiede zwischen diesen Lebensformen sind. Auf der Basis der chinesischen Intensivlandwirtschaft könnten fünfzigtausendmal so viele Menschen auf einer bestimmten Fläche leben wie unter Jäger- und Sammlerbedingungen.” (83)
Aber noch sei das Gesamtsystem nachhaltig gewesen (was übrigens “ständige Bevölkerungskontrolle durch massenhaftes Sterben auf die eine oder andere Weise” mit sich gebracht hat).
Agrarische Gesellschaften unterliegen einer (ggü. den Jäger-Sammlern nur) relativen Stagnation und das ist energetisch gar nicht schwer zu erklären:
“Das Grundproblem des Solarenergiesystems ist eben unausweichlich: Wenn Energie von geringer Dichte in eine brauchbare Form gebracht werden soll, ist der Aufwand an Fläche und Material enorm, was den energetischen Ernteertrag grundsätzlich schmälert. Fossile Energie dagegen findet sich nicht nur von Natur aus in starker Konzentration.” (141)
Zu viele Menschen – konstatiert nicht Sieferle, sondern dieser Blogger – überfordern die carrying capacity dieser Systeme und scheinen verdammt zu sein, auf unterschiedliche Art zugrunde zu gehen (bei den Jägern-Sammlern soll es zusätzlich zu Hunger, Krankheit und Violenz eine natürliche Ovulationshemmung gebärfähiger Frauen gegeben haben, die die Fortpflanzung eingeschränkt hat).
Die relative Stagnation geht mit dem Beginn des Kohlezeitalters zu Ende. Die neu verfügbaren Energieträger sind nicht nur viel dichter, sondern zunächst auch im Überfluss vorhanden – siehe z.B. S. 148 –
in Wahrheit sind sie freilich “endlich”, knapp und verschmutzen die Umwelt stärker als über Photosynthese oder Zellwachstum entstehende Energie in den agrarischen Gesellschaften (um von den hunter gatherers zu schweigen).
Sieferle erwartet für das Ende des Fossilzeitalters – absolut realistisch – eine Energieknappheit (siehe u.a. S 132), meint aber, dass der Übergang zu einem “nun technisch kontrollierten Solarenergiesystem” durch Computerisierung und Entstofflichung der digitalen Welt etc. abgefedert werden könnte (222).
Eine Rückkehr zu den von Knappheit geprägten kulturellen Mustern der agrarischen Gesellschaften hierzulande sei einerseits ausgeschlossen, andererseits auch wieder nicht (“autonome kulturelle Prozesse”).
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Interessanterweise hat sich die Weltbevölkerung in den vergangenen 200 Jahren verachtfacht, was ziemlich irre anmutende exponenzielle Kurven ergibt, die u.a. hier zu besichtigen sind.
Dieser Blogger, der u.a. in der Klimadebatte immer wieder einwirft, dass Korrelationen eben keine Kausalitäten seien, stellt das nur in den Raum – “just saying” gewissermaßen.
Immerhin kommt man nicht umhin, die Existenz argumentativer double standards festzustellen – bei der Journaille, aber auch in der so genannten scientific community.
Wenn die nach dem Little Ice Age stattgefundene Erderwärmung eine Folge der um 40 Prozent erhöhten CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist und unterschiedlichster lokaler Klimawandel taxfrei menschengemachten Emissionen zugeschrieben werden darf – warum wird dann nicht die viel deutlichere Übereinstimmung von zur Verfügung stehender Energie und Bevölkerungszahl als Argument akzeptiert?
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Doch zurück zu meinen energiehistorischen Büchern.
Der auch populärwisenschaftlich publizierende Stanforder Althistoriker Ian Morris hat 2015 einen Text vorgelegt, der im zweiten Teil dieses Eintrags besprochen wird.
Morris geht es in der Hauptsache um etwas anderes als um das Anliegen, das Sieferle 1997 hatte.
Er will zeigen, dass die wechselnden Werthaltungen in materiellen Gegebenheiten wurzeln – etwas, das man – wäre man boshaft – als gut historisch-materialistisch bezeichnen könnte.
Morris “Basis des immateriellen Überbaus” besteht freilich in der Art und Weise, in der sich die Gesellschaft Energie aneignet (“energy capture”).
Dabei führt er drei große Formationen an, die sich auch im Titel seines Texts niederschlagen_
Foragers, Farmers and Fossil Fuels.”
Wie Sieferle ist Morris (wenigstens in seinen big picture-Werken) Kompilator und Analytiker von Einzelerkenntnissen anderer.
Auf Basis archäologischer und wirtschaftshistorischer Studien sowie UNO-Daten kommt Morris zum Schluss, dass sich die historischen Jäger & Sammler 5.000 Kilokalorien pro Kopf und Tag zuführen konnten, sesshafte Bauern 30.000 und zeitgenössische Westler 230.000 (inkl. Transporttreibstoffe).
Die “Groß-Epochen” seiner Menschheitsgeschichte entsprechen 1:1 jenen von Sieferle – obwohl dieser noch keinen Versuch unternommen hat, die explosive Ausweitung des Energieangebots zu beziffern (Morris hatte Daten 18 weiterer Jahre zur Verfügung).
Zum Ausgleich erkennt nur Sieferle die eminente Rolle der Energiedichte, über die Vaclav Smil immer wieder pontifiziert – z.B. hier und hier.
Wie auch immer: Morris 2015 liest sich über weite Strecken wie eine Bestätigung von Sieferle 1997 – und wenn der Brite nicht “abgeschrieben” hat (und richtig liegt), hat Sieferle schon vor Jahrzehnten Strukturen erkannt, die die Detailforschung erst lange danach ans Licht befördert hat
(was Sieferle nichts mehr nutzt, weil er sich vor zwei Jahren das Leben genommen hat).
Die Frage wäre nun, was mit derlei energiehistorischen Erkenntnissen anzufangen ist.
Grundsätzlich kann man
- den Energiereichtum des vergangenen Jahrhunderts extrapolieren und vorhersagen, dass im 21. Säkulum mehr als eine Million kcal pro Kopf und Tag zur Verfügung stünden;
- betonen, dass die schiere Menge des Angebots völlig unmaßgeblich sei oder wenigstens, dass technischer Fortschritt (und Verhaltensveränderungen) Entscheidendes beitragen könnten, dem Rückfall in ein “technisch kontrolliertes Solarenergiesystem” den Zahn zu ziehen;
- oder den drohenden Untergang der Karbonzivilisation samt die off von neun Zehntel der Weltbevölkerung als gottgewollt bzw. naturgegeben hinnehmen.
Rolf Peter Sieferle, Rückblick auf die Natur: eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt. 1997
Ian Morris, Foragers, Farmers, and Fossil Fuels: How Human Values Evolve. 2015
Charles A.S. Hall, Energy Return on Investment A Unifying Principle for Biology, Economics, and Sustainability. 2017
Bild; Offbeat, Sepehr Zarei [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
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