D: Demokratie- und Medienskandal “AfD-Gutachten” & die Rolle d. ZiB2

In Deutschland ist ein ein tief gehender  Demokratie- und Medienskandal unterwegs, der zeigt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit primär nicht von minderjährigen Neonazis, sondern paradoxerweise von Kräften bedroht ist, die vorgeben diese zu schützen. Der statutorisch zu Objektivität verpflichtete österreichische Quasi-Staatssender berichtet über bzw. lässt den Vorgang auf eine Weise kommentieren, zu der einem nur “gesichert informationsfeindlich” einfällt. Eine Analyse von Teilen der dem “(Anti-)AfD-Gutachten” gewidmeten Passagen der ORF-ZiB2 von gestern, Mittwoch.

Generell lässt sich zur Berichterstattung von großen Teilen des ORF zum umstrittenen Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD feststellen, dass in den vergangenen etwa drei Wochen im ORF immer wieder über die aus dem Gutachten hervorgehende Einstufung des AfD als “gesichert rechtsextrem” berichtet wurde (bitte Suchmaschinen nutzen!), kaum oder gar nicht aber über den Umstand, dass

  • dieses 1.100-seitige Gutachten bereits vor gut zwei Monaten von wem auch immer “geleakt” wurde,
  • dass dessen Bekanntheit außerhalb der privilegierten (= “vertrauenswürdigen”) Medien aber praktisch null war, bis
  • zum 13. Mai, an dem u.a. Cicero und NIUS den gesamten Text als PDF veröffentlichten.

Eine besonders krause Welt scheint sich die Journaille in der ZiB2 zurecht gezimmert zu haben, von der ein auch verlinktes Interview, das seit kurzem auch auf YT zu sehen ist, Zeugnis ablegt.

Es handelt sich um ein Interview, das Moderatorin Marie-Claire Zimmermann mit einem in London lehrenden “Extremismusforscher” führt, das über Interviewerin und Interviewten  u.a. offenbart:

  • Einen großen Unterschied in “aktueller Informiertheit”, der nach Meinung dieses Bloggers nur schwer erklärbar ist. Im zweiten, kürzeren Teil ihres Interviews fragte Zimmermann nach dem “gesichert rechtsextrem”-Gutachten des BfV auf eine Weise, die nahe legt, dass ihr zwar die Existenz eines solchen Gutachtens sowie der AfD-Klage dagegen bewusst sind, nicht aber,
  • dass dieses im Volltext bis vor gut einer Woche der Öffentlichkeit gar nicht bekannt war und dass auch die gesamte vorherige, “vorverurteilende” ORF-Berichterstattung dazu entweder gar nicht auf dem Original-Gutachten beruht oder dass der ORF, der sonst fast alles verlinkt, in diesem Fall das Gutachten eben nicht verlinkt hat (z.B. auf “orf.at”). Experte Neumann beantwortet die Frage mit einer Mischung aus einer (faktisch fragwürdigen  – siehe unten) Darstellung der Publikationsumstände sowie einer eher sanften “blöd gelaufen-Kritik”. Neumann sieht in dem Gutachten Anhaltspunkte für die Einstufung der AfD als rechtsextrem, aber auch welche, die nicht dafür sprechen. Das ist eine faire Zusammenfassung eines 1.100 Seiten langen Texts, gegen die nichts einzuwenden ist.
  • Problematisch wird’s jedoch, wenn beim nicht vollständig informierten ZiB2-Seher der Eindruck erweckt wird, das Gutachten sei ja schon seit langem veröffentlicht. Das ist nicht der Fall bzw. nur dann, wenn einseitige Berichte darüber als “Veröffentlichung” gelten. Soweit das über Suchmaschinen noch rekonstruierbar ist,wurde das Gutachten noch vor der deutschen Bundestagswahl erstmals “geleakt”. Die Berliner Zeitung berichtet am 3. Februar 2025 darüber. Danach wurde – vor und nach der Wahl – breit darüber berichtet, ohne dass der Text selbst bekannt gewesen wäre und ohne dass dieser z.B. vom Innenministerium ins Netz gestellt worden wäre (mit der fadenscheinigen Begründung, dass dies geheimdienstliche Quellen gefährden würde).
  • Erst am 9. Mai behaupten der “Spiegel” und knapp danach die “Bild”, über den Text zu verfügen und berichten erneut darüber, naturgemäß auszugsweise. Im Licht der BZ-Veröffentlichung von Anfang Februar ist es freilich wahrscheinlich, dass diese Medien den Gesamt-Text schon vorher in der Hand hatten.
  • Daraus ergibt sich die Ungeheuerlichkeit, dass publizistische Institutionen, von denen sich eine als “Sturmgeschütz der Demokratie” versteht, schon länger auf dem Gutachten “gesessen sind”, wenigstens Tage, wahrscheinlicher aber Wochen (dass die Begründung “Quellenschutz” wenig glaubwürdig ist, macht Rechtsanwalt Steinhöfel im hier eingebetteten Interview geltend).
  • Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Text in welcher Form immer aus Ministeriums- oder parteipolitisch interessierten Polit-Kreisen stammte, von den damit beteilten Medien aber weder angemessen quellenkritisch verwendet noch gar in toto veröffentlicht wurde. Ein kurzer Blick auf den Anmerkungsapparat hätte genügt zu sehen, dass hier keine “vertraulichen Informationen” verwendet wurden.
  • Das ist ein in einer “entwickelten Demokratie” unerhörter Vorgang, der unter anderen Umständen wohl zu einem medialen Entrüstungssturm führen würde – etwas, das die (nicht) berichtenden deutschen Medien ansonsten einem autoritären politischen System und dessen kooptierter Medienlandschaft zuschreiben würden.
  • Dass dieses Narrativ nicht auf Deutschland beschränkt blieb, dazu scheint u.a. auch der Aktuelle Dienst des ORF beigetragen zu haben – was die Frage aufwirft, inwieweit es Medien, speziell “öffentlich-rechtlichen”, gestattet ist , im Namen der Informationsfreiheit eine Wirklichkeitskonstruktion abseits allgemein bekannter Fakten vorzunehmen.

Unabhängiger Journalist

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