Der Kampf, den sich Boris Johnson und ein großteils für die EU fechtendes Unterhaus liefern, ist von epischem Charakter und schwer zu überbietendem Unterhaltungswert. Während die einen ehrlich ratlos im Nebel herumstochern, übt sich die Johnson-feindliche Journaille in einer von Wunschdenken geleiteten Leser-und Selbsttäuschung, beispielsweise auf orf.at.“Johnson plant nächste Niederlage” liefert ein geradezu klassisches Beispiel für de facto fake news, die zwar ohne “buchstäbliche Fehlinformation” auskommen, in denen zu Nutz und Frommen des gewünschten Spin aber wesentliche Fakten begraben werden.
Der Artikel, ein aus mehreren Agenturberichten zusammengepanschter Text, rankt sich um das Leitmotiv jener Abstimmungsniederlagen, die der negative Held Boris Johnson vergangene Woche im Unterhaus erlitten hat.
Der “Bericht” legt ferner nahe, dass es nicht bei diesen Schlappen bleiben würde.
So wird beispielsweise erläutert, dass die
Opposition bereits am Freitag (angekündigt hat), einen solchen (Neuwahl-)Antrag der Regierung ab(zu)schmettern. Stattdessen solle es eine Neuwahl geben, sobald sichergestellt sei, dass es keinen „No Deal“-Brexit gebe, teilte Labour mit. Auch die schottische SNP lehnt den Termin ab. Nötig für eine Neuwahl ist eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus. Nach dem Ausschluss von mehr als 20 Tory-Mitgliedern hat Johnsons Regierung genau genommen derzeit nicht einmal die einfache Mehrheit.”
Die Passage kommt einer gezielten Irreführung gleich, denn im allgemeinen Publikum muss sich daraus der irrige Eindruck ergeben, dass Neuwahlen im UK vom Tisch seien - die Frage ist aber nur, ob die “snap elections” im Oktober 2019 oder ein paar Wochen später stattfinden.
Das war schon am Vormittag des Donnerstag, Stunden vor der Erstellung des Texts absehbar und sogar im Artikel selbst findet sich der verklausulierte Hinweis, dass baldige elections sehr wohl wahrscheinlich sind. Es ist der Satz
Stattdessen solle es eine Neuwahl geben, sobald sichergestellt sei, dass es keinen ‘No Deal’-Brexit gebe, teilte Labour mit.”
Was hier wie ein Aufschub mit unabsehbarem Ende daherkommt, ist in Wahrheit “schon gebongt”, wie z.B. der Guardian am Freitag berichtet;
die von Labour gestellte Vorbedingung sei nämlich “set to become law on Monday” (was mit dem Abbruch des Filibuster im Oberhaus – also in der Nacht auf vergangenen Donnerstag – absehbar war).
Kein Wort darüber in der kontinentalen Mainstream-Journaille.
Schweigen auch darüber, dass es der Tory-Whip selbst war, der die Obstruktion der Konservativen im Oberhaus beendet hat und dass Johnson & Co. bemüht sind, die von der Arbeiterpartei genannte Bedingung zeitnahe zu erfüllen – siehe dazu z.B. hier.
Damit hat Labour-Chef Jeremy Corbyn kein Argument mehr, sich dem Neuwahlantrag der Tories zu widersetzen.
Der Oppositionsführer fordert nämlich seit Jahr und Tag Neuwahlen – hat sich zuletzt aber einer entsprechenden Initiative der Regierung(sparteien) verschlossen und die Bedingung gestellt, erst müsse die “Benn-Bill” Gesetzeskraft erlangen.
Würden November-Wahlen zum Debakel für die Tories?
Nachdem die Tories diese zunächst unüberwindlich erscheinende Hürde in Rekordzeit aus dem Weg geräumt haben, wird sich Corbyn jetzt schwer tun, ein weiteres Mal zurückzuzucken (wie bekannt, werden zwei Drittel des Unterhauses benötigt – was gegeben wäre, falls Labour für Wahlen stimmt).
Von entscheidender Bedeutung ist aber womöglich, wann der vorgezogene Urnengang abgehalten wird – Mitte Oktober, wie Johnson das möchte, oder einen Monat später, wie von Labour präferiert.
Das Datum freilich. meint Alexander Mercouris, Chefredakteur des Duran, sei von entscheidender Bedeutung.
Würde im Oktober gewählt – ohne dass der Brexit ein weiteres, ein drittes Mal verschoben worden wäre – würde Boris Johnson ziemlich sicher gewählt werden.
Würde dagegen im November abgestimmt (nachdem der Austritt erneut verschoben worden ist), würden die Konservativen in ein Wahldebakel laufen
- denn sie hätten ein weiteres Mal den fix versprochenen Brexit “nicht geliefert”.
In diesem Fall, mutmaßt Mercouris, werde Labour wohl die Wahl gewinnen und Nigel Farages Brexit-Partei werde zu neuer Hochform auflaufen.
Vielleicht liegt der Kommentator mit seiner Einschätzung richtig – vielleicht auch nicht.
Es ist gut vorstellbar, dass die Johnson-Tories eine allgemeine Wahl auch zu einem späteren Zeitpunkt für sich entscheiden können – wenn sie nämlich “darstellen können”, dass sie von einer feindlichen Remainer-Mehrheit daran gehindert wurden “zu liefern”.
Man wird sehen.
Eine ewiges Auf-die-lange-Bank-Schieben vorgezogener Neuwahlen – wie von den hiesigen Medien suggeriert – ist freilich wenig wahrscheinlich.
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