Andrew Bacevich, ein “public intellectual” in den USA, resümiert die 25 Jahre seit dem Ende des Kalten Kriegs und kommt zum Schluss, dass die Staaten unter Clinton, (George W.) Bush und Obama an der Etablierung einer neuen Moderne gescheitert seien und dass die Rechnung dafür Donald Trump heiße. Der Autor, der zu ca. 95% mit der übrigen Intelligentsia übereinstimmt, erlaubt sich hier eine abweichende Meinung: Der aktuelle US-Präsident sei nicht besonders bemerkenswert und sein Erfolg gehe zum Gutteil auf obsessive Feinde zurück. Auf der Suche nach einem neuen Konsens stößt Bacevich – erraten – auf den Klimawandel.
Ausgangspunkt des Rückblicks ist die Frage einer Romanfigur John Updikes:
Without the Cold War – what’s the point of being American?”
Bacevichs Versuch einer Beantwortung geht dann ungefähr so:
Es gibt heute zwar kein spezielles Argument mehr dafür US-Bürger sein zu wollen, aber die Erfahrung zeigt, dass es ohne Sendungsbewusstsein nicht geht.
Wie schon bei der Abschaffung der Sklaverei würden sich die Bürger erneut um ein großes Anliegen (einen “large cause”) versammeln – beispielsweise um den Kampf gegen Klimaveränderungen.
Damit könne ein neuer Konsensus geschaffen werden, nachdem der seit dem Ende des Kommunismus geltende alte zerbrochen sei.
Die bisherige Übereinkunft habe auf einem
- globalisierten Neoliberalismus,
- der militärischen Leadership der USA,
- auf einem aller traditionellen Schranken entkleideten Freiheitsbegriff sowie
- einer imperialen Präsidentschaft basiert.
Die Vereinigten Staaten hätten nun aber binnen kurzer Zeit die Früchte ihres Siegs im Kalten Krieg verjuxt.
Ende 2016 hätten die Wähler dann den geschilderten Post Cold War Consensus aufgekündigt, Politikern, die für diesen stünden, die Gefolgschaft verweigert und Trump gewählt.
In all seiner gloriosen Peinlichkeit sei DJT nicht Ursache, sondern Konsequenz eines Vierteljahrhunderts politischen Versagens.
Trump verkörpert für Bacevich die Absage des Elektorats an die jüngste Ideologie der amerikanischen Eliten – in gewisser Weise aber auch deren Krönung.
Die chattering class des Landes, die politisierenden Schwätzer, hätten diesen “vulgären business man” dagegen stets als säkulären Antichristen und Alleinschuldigen porträtiert und ihn mit unablässigem Hass verfolgt, wie bei Melville Käpt’n Ahab den großen weißen Wal, der ihm einst ein Bein abgerissen hat.
Die Geschichtsschreibung, meint B., werde den 45. Präsidenten als wenig erwähnenswerte Übergangsfigur zeichnen, womöglich vergleichbar mit einem seiner Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert, der nach einem Monat im Amt verstorben war.
Trump habe zwar seine Wahlversprechen von vor drei Jahren mehrheitlich nicht eingelöst, andererseits aber auch nicht jene Horror-Taten gesetzt, die nach dem 8. November 2016 prophezeit worden waren.
Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, Presse-, Versammlungs- und Glaubensfreiheit seien wie gehabt intakt.
Trump, glaubt Bacevich, rüttle real weder wirtschafts- noch außenpolitisch an den Grundfesten des Imperiums der vergangenen 25 Jahre, denn
- die wirtschaftliche Globalisierung sei auch heute gelebte Praxis,
- die USA blieben nach wie vor der NATO verpflichtet und
- der angeblich drohende außenpolitische Isolationismus sei ein unrealistisches Schreckgespenst.
Ein Abgehen davon würde nämlich auch die Zurückweisung der Beteiligung am 2. Weltkrieg bedeuten, der als unzweideutig guter Krieg eine Art “moderner Gründungsmythos” geworden sei.
Bacevich selbst, der beharrliche Kritiker des US-amerikanischen Imperiums nach 1990, heißt die US-Beteiligung daran gut (obwohl er sich von den trickreichen Kriegstreiber-Methoden des damaligen US-Präsidenten distanziert).
Finanzkapitalismus & Imperiale Präsidentschaft
Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage nach der historischen Konsistenz, ev. sogar des gesamten Räsonnements von Bacevichs Erzählung.
Problematisch ist schon die Aufzählung der vier konstitutiven Elemente des Post Cold War Consensus. Wenigstens zwei davon – die Nummern zwei und vier – sind lange vor 1990 grundgelegt worden,
und beim ersten Punkt, dem globalisierten Neoliberalismus fehlen entscheidende Bestimmungsmerkmale – zum Beispiel der “jeder Bodenhaftung entkleidete US-Dollar” sowie die schier unbeschränkte Kreditschöpfung durch kommerzielle Banken und deren Anstifter, der Federal Reserve.
Das Kernproblem freilich, könnte man argumentieren, sei weder die neue Welthandelsorganisation noch der “corporate capitalism”,
sondern ein weltweit ausgerollter Finanzkapitalismus (der eigentlich gar kein Kapitalismus ist).
Dieser kann ohne Weiteres Hauptverursacher der ins Kraut schießenden Vermögensungleichheit sein.
Immerhin, lässt sich sagen, trifft hier Bacevichs zeitliche Verortung zu (obwohl dieses “Kapitel” wenigstens 20 Jahre vorher begonnen hat – nämlich beim “Gold-Problem” der USA und Nixons “Lösung”).
Sicher keine “Neuerwerbung” ist der laufende Machtzuwachs der US-Präsidentschaft, der – wohl zurecht – als eine Hauptwurzel allen Übels begriffen wird.
Wahrscheinlich hatten Clinton, Bush d.J. und Obama gar keine herausragende Rolle in diesem Prozess, der schon zu Zeiten Abraham Lincolns begonnen und der mit Franklin D. Roosevelt einen regelrechten Turboschub erlebt hat.
Dass das Präsidentenamt zulasten der anderen Regierungszweige (Parlament, Justiz) immer mehr Kompetenzen bekommen hat, hat vor Donald Trump im Establishment freilich noch niemanden gestört,
weil die staatstragenden Parteien sozusagen alternierend die Präsidenten gestellt und damit indirekt vom Machtzuwachs des Weißen Hausses profitiert haben.
Das könnte sich mit Trump geändert haben – ebenso wie der bisherige Charakter der Präsidentenwahlen – der 3. November 2020 wird wohl darüber Aufschluss geben.
Das ist auch der Stichtag, an dem Trump den Wählern Rechenschaft legen muss, ob die Truppen aus dem Größeren Mittleren Osten tatsächlich heimgeholt werden, wie 2016 versprochen (hier findet sich eine Karte mit der aktuellen Truppenstationierung).
Wie bei der Immigration sind die massiven institutionellen Widerstände gegen Trump auch hier schwer zu übersehen.Eine reine Luftnummer wird das Elektorat dem POTUS aber wohl nicht durchgehen lassen.
Andrew J Bacevich, The Age of Illusions. How America Squandered Its Cold War Victory 2020
Andrew J Bacevich, Twilight of the American Century. 2018
Andrew J Bacevich, America’s War for the Greater Middle East: A Military History. 2016
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