Einleitung zum “Staatsstreich in Zeitlupe” – Kapitel 1

 

Europa bestraft sein verzogenes Kind Griechenland (Krieg um Kreta 1896)
Europa bestraft ihr verzogenes Kind Griechenland (Krieg um Kreta 1896)

Bis 2010 hätte man das “europäische Projekt” der politischen Klassen noch für einen normalen Versuch halten können, eine epochale politische Veränderung kontrolliert herbeizuführen – wäre man naiv genug gewesen, die Geschehnisse um den Verfassungsvertrag und den Vertrag von Lissabon zu ignorieren. Das ist seit drei Jahren aber selbst dem Naivsten nicht mehr möglich.

Die Eurokrise wurde benutzt, einen “Abkürzer” bei der politischen Einigung des Kontinents zu nehmen. Veränderungen, die nicht wie bisher heimlich und scheibchenweise erledigt werden konnten, wurden unter dem Druck einer angeblichen Notsituation in Windeseile durchgezogen. Beispielsweise der umstandslose Zugriff der Union auf die Steuerleistung der Nationen über den ESM sowie auf das Budget über den Fiskalpakt. Damit ist die finanzielle Souveränität der nationalen Parlamente endgültig Geschichte.

Rettungsschirm und Fiskalpakt waren aber nur die letzten Schritt auf einer 15 Jahre währenden Reise, auf der fünf rotschwarze und zwei schwarzblaue Regierungen die Unabhängigkeit des Landes untergraben haben – mit einer Taktik, die am gesamten Kontinent verwendet wurde: dem Schaffen vollendeter , unumkehrbarer Tatsachen. Der Dokumentation dieses Vorgehens ist ein Gutteil des hier vorgelegten 300-seitigen Texts gewidmet.

Die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit wäre im Prinzip in Ordnung gegangen, wenn das Staatsvolk, von dem laut Verfassung “alle Gewalt ausgeht”, seine Zustimmung gegeben hätte. Das war aber nicht der Fall. Die nach 1995 unterzeichneten EU-Verträge mochten legal gewesen sein, legitim waren die wenigsten von ihnen.

Der Beitritt zur Union 1995 war mit einer Zustimmung von zwei Dritteln der Wähler bei einer hohen Wahlbeteiligung zweifellos gerechtfertigt, denn das Votum war frei (obwohl an der Fairness Zweifel erlaubt sind).

Mit dem Referendum von 12. Juni 1994 haben die Österreicher aber keine Blankovollmacht , sondern ein begrenztes Mandat erteilt. Sie stimmten der Teilnahme an einem Freihandelsblock zu, der die Außenzölle vereinheitlicht hatte und gerade dabei war, sich in einen Binnenmarkt zu verwandeln (ein Vorgang, der heute, 2014, noch immer nicht abgeschlossen ist.) Und sie haben die Resultate der Beitrittsverhandlungen und die Übernahme des damaligen EU-Rechtsbestands gebilligt. Nicht mehr und nicht weniger.

Es wurde über einen konkreten Vertrag zwischen der EU und der Republik Österreich abgestimmt – aber nicht über eine gemeinsame Währung, nicht über die faktische Aufgabe der Neutralität, nicht über einen europäischen Verfassungsvertrag, nicht den Vertrag von Lissabon und schon gar nicht über die Garantie fremder Staatsschulden.

Das war damals eigentlich klar und wurde vor der Abstimmung auch höchst offiziell so kommuniziert – unter anderem vom heutigen Bundespräsidenten, der damals Nationalratspräsident war. Trotzdem dominiert in der Öffentlichkeit bis heute die Persilscheintheorie, nach der die Stimmbürger der Regierung eine quasi unbeschränkte Handlungsvollmacht gegeben hätten. (Zusätzlich wird darauf verwiesen, dass die jeweiligen Regierungen bei regulären Parlamentswahlen mit Mehrheiten ausgestattet wurden).

Jedenfalls hat die Regierung diesen angeblichen Freibrief auf eine Weise genutzt, die man kaum anders bezeichnen kann denn als kalten Staatsstreich, eine Taktik, die auch in allen Ländern der Union Verwendung fand.

Dessen Vollendung wird von einem erneuten, diesmal “echten” verfassunggebenden Konvent erwartet, der Ende 2014 stattfinden soll (und den man momentan offenbar verschieben will).

Das “Problem” für die Europäisten besteht darin, dass ein neuer Staat wohl nur dann als legitim angesehen würde, würde die Bevölkerung in irgendeiner Form dazu befragt – wenigstens unter “normalen”, friedlichen Bedingungen.

Diesem Problem werden die Befürworter eines europäischen Superstaats auf unterschiedliche Weise beikommen wollen.

Manche werden geltend machen, dass es gar keine Notwendigkeit für eine direkte Volksabstimmung gebe und dabei auf historische Beispiele verweisen wie beispielsweise das deutsche Grundgesetz 1949 oder die Schweizer Verfassung von 1848, die von einer Mehrheit der Kantone angenommen werden musste. (Es gab ein Referendum, aber nur 20 Prozent der Bevölkerung waren stimmberechtigt. 15,5 Kantone stimmten damals zu).

Die Verfassung muss durch die Teilstaaten angenommen werden, aber sie müssen das nicht unbedingt einstimmig tun“, doziert ein Experte. „Wenn die Zahl der zustimmenden Staaten eine von der Verfassung bestimmte kritische Schwelle überschreitet, ist letztere für die Staaten, die dagegen gestimmt haben, (normalerweise) trotzdem verbindlich.“

Ein solches Szenario wäre ein beinahe ideales Szenario für die “Proeuropäer”. Es würde bedeuten, dass auch Vertreter, die die Verfassung ablehnen, zwangsverpflichtet – oder besser: gegen ihren Willen shanghait werden können.

Trotzdem wäre dies nur ein Teil der Lösung, denn es wäre schwer möglich, ein direktes Votum vollkommen zu vermeiden. Im 21. gehen die Uhren etwas anders als im 18. oder 19. Jahrhundert.

So müsste wenigstens ein paneuropäisches Referendum arrangiert werden, ein Plebiszit für 500 Millionen Europäer. In einem solchen besteht aus heutiger Sicht die einzige reelle Erfolgschance für die Europäisten. Parallel zur Vorbereitung einer europaweiten Volksabstimmung würden die mit den Integrationsbefürwortern verbundenen “Kartellparteien” versuchen, nationale Referenda zu verhindern – zumindest in den für das Gelingen ausschlaggebenden großen und zentral gelegenen Staaten.

Natürlich wäre das in den meisten Fällen eine Verletzung sowohl von nationalen Verfassungsprinzipien als auch der im internationalen Recht verankerten Selbstbestimmung der Völker. Versucht würde es wohl trotzdem werden. Nur im äußersten Notfall müsste zu nationalen Abstimmungen gegriffen werden (für freilich auch Notfallpläne entwickelt werden – ich werde mich in einem eigenen Posting damit beschäftigten). Ein weiteres Alternativszenario ist eine Krisensituation, in der man argumentieren könnte, es mit demokratischen und rechtsstaatlichen Standards nicht so ernst nehmen zu müssen.

Das Basisszenario, auf das man sich seit Jahren vorbereitet, dürfte jedoch das einer europaweiten Volksabstimmung sein.

Beispielsweise in Österreich.

Seit dem Scheitern des ursprünglichen EU-Verfassungsvertrags 2004/05 durchdenkt man auf dem Ballhausplatz (Regierung, Bundespräsident) ein solches Endgame. Die bevorzugte Lösung des „Problems“ tauchte andeutungsweise sogar im Regierungsprogramm 2008 auf – wurde aber aus taktischen Gründen aus dem Programm der heute aktuellen Nachfolgeregierung entfernt.

Der Schlachtplan ist trotzdem klar. Er lautet: Ermögliche nach Tunlichkeit keine Volksabstimmung. Kann eine solche nicht vermieden werden, dann stell’ wenigstens sicher, dass du das „richtige Volk“ dazu befragst – nämlich jenes, das deine Wünsche am wahrscheinlichsten gutheißt: die 500 über den Kontinent verstreuten Europäer.

Ab heute, Sonntag Abend sind das Vorwort und die Einleitung in Volltext abrufbar.

Foto: Shuppiluliuma, Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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