
Dieser Blogger, der u.a. die Klima-Story diverser Kohlendioxid in der Atmosphäre-Wachler “nicht kauft” und der sich seit Jahren mit moderner Propaganda auseinandersetzt (siehe z.B. hier), hat auch wenig für ein G’schichterl übrig, das in der “kontrollierten Öffentlichkeit” vor zwei Jahren Furore gemacht hat – siehe dazu u.a. hier und hier – und das bis heute als statistisches Kuriosum fortbesteht, obwohl es nach den bisher bekannten Fakten praktisch unmöglich ist. Es geht um die von allen möglichen Behörden & Experterln geteilte Behauptung, dass die Russische Föderation nach den Selbstmord-Sanktionen der EU in Indien einen neuen großen Kunden für sein Ural-Öl habe finden können,
der im Rahmen eines profitablen Dreieckshandels noch (zusätzliche) Raffinerie-Margen einsacken könne, die womöglich über das hinausgehen, was russische Produkten-Lieferanten oder europäische Raffinerien einstreifen.
Während die Originalgeschichte ohne weiteres dem Liederbuch russischer Desinformation entstammen könnte, scheinen auch westliche Kriegstreiber Gefallen an der Story gefunden zu haben,
die es immerhin ermöglicht, gegen den Feind im Osten zu mobilisieren, etwa mit der Saga der im Bösen so kompetenten russischen “Schattenflotte”.
Das ursprüngliche Narrativ ist heute aus den Meldungen verschwunden, hält sich wie ein informationeller Zombie aber in den meisten Statistiken sowie unter angeblichen oder wirklichen Fachleuten, die sich letztlich nur darauf berufen können.
- was die Behörden im Ausgangshafen vermelden,
- vermehrt um transpondergestütztes “vessel tracking”, das anscheinend den entscheidenden Unterschied zwischen Seemannsgarn und seriöser Information ausmacht.
Zunächst eine erste Annäherung über die Statistik, hier im Spiegel der jüngst erschienenen neuen Statistical Review, die die Ganzjahreszahlen 2024 enthält.
Hier zeigt sich tatsächlich ein explosionsartiger Anstieg der russischen Lieferungen von Rohöl (“Crude”) nach Indien, speziell in den Jahren 2023 und 2024
- etwas, das höchst erklärungsbedürftig ist, für das allerdings auch andere, IMO plausiblere Erklärungen existieren als die von den Lieferanten bevorzugte.
Zunächst eine Tabelle mit den Werten der Statistical Review seit 2019, die traditionell von BP, seit drei Jahren aber vom Energy Institute zusammen getragen wird.
Die Werte sind den jeweiligen Tabellen zu den “Inter-area movements” entnommen, jeweils in Millionen Tonnen pro Jahr gefasst. Aus Gründen der Arbeitsökonomie und weil weiter unten mit dem plausibleren Beispielfall der Volksrepublik China verglichen wird, stehen in der letzten Zeile die Werte der “PRC”.
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
IN | 2,9 | 2,6 | 4,5 | 52,4 | 81,8 | 87,5 |
VRC | 77,7 | 83,4 | 79,6 | 86,2 | 107,0 | 108,5 |
Diese Statistk weist also fast eine Verzwanzigfachung der russischen Rohöl-Lieferungen binnen drei Jahren aus.
Ist “in der wirklichen Welt” so etwas überhaupt möglich?
Unter extremen Umständen, wohl ja
- wenn beispielsweise eine bestehende, bisher aber nicht genutzte Pipeline binnen kurzer Zeit “voll aufgedreht” und womöglich über ihre technische Kapazitätsgrenze hinaus “hoch gefahren würde”.
- Aber zwischen Russland und Indien gibt es keine “direkte Pipeline”, nicht einmal eine “indirekte”, beispielsweise über den Iran.
- Im Bereich des Möglichen liegt auch eine Art “Shuttleverkehr” mit großen Schiffen über relativ kurze Distanzen, wie z.B. von Primorsk nach Rotterdam oder von Kozmino “um die Ecke”, in irgendeinen ostchinesischen Hafen. Aber auch diese Umstände treffen für den Fall Russland und Indien nicht zu. Primorsk (oder Ust-Luga) liegt “eine halbe Welt” vom nächstgelegenen leistungsfähigen indischen Öl-Hafen, Mumbai, entfernt, wenigstens drei Wochen für einen Öltanker, der zuerst Europa umrunden und die Meeresenge von Gibraltar durchqueren müsste, danach durch das Mittelmeer bis Port Said fahren, sodann den Suez-Kanal passieren, das Rote Meer, die Meeresenge bei Aden, weiter ostwärts, an der Arabischen Halbinsel vorbei und zum Schluss die Arabische See queren. Dieser Blogger ist kein Seefahrer, aber drei Wochen sind für diese Route zweifellos “unteres Minimum”.
- Um aber bei dieser Strecke auf dem Meer 81,8 Millionen Jahrestonnen, also knapp 1,8 Mio. Barrel pro Tag zu transportieren (zur Umrechnung siehe z.B. hier), benötigte man 40 bis 50 moderne Schiffe der Suezmax- oder entsprechend mehr der Aframax-Klasse, über die die Moskowiter Geisterflotte mit ihren kleinen Schrotkähnen anscheinend nicht bzw. nicht ausreichend verfügt – nicht nach dem, was für diesen Blogger bisher zu lesen war. Also entweder haben die Russen mehr “in der Hinterhand als sie offen zeigen”, oder die westlichen Experterln haben ein unbekanntes Motiv, diese eher groteske Story nicht zu zerpflücken.
Der Vergleich mit dem russischen Ölkunden China dient der Wahrheitsfindung zu Indien auch nicht besonders
- außer insofern, dass die oben tabellarisch dargestellte Zahlenreihe viel glaubwürdiger ausfällt als die indische.
Warum?
- Wie man sehen kann, fallen die Liefer-Zuwächse nach China seit 2019 viel moderater aus als jene bei Indien
- und selbst der relativ große Sprung zwischen 2022 und 2023 basiert a) auf einer bestehenden “Export-Infrastruktur” (ESPO, Kozmino) und ist b) auch insofern plausibel, als dies jener Zeitraum ist, in dem “Europa” närrischerweise, aber mit großartiger Geste auf russische Fossil-Exporte verzichtet hat (“Sanktionspakete”).
- Das ist insofern relevant, als China in Sachen russisches Erdöl sehr wohl ein “Nahrungs-Konkurrent” der EU ist, anders als bei Erdgas, wo der Wettbewerb höchstens in den Köpfen russischer Propaganda-Fexe und ihrer Adepten stattfindet.
- Das ist ein Thema, das eine längere Darstellung vertragen würde, hier soll jedoch der Hinweis auf die relativ neue Eastern Siberia – Pacific Ocean-Pipeline (ESPO) genügen, die westsibirisches Öl aus Oblasten “hinter demUral” nach China fließen lässt. Tomsk und Tjumen sind aber genau jene Gegenden, aus denen das meiste Öl für die europäischen “Druschbas” und das “Baltische Pipeline-System” mitsamt dem neuen Ölhafen Primorsk stammte.
- Die neue ESPO ist zwar “nicht ganz so mächtig” wie die bereits existierende russische Öl-Exportinfrastruktur nach Europa, die ja schon zu Sowjetzeiten grundgelegt wurde, aber eine Tortengrafik im letzten “Russian Crude Oil Tracker” Bruegels zeigt, dass Europa schon 2021 gegenüber China nur mehr knapp die Nase vorn hatte. Mittlerweile hat sich das Bild zweifellos radikal umgedreht. Es fließt sanktionsbedingt praktisch kein russisches Öl mehr nach Europa, und wer sich noch wehrt – wie z.B. die ungarisch kontrollierte Raffinerie Slovnaft – wird mittels Steuerschulden Maier gemacht; weder über Pipelines, noch über die Ostsee kommt noch russisches Öl nach Europa. Dafür dürfen wir Euros uns an “exzellenten Haltungsnoten beim Sterben” ergötzen.
Nun gibt es gute Argumente dafür, “dass es das mit dem Goldenen Zeitalter jetzt war”, dass “die Geologie” nicht mit sich argumentieren lasse und man sich in sein Schicksal eben fügen und das Beste aus den Gegebenheiten machen müsse.
Das mag längerfristig alles richtig sein, ist aber frivol gegenüber der Generation unserer Töchter und Söhne.
Bild: *** Fanch The System !!! ***, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons
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