Die “kognitive Kriegsführung” der Generation Raumschiff Enterprise

cover_Gehl_resized“Beam me up, Scotty” lautet das heimliche Motto vieler Boomer-Altersgenossen und leider scheint dieser Wahlspruch an Millenials & Zoomer weitergereicht worden zu sein (die Gen X-Menschen, die dieser Blogger kennt, lassen kein eindeutiges Urteil zu). cover_Togel_resizedDie Utopie-Versessenheit der Mutter-Generation Raumschiff Enterprise lässt sich auch an der sg. Forschungsliteratur über zeitgenössische Propaganda ablesen – obwohl, davon unabhängig, sich in einigen dieser Elaborate interessante Informationen und “Neustrukturierungen des Materials” finden.

Glaubt man diversen Beam me up-Ideologen in Software-Branche und Parteizentralen ist die überall vermutete technische Zukunft bereits heute Gegenwart,

was in allerlei kommerziell motivierte Prahlereien, Albträume im Wachzustand und heillos widersprüchliche Analysen mündet.

Immerhin kann durch derlei Fantasmen sichtbar werden, wo einst liberale politische Systeme noch enden können, wenn sich alles so entwickelt wie erwartet wird ( = “wenn linear extrapoliert wird”).

  • Der vielleicht prominenteste Fall von Fehl-Analyse durch Journaille, Academia und US-”Demokraten” war der unerwartete Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen Ende 2016. Hintergrund des folgenden, geradezu grotesken “dystopischen Narrativs”, mit dem das Unerwartete rationalisiert werden konnte, war die Unfähigkeit eines Teils des US-amerikanischen Politgesindels, sich die abgrundtiefe Unzufriedenheit des Elektorats mit dem “Establishment” in Washington sowie in den Hauptstädten der US-Einzelstaaten vorzustellen. Selbst wenn Pro-Trumpisten oder Moskowiter-Geheimdienste alles versucht haben, was ihnen vorgeworfen wurde (und ihnen das Versuchte voll gelungen wäre) – wie soll das die Wahlentscheidungen von 158 Millionen registrierten Wählern nennenswert beeinflusst haben (die Argumentation etwa durch die Jamieson ist nicht einmal für die drei damaligen “Swing-Staaten” überzeugend,).
  • Darauf aufbauend entwickelte sich das auch in Europa erzählte G’schichterl, dass “die Russen” dem bösen Donald zum Wahlsieg verholfen hätten, z.B. mit Bots und Hacking-Angriffen, was bei einem Kandidaten wenig plausibel ist, der im Schlips mit einemWrestler catcht und dessen Wähler bedauernswerte Rückständige aus dem Mittleren Westen sein sollen. Die Story vom “Hacking” US-demokratischer Server mochte wahlrelevanter gewesen sein und könnte tatsächlich Hunderttausende Bernie Sanders-Fans davon abgehalten haben, für die “demokratische” Kandidatin zu stimmen. Blöd nur, dass das möglicherweise illegal Beschaffte korrekt war, und dass auf diese Weise sowohl die “malkontenten linken Demokraten” als auch die “rechten, establishment-kritischen Trump-Wähler” bestätigt wurden. Die (il)legale Herkunft des Materials dürfte beiden Gruppen jedenfalls ähnlich schnurz sein.
  • Nun gab/gibt es in russischen Geheimdiensten sowie “ausgelagert” sehr wohl “Spezialisten” bzw. tageslöhnerartige Cyber-Krieger z.B. in der Internet Research Agency des mittlerweile angeblich umgebrachten Jewgeni “Tropenhut” Prigoschin – aber das Tamtam, das um dessen Petersburger “Troll-Fabrik” gemacht wird, sagt wohl mehr über “den Westen” selbst aus als über das politische System der Russen.

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Newsweek glaubt herausgefunden zu haben, dass das Pentagon in den vergangenen Jahren eine Truppe von 60.000 Cyber-Trollen aufgebaut hat

- und auch wenn die angebliche Truppenstärke nicht ganz stimmen sollte, ist doch klar, dass Moskau – selbst vor den sogenannten Sanktionen – nicht die Mittel hatte, hier ernsthaft Paroli zu bieten.

(Natürlich haben die Russen schon immer versucht, ihre “westlichen Gegenspieler” nachzuahmen – geschenkt!)

So ziemlich jedes hiesige auch private Unternehmen, das sich inhouse eine PR-Abteilung leistet, hat Tastatur-Söldner dieses Schlags unter Vertrag und man muss schon an einer besonderen “kognitive Schwäche” leiden, wenn man glaubt,

dass solche Wesen in St. Petersburg existieren, in Washington und Westeuropa aber nicht.

Vielleicht ist es ja auch das traditionelle Konzept des Trolls, das für eine bestimmte Gruppe so furchterregend ist - eh schon wissen: Selma Lagerlöfs nordische Kobolde, die nichtsahnenden Bauern ihre Wechselbälger in die Wiege legen, etc.

Trolle oder MSM-Journos?

Der heutige Troll hat mit seinen folkloristischen Vorfahren aber nur wenig gemeinsam. 

Man könnte ihn/sie als milieu- und sprachkundige(n) Lohnschreiber/-poster(in) beschreiben, der/die freilich auf eine “zeitgenössische Umgebung” angewiesen ist: Blogs, Foren, Social Media jeder Art.

Wohlwollendere mögen die Figur eher als Influenza minus Starprinzip sehen.

“Bessere Cyber-Trolle”, die manchmal über einen eigenen Führungsoffizier verfügen, können mit der Zeit erstaunlich sachkundig werden,

werden aber wohl niemals gegen die Interessen häufiger Auftraggeber posten

(von “taktischen Elementen” wie Rhetorischen Fragen oder scheinbaren Zweifeln abgesehen).

Es kann sein, dass in Zukunft die Kontrolle über menschliche und nicht-menschliche Cyber-Krieger für die Akzeptanz durch die “politische Basis” wesentlich ist (sofern nämlich die Entwicklung wie vermutet weiter geht -  z.B. in Sachen Elektrifizierung und “Smartphonisierung”)

- in den bisherigen Fällen freilich waren herkömmliche Multiplikatoren bzw. Verstärker ausschlaggebend:

traditionelle Massenmedien, Schulen & Universitäten sowie andere Institutionen.

Das gilt für den Westen mit seinem Rebranding historischer Seuchenerfahrung (zu “Pandemie”) oder jenem von Erderwärmung zu Klimawandel;

(auch der westliche Schmäh mit – ursprünglich wohl genuinen -”islamistischen Freiheitskämpfern am geheimdienstlichen Gängelband” ist Jahrzehnte alt,

wird anscheinend aber immer noch als zugkräftig empfunden, wie sich bis heute in Israel zeigt.)

Vermutlich hat der Primat der herkömmlichen “Medien” aber auch für die östlichen politischen Systeme seine Gültigkeit (für die hier allein aus sprachlichen Gründen vorsichtiger formuliert wird).

Einzelne östliche “PsyOps” haben es sogar geschafft, die Sprachbarriere zu überspringen und unter Skeptikern westlicher Narrative Zugkraft zu gewinnen 

- zum Beispiel (wie dieser Blogger meint) die Story vom russischen Rohöl für Indien

(trotz fehlender Pipeline sowie dem Umstand, dass das sg. Schwarze Gold aus Russland zuallererst durch den Suez-Kanal müsste, bevor es in Mumbai landet; was es damit vermutlich auf sich hat, siehe hier).

Wie in den Fällen Klima/Energiewende und Corona sind auch hier traditionelle Massenmedien und ist nicht etwa hoch modernes “Mikro-Targeting” unter Zuhilfenahme von Big Data entscheidend, nämlich:

Die “internationalen Agenturen” Bloomberg und Reuters sowie herkömmliche, auf die Endverbraucher zugeschnittene Massenmedien, elektronisch und in Print.

Ein anderes Beispiel für eine durchaus “Empire-kritische Psychologische Operation” unbekannten Ursprungs bieten große Teile der Venezuela-Berichterstattung seitens traditioneller & alternativer Medien.

Getreu dem kurzschlüssigen Motto “Der Feind meines Feindes ist mein Freund” biedern sich diverse Aktivisten beim Maduro-Regime an und stehen bereit, die Saga vom fortbestehenden Ölreichtum des Landes nachzuplappern

– ohne dass auch nur “ein Gramm Problembewusstsein” hinsichtlich des erst vor 15 Jahren in den Reserven-Status erhobenen schweren und extra-schweren Öls, also des natürlich vorkommenden Bitumen im Orinoco/Chavez-Gürtel vorhanden wäre, siehe z.B. hier.

Tögel & Gehl/Lawson

An dieser Stelle sei auf zwei jüngere Bücher hingewiesen, die zwar beide auf den “letzten Schrei” abzielen (Propaganda mittels Social Media),

die aber alles andere als “geschichtsvergessen” sind.

Sowohl der deutsch- wie auch der englischsprachige Text stellen die heutige “cognitive warfare” bzw. das “mass personal social engineering” in eine Traditionslinie,

die vor 100 Jahren begonnen und im Ersten Weltkrieg sowie in Bernays und Goebbels frühe Galionsfiguren gefunden hat.

Da ist einmal die “Kognitive Kriegsführung” des Regensburger Propaganda-Forschers Jonas Tögel, der über die militärische Nutzung von “Persuasion” im westlichen Militärbündnis schreibt (“Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO”).

Die “menschliche Sphäre” werde von der NATO als sechster Kriegsschauplatz gesehen, zusätzlich zu jenen der drei herkömmlichen Waffengattungen “plus Cyberspace und Weltall”.

Das Ziel dieses Buchs ist letztlich die “digitale Manipulation” in der Kriegspropaganda des Westens, weil diese ja auch das größte Faszinosum offiziöser Veröffentlichungen sowie NATO-freundlicher Wissenschaftler ist.

Man muss Tögel aber zugute halten, dass

  • der Autor gut ein Viertel seines Texts drauf verwendet, eine Art Vorgeschichte der Propaganda seit dem ersten Weltkrieg zu schreiben und dass er dabei
  • auch nicht auf die Schnittmenge zu angeblich´rein zivilem Nudging vergisst. Anhand der Figur Edward Bernays macht Tögel den Entstehungsort und die Verzahnung von historischer Kriegspropaganda und kommerzieller Reklame klar. Deutlich wird aber auch, dass die traditionell in bloß eine Richtung erfolgende Propaganda unter den neuen Bedingungen zum “Informationskrieg” mutiert.
  • Letztlich gerät Tögel auf scheinbare ideologische Abwege wie etwa diverse Anti-Corona-Maßnahmen, die “Militarisierung der Neurowissenschaften” oder die “Verschmelzung von Mensch und Maschine”; die auf den ersten Blick eigentlich gar nichts Militärisches an sich haben – die in diesem Zusammenhang aber nicht zufällig thematisiert werden.
  • Ernsthaft kritisch soll immerhin angemerkt werden, dass T. darauf verzichtet, das entsprechende “Arsenal” der NATO-Feinde wenigstens ansatzweise unter die Lupe zu nehmen – ob das nun mit der Themenstellung seines Buchs, sprachlichen Gründen oder dem Fehlen bzw. der Unzugänglichkeit russischer, iranischer oder chinesischer “Literatur” zuzuschreiben ist. Er macht damit (“spiegelbildlich”) das gleiche, was Gehl/Lawson bezüglich USA/NATO vorgeworfen werden kann.

Eine Art Gegenstück zum Text des Deutschen ist der Band “Social Engineering” der beiden soeben erwähnten Professoren Robert Gehl und Sean Lawson (Ruston LA, Salt Lake City UT).

Der historische Abriss inklusive der Strukturierung der Propaganda demokratischer Staaten seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist weitgehend überzeugend, nämlich

  • des massenhaften Sozialen Engineering durch “Crowdmasters” (Massenmedien)
  • des folgenden “individuellen”, gezielten Social Engineering durch meist wohlmeinende Phreaks und Hackers (“interpersonal Social Engineering”; frühes Internet)
  • sowie des “mass personal Social Engineering”, das erst von Big Data und Social Media ermöglicht wird (Gegenwart).

Diese Grob-Struktur ist mE “hermeneutisch sinnvoll” und spiegelt die Kontinuität (quasi)staatlicher (Kriegs-)Propaganda 1914 – ’18 bis zum “Mikro-Targeting” der Gegenwart wider.

Man könnte diese Struktur auch als “historische Folie” interpretieren, auf der sich das – stark dem technologischen Wandel unterworfene – “manufacturing of consent” abspielt,

was diesem Rezensenten nahe liegt (liegen würde).

Das trifft sich freilich weder mit der Intention noch dem buchstäblichen Text der beiden Autoren (worüber hier nicht allzuviel geschrieben werden soll).

Die bewerten frühes und heutiges “Social Engineering” nämlich völlig anders.

Während geradezu liebedienerisch über den “Vater der PR”, Bernays, und dessen Frau Doris Fleischman geschrieben wird, sowie den frühen “demokratisch-technokratischen Sozialreformern” Rosen gestreut werden (wenigstens für deren gute Absichten),

wird das aktuelle personalisierte massenhafte Sozialengineering als exklusive Domäne (politisch-moralisch) böser Akteure gekennzeichnet; als Herrschaftsgebiet von Cambridge Analytica und dessen Auftraggeber Donald Trump sowie der russischen Geheimdienste, die sich, kruziwuzi, in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt haben.

Von Cyber-Spezialisten und Trollen im Auftrag des Imperiums scheint Leuten wie den beiden Autoren nichts bekannt zu sein

- notfalls ignoriert man halt Sachverhalte & Berichte, die einem nicht in den Kram passen.

”Nuff said”.

Fazit

Nur um diese allmählich ermüdende Chose eindeutig abzuschließen:

Donald J. Trump wurde im November 2016 nicht auf Basis von in der Zukunft liegenden Extrapolationen der amerikanischen Generation Raumschiff Enterprise gewählt, sondern weil dieser “Rechts-Popo” seit Jahren aus Funk und Fernsehen bekannt war und

  • nicht zum von vielen Wählern verabscheuten “Sumpf” aus Berufs-Politicos, Hochbürokratie und “Experten” (“tiefer Staat”) gehörte.
  • Vielleicht (aber nicht sicher) hat bei dieser Wahl auch die imaginierte Souveränität eines milliardenschweren Firmenchefs eine Rolle gespielt

(und wer’s nicht glaubt, soll’s bleiben lassen).  :-P

Unabhängiger Journalist

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