Gambit mit Erdöl und Kredit: Eröffnungszüge im Wirtschaftskrieg

NorwayoilproductionandHubbert2013.svg
Die Produktionskurve Norwegens, des einzigen nennenswerten Erdölproduzenten Europas; Quelle: Wikimedia Commons

Russland soll mit einer Technik niedergerungen werden, die schon gegen die UdSSR erfolgreich war. Die wichtigste Devisenquelle, Erdöl, soll ausgetrocknet werden. Dummerweise kommen 42 Prozent der EU-Importe aus der früheren Sowjetunion – während sich die eigene Produktion im freien Fall befindet. Mal sehen, ob das Rezept von Opa Reagan auch heute noch so mundet wie damals.

Dabei setzt man auf eine Doppelstrategie. Zunächst geht es darum, den russischen Firmen das Fremdkapital abzudrehen – also Kredite fällig zu stellen und ein roll over bzw. eine Neuaufnahme zu verhindern. Dies hat deswegen Aussicht auf Erfolg, weil sich große russische Player zuletzt massiv im Westen verschuldet haben, um inländische Konkurrenten auf- und ausländische Akteure auszukaufen.

Paradebeispiel ist Rosneft, das zu 70 Prozent dem russischen Staat gehört. Rosneft wurden in den vergangenen Wochen offenbar so viele Kredite fällig gestellt, dass der Moloch seinen Hauptaktionär um sage und schreibe 42 Mrd. Dollar anschnorren muss.

Der zweite Teil der Strategie des Wirtschaftskriegs besteht darin, den Ölpreis zum Sinken zu bringen – die Wunderwaffe, mit der US-Präsident Reagan den sowjetischen Drachen besiegt haben soll. Die Preise sind von 1979/80 bis Mitte der Achtzigerjahre tatsächlich um 60 Prozent gefallen und dies hat die Deviseneinahmen der Sowjetunion zum Einsturz gebracht.

Bewerkstelligt wurde das angeblich dadurch, dass man den befreundeten Swing-Producer Saudiarabien die Ölmärkte fluten ließ. Das kann aber durchaus eine von Reagan selbst genährte Legende sein. Es ist aber unbestritten, dass Ölpreisverfall und Produktionsrückgang in den 1980ern wesentlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen haben. Das kann man zum Beispiel hier nachlesen.

Der Westen, der den Russen pikanterweise ständig vorwirft, Gas als Waffe einzusetzen, will nun den Erfolg von damals wiederholen, wie z.B. Philanhrop George Soros schon vor Monaten gemeint hat:

Soros
Screenshot Ria-Novosti

 Offenbar hat sich der “Markt” diese Anregung schon zu Herzen genommen:

Ölpreis
Screenshot: Finanzen.net

Ist ja eigentlich ganz einfach, meinte auch ein Forbes-Kommentator:

drive bankrupt_againDie Neocons, die – Obama hin, Kerry her – die US-Außenpolitik wieder fest im Griff haben, glauben alle, dass das kein Problem ist. Offen ausprechen tun das freilich nur diejenigen, die (wieder) eine “Privatmeinung haben dürfen”. Zum Beispiel Condoleeza Rice im vergangenen Mai:

“Die russische Wirtschaft ist verletzlich. (Aber) 80 Prozent der russischen Exporte bestehen aus Öl, Gas und Mineralien. Die Leute sagen, dass Europa die Energie ausgehen wird. Nun ja, den Russen wird das Cash ausgehen bevor den Europäern die Energie ausgeht.”

“Ich verstehe, dass es unbequem ist, die Geschäftsbeziehungen in Mitleidenschaft ziehen zu lassen. Aber das ist eines der wenigen Instrumente, die wir haben.” (…) “Wir brauchen jetzt strengere Sanktionen. Ich fürchte, dass diese an einem bestimmten Punkt Öl und Gas beinhalten müssen.”

“Über einen langen Zeitraum wird es notwendig sein, die Struktur der (europäischen) Energieabhängigkeit zu ändern. Sie wird sich mehr auf die amerikanische Energieplattform stützen müssen, den enormen Reichtum an Öl und Gas, den wir in Nordamerika finden.”

Das sind eigentlich ungeheuerliche Ausssagen. Ihre Ungeheuerlichkeit besteht nicht darin, dass Rice fest in der amerikanischen Ölindustrie verankert ist, deren Geschäfte sie offenkundig weiterbetreibt – denn “jeder Greißler lobt seine Ware.”

Das Atemberaubende besteht in der Mischung aus Wahrheit, der Verdrehung und Umbenennung von Tatsachen sowie mehr oder weniger subtilen Unwahrheiten.

Wahr ist zweifellos, dass die russischen Ausfuhren einseitig und Moskaus Wirtschaft deswegen ziemlich verletztlich ist. Das zugrundeliegende Kalkül der ökonomischen Kriegsführung kann, muss aber kein zweites Mal aufgehen.

Dass den “Russen das Cash ausgeht bevor den Europäern die  Energie ausgeht”, mag die Rice hoffen, das ist aber eine ziemlich gewagte Vorhersage. Der “verständnisvolle” Hinweis, dass ein Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland für die Europäer etwas  “uncomfortable” werden könnte, schlägt dem Fass aber den Boden aus.

Hallo ! Es geht hier nicht um die Umsätze von ein paar tausend deutschen Exportfirmen, es geht darum, dass ein Drittel des Importgases und 42 Prozent des europäischen Importöls aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion kommen – siehe hier.

oil_import_EU
31 Prozent aus Russland, 6 Prozent aus Kasachstan, 4,3 % aus Azerbaidjan – Zahlen EU-Kommission

42 Prozent ! Dies sollte bei Leuten, die des Lesens mächtig und die intellektuell in der Lage sind, eine Vorstellung von Größenordnungen zu entwickeln, Fragen aufwerfen. Dringliche Fragen an ihre  Politiker, die theoretisch ja dazu da sind, ihre Interessen zu wahren – die den Wahnsinn, der von den Spießgesellen der Rice vorgeschrieben wird, aber weitgehend mitmachen.

Und Der Medien-Mainstream – wie könnte es anders sein ? – hilft, eventuell vorhandene, populäre Bedenken über den Kriegskurs gegen dier Russen und die Folgen für die Ölversorgung auszuräumen.

Das Bild das die Medien zu diesem Zweck zeichnen, sieht etwa so aus:
Der Ölmarkt ist überversorgt….

glut_oil_FT
Screenshot: FT.com

… die Preise fallen daher und sie steigen auch bei politischen Krisen nicht an.

Ölpreis_folgt_neuen_Mechanismen
Screenshot: orf.at

Die USA sind auf so viel neues Öl gestoßen, dass sie nicht nur (bald) Selbstversorger sind, sondern “erstmals wieder” Öl exportieren.

welt_exportieren
Screenshot: welt.de

Das speziell für den flüchtigen Leser entstehende Gesamtbild ist ein ziemlicher Schmarrrn. Faszinierend dabei ist, dass nur wenig von dem, was im Inneren der Artikel behauptet wird, im engeren Sinn falsch ist. Die Kunst besteht darin, Eindrücke heraufzubeschwören, die einigermaßen oder vollkommen daneben liegen – die aber auch niemals als Tatsachenbehauptungen aufgestellt wurden, wie sich die Journos empört verteidigen würden.

Es geht darum, Fehlinformationen zu verbreiten ohne buchstäblich zu lügen. Das klingt zwar widersprüchlich, doch sündige Menschen, die  weder speziell moralisch noch extrem ehrlich sind, können erahnen, was gemeint ist. Der Ursprung dieser Täuschungen liegt oft auch nicht bei den Journalisten selbst, die dabei manchmal auch nur die “Sünde der Unterlassung” begehen.

Die Exportgeschichte ist nur ein Beispiel unter mehreren. Sie klingt im ersten Moment eindeutig, vor allem dann, wenn in diesem Zusammenhang Begriffe wie “erstmals” und “Richtungswechsel” auftauchen.

Dass die USA nach wie vor ein Nettoimporteur sind und 6,9 Millionen Barrel pro Tag einführen, hätte man binnen Sekunden auf Google finden können – aber dann wäre der schöne Spin wäre beim Teufel gewesen.

QS_Nettoimport
Screenshot: querschuesse.de

Ähnlich läuft das Spiel übrigens beim beim “supply glut”, beim Überangebot von Öl an bestimmten, punktuellen Märkten (Cushing, OK). In diesem Fall geht es nicht darum, eine Hälfte der Handelsbilanz zu ignorieren, sondern den Eindruck zu erzeugen, dass auf jeden Fall der “Markt” für die Preisbewegungen verantwortlich ist. Dass der Ölpreis mit Derivaten und dem Einsatz staatlicher Notreserven nach allen Regeln der Kunst gepflegt wird und daher gar kein echter Marktpreis ist, scheinen die Journos nie gehört zu haben (vielleicht haben sie Leute wie Soros nie wahrgenommen).

Über die Jahre hat sich über die Berichterstattung der Eindruck von “ample supplies”, reichlich vorhandenen Nachschubs verfestigt: Erdöl, besagt diese Sichtweise, ist ein jederzeit zu einem bestimmten Preis verfügbarer Rohstoff. Entsteht irgendwo ein Engpasss, steigt der Barrelpreis ein paar Dollar und die zufließende Menge erhöht sich.

Die Einschätzung der Versorgungssituation, die dabei daraus hervorgegangen ist, ist jedoch ziemlich illusionär. Das gilt speziell für Europa. Der Anteil der europäischen Eigenversorgung mit Öl hat sich in den vergangenen 12 Jahren von 33 auf 14 Prozent mehr als halbiert, während wegen politischer Strafmaßnahmen und kriegerischer Auseinandersetzungen drei mittelgroße Lieferländer verlorengegangen sind: Iran, Libyen und jetzt der Irak.

Wer in einer solchen Situation Sanktionen gegen einen vierten Lieferanten verlangt, der 32 (42 Prozent) der Importe bestreitet, will dem Kontinent bewusst die Ölversorgung abschneiden – oder nimmt dies billigend in Kauf.

Foto: Kockmeyer, Wikimedia Commons 3.0

 

 

 

 

 

 

 

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.