Das Versprechen, auf eine NATO-Expansion nach Osten zu verzichten, wurde 1990 zwar abgegeben – aber nie “mit Brief und Siegel versehen”. Die Zusage war schon für die im gleichen Jahr vollzogene deutsche Wiedervereinigung zentral. Die Causa spielt bis heute, in die aktuelle Ukraine-Krise hinein, eine wichtige Rolle.
Vorbemerkung: Eigentlich hab’ ich mir geschworen, ein paar Posts über ein anderes Thema einzustreuen, weil ich kein “one trick pony” werden möchte. Diesen Vorsatz muss ich brechen, weil ich ein Email von einer (früher?) befreundeten Person erhalten habe, das mich ärgert.
Am meisten ärgert mich die Verwendung von Denkschablonen, deren einziger Zweck darin besteht, nicht genehme Gedanken in das Reich des Verbotenen zu verweisen und trotzdem einen konzilianten und gebildeten Eindruck zu hinterlassen. Ich tue mir im konkreten Fall schwer, diese Haltung anders als als mit einem freiwilligen Verzicht auf Recherche zu interpretieren.
Weil das privatim Geäußerte aber ein weit verbreiteter Trugschluss ist, ist es mir ein Anliegen öffentlich dazu zu schreiben. Leider ist es mir untersagt, das Mail direkt zu verwenden. Ich respektiere das, aber es geht auch auf andere Weise.
Unser Thema ist die Rolle der USA im Konflikt um die Ukraine und die “Einseitigkeit” und der “Antiamerikanismus”, denen ich angeblich huldige. Ich bestreite das vehement, räume aber ein, dass es darauf ankommt, was man unter diesem Begriff versteht.
Dass ich als Privatperson keinen kulturellen Antiamerikanismus pflege, weiß die Email-Schreiberin genau. Was also ist unter “Antiamerikanismus” sinnvollerweise zu verstehen?
Jedenfalls keine Konzepte, die nur einen Zweck erfüllen – das Imperium gegen Kritik zu immunisieren. Die Protagonisten dieser Konzepte sind oft Leute, die Gschichterl über Gründerväter erzählen, während das Thema ein völlig anderes ist: der heutige Warfare-Staat. Das ist ein ziemlich durchsichtiges Manöver.
Da nehme ich ich gern Zuflucht bei Jesper Gulddal von der australischen Universität Newcastle, der sagt: „Dabei ist Antiamerikanismus nicht die Ablehnung von dem, was die USA tun, sondern von dem, was sie sind. Und du kannst schwer ändern, wer du bist.“
Ja, und um es hinzuzufügen: Es ist auch verdammt schwer, das (sich auch in die Innenpolitik erstreckende) Sündenregister des Imperiums zu ignorieren und die zahlreichen Ausflüchte widerspruchslos hinzunehmen.
Nehmen wir also Anstoß an dem, was die USA tun und nicht an dem, was sie sind; bleiben wir beim Konkreten, den Ereignissen, die sich ab vergangenem Februar in der Ukraine abgespielt haben. Diese sind mit 5 Mrd. Dollar vorbereitet und wenigstens in der heißen Phase direkt aus den USA gesteuert worden. Dafür gibt es reichhaltige Indizien, nicht nur das abgehörte Telefongespräch der US-Unterstaatssekretärin über “Kltsch” und “Yats”.
Nun ist es wenig wahrscheinlich, dass es das treibende Motiv der USA war, die Ukrainer von Janukowitsch zu befreien oder in deren Interesse die seit 1991 existierende wirtschaftspolitische Dauermisere zu beheben.
Nein, die Amis und der Militärclub, dem sie vorstehen, haben in dieser Weltgegend keinen anderen Auftrag, als ein Aufmarschgebiet gegen den strategischen Rivalen zu schaffen. Sie sind es, die aggressiv/offensiv agieren. Die Russen haben (mit einer Ausnahme) bisher defensiv agiert – im Gegensatz zu allem, was die westliche Journaille ihren Lesern auf die Nase binden möchte.
Die Ukraine ist die jüngte Station eines folgenreichen Vertrauensbruchs, der schon vor 24 Jahren begangen wurde. Der Westen hat sich damals die Zustimmung der vor dem Ableben stehenden UdSSR zur deutschen Wiedervereinigung erkauft – mit dem Versprechen, keine NATO-Osterweiterung vornehmen zu wollen.
Gorbatschow sah die Sache 2009 so:
Die amerikanische Haltung dazu ist: “Ist doch gar nicht wahr – schriftlich haben wir nie was aus der Hand gegeben.”
Mary Sarotte, eine kalifornische Historikerin, hat einen Aufsatz sowie ein OpEd dazu geschrieben. Ihre Darstellung ist nicht wirklich kritisch gegenüber der damaligen Regierung von Bush-Vater, aber sachlich.
Nach ihrer Darstellung hat sich im Februar 1990 Folgendes zugetragen: Gorbatschow hat der deutschen Wiedervereinigung seinen Sanktus unter der Voraussetzung gegeben, dass die NATO “um kein Zoll nach Osten rückt”. Der deutsche Kanzler Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, sein Außenminister, haben das zugesagt (obwohl keiner von ihnen für die NATO sprechen konnte).
Auch der amerikanische Außenminister James Baker III hat den Forderungen nach einem Verzicht auf eine Osterweiterung zugestimmt, aber nur als “vorübergehende Verhandlungsposition”, wie er lange Zeit später behauptete.
Gorbatschow hat es in Sarottes Lesart verabsäumt, den Deal schriftlich zu fixieren und zwar deswegen, weil er ihn als Gentlemens’ Agreement auffasste. Er hätte also einen – ohnedies nirgendwo gerichtlich durchsetzbaren – (Geheim)Vertrag mit den Amis abzuschließen sollen.
Vielleicht waren die Beteiligten auch nicht alle gentlemen und die Russen sind bewusst “gelegt worden”?
Niemand kann das nach der heutigen Quellenlage wissen und jede Person muss sich eine solche Frage selbst beantworten. Aus meiner Perspektive sieht das Ganze nach einem politischen Spiel mit verteilten Rollen und einer faktisch gebrochenen Zusage aus. Es ist ja nicht so, dass Bonn und Washington nicht in laufendem Kontakt gewesen wären.
Viele Russen sehen das bis heute ähnlich und fühlen sich über den Tisch gezogen. Die NATO ist in all den Jahren bis auf wenige hundert Kilometer an sie herangerückt und die Ukraine ist nur der letzte (vorletzte) Schritt dieser “Reise”.
Was Putin darüber denkt, ist mir unbekannt. Vielleicht misst er Gorbatschow größere Schuld zu als seinen “Partnern im Westen” – ich weiß es schlicht nicht. Grund für besondere Vertrauensseligkeit diesen gegenüber hat er jedenfalls keinen.
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0228-030, Hirndorf, Heinz, Wikimedia Commens
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