Rechts-Populisten wie Donald Trump oder Viktor Orban werden üblicherweise als mehr oder weniger verhinderte Adolf Hitlers gekennzeichnet, doch das sei ein rhetorisch motivierter Schmarren, behauptet ein in Australien lehrender Soziologe provokant. Autoritär agiere primär die Kaste illiberaler liberaler Experten, die sich über Staatsvölker und gewählte Politicos hinwegsetze. Die Journaille reagiert einmal mehr mit einem dröhnenden Schweige-Kartell.
“Liberal pundits like to link populism with authoritarianism, but in fact they are polar opposite strategies for political legitimation. Populists appeal to the innate common sense of ordinary people, while authoritarians appeal to tradition and the prestige of established institutions. Thus while populism is a natural strategy for progressives, authoritarianism tends to work well for conservatives.”
Insofern sei Donald Trump ein rare breed, eine seltene Spezies.
Häufiger als rechte seien wenigstens in den Staaten progressivistische Populisten, die üblicherweise der Demokratischen Partei angehört haben – zum Beispiel:
- Andrew Jackson, ein Präsident aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
- William Jennings Bryan, ein nicht erfolgreicher Präsidentschaftskandidat der Wendezeit vom 19. ins 20. Jh. oder
- Franklin Delano Roosevelt, der gegen einen republikanischen sitting president ins Amt gewählt worden ist.
Auch diese Figuren seien von den damaligen Expertokraten verabscheut worden, mitunter lange über ihren Tod hinaus (manchen ist inzwischen freilich ein Heiligenschein verpasst worden – FDR).
Linke & rechte Populisten, liberale Experten
Die historischen linken wie auch die heutigen rechten Populisten seien vielgestaltig und schwer auf einen Nenner zu bringen;
gemeinsam sei ihnen aber die Frontstellung gegenüber einer neu entstandenen Kaste von Fachleuten, deren eigentliche Ideologie der Liberalismus sei – eine Strömung, die spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert eine Wahlniederlage nach der anderen erfahren musste (Babones Expertenbegriff ist sehr weit und umfasst u.a. auch Juristen, Bürokraten und Intellektuelle/hommes de lettres).
Wegen des Scheiterns liberaler Parteien seien diese Gruppen bei Konservativen oder Progressiven untergeschlüpft, hätten in ihrer neuen parteipolitischen Heimat aber ihre alte politische Agenda weiter verfolgt.
Ursprünglich seien sie gleichermaßen nach “links” und “rechts” abgewandert, doch speziell in den USA hätten in der Nixon-Ära Liberale die Republikaner scharenweise verlassen und seien zu den Demokraten gewechselt.
Dort hätten sie zusammen mit angestellten Apparatschiks die Partei von den alten Demokraten gesäubert und auf eine wirtschaftsliberale, einseitig immigrations- minoritätenfreundliche Mulktikulti-Linie gebracht.
Das habe zu einer Preisgabe des ursprünglichen Wähler-Klientels und letztlich zur Niederlage in der Präsidentschaftswahl 2016 geführt.
Hätte der sozialistische Populist Bernie Sanders 2016 die demokratischen primaries gegen Hillary Clinton gewonnen, hätte dieser wohl auch gegen den flegelhaften Milliardär Trump gesiegt, glaubt Babones.
So oder so seien Populisten eine Art Abführmittel zur Reinigung und Neubelebung eines politischen Systems, in dem die Bürger keine echten Wahlmöglichkeiten mehr sähen, sondern höchstens noch Nuançen ein und derselben Politik (und daher Wahlen fernblieben).
Episto- gegen Demokratie
Eine Kaste gebildeter und international bestens vernetzter Fachleute berufe sich autoritär auf ihre bessere, dem “Volkswillen” überlegene Einsicht imd verlange den von ihnen “beratenen” Politikern einen ihrer Meinung nach alternativlos richtigen Kurs ab (siehe Angela Merkel).
Die nicht rechenschaftspflichtige, westliche Epistokratie sei inzwischen gar zum Träger einer vierten Form der Souveränität geworden, neben der Staatssouveränität (Frankreich), der Volksouveränität (USA) und der Parlamentssouveränität (Großbritannien).
Obzwar “liberal”, seien diese Leute dezidiert antidemokratisch, weil sie selbst – und nicht Wähler oder zur Wahl stehende Politicos eine breite Definitionsmacht hätten.
Wenig überraschend stünden die westlichen Experten ihren Geschwistern, den kommunistischen Technokraten der Volksrepublik freundlich bis liebedienerisch gegenüber, weswegen sie sich auch nicht an dort üblichen, mehr oder weniger krassen diktatorischen Praktiken stießen (von social credits bis power-nudging).
Ihr Liberalismus sei auch nicht der alte Liberalismus der Freiheiten von, sondern ein Liberalismus der Rechte zu – wie auch die heutigen vier Freiheiten der Europäischen Union eigentlich vier Rechte zu seien.
Überhaupt sei die EU der Inbegriff einer tyrannischen Expertenherrschaft.
The European Union, by contrast, has from its origins been an experts-only zone, formally controlled by its member states but insulated to the maximum extent possible from democratic political interference. Much more than the US or the UK, it provides the ideal institutional environment for the flourishing of the liberal authoritarianism of the transnational expert class.”
Nicht genehmes Wissen ausgeblendet
Babones ist scharfäugig und ideengeschichtlich bewandert genug um
- sich der riesigen Probleme und Defizite demokratischer Systeme bewusst zu sein und
- zu wissen, dass seit den Tagen Platos ein umfangreicher Diskurs zu Demokratiekritik, Philosophenherrschaft etc. existiert.
Deswegen behauptet er auch nicht, dass eine Expertenherrschaft notwendigerweise nachteilig für “die Allgemeinheit, künftige Generationen eingeschlossen” wäre.
Er sagt “nur”, dass sie der Volks(Parlements)souveränität oft zuwiderlaufe und sich speziell mit den demokratischen Traditionen im angelsächsischen Raum schlage.
Babones, der selbst Wissenschaftler und Experte ist, lehnt weder die Herrschaft der Wissenden noch den Liberalismus an und für sich ab.
Was in seinem Text, der ja nur Traktatlänge hat, nicht vorkommt, ist freilich, dass die öffentlich wahrnehmbaren aktuellen Diskurse der Expertokratie auf extreme Weise gefiltert bzw. verzerrt sind – vom Klimawandel bis zum Finanzsystem.
Im Wesentlichen werden störende Geräusche ( = “nicht passende Experten”) unterdrückt und Sachverhalte nur selektiv aufgegriffen. Paradebeispiel dafür ist die extrem einseitige Thematisierung der sogenannten Energiewende, deren absehbare soziale Folgen systematisch ausgeblendet werden.
Das passiert in Kooperation mit der tonangebenden Mainstream-Journaille, die hier tatsächlich eine Art Torwächter-Funktion erfüllt – beim Aussortieren nicht passenden Wissens.
“Aussortiert” ist auch Babones “New Authoritarianism” selbst worden. Von zwei, drei wenig wirkmächtigen Ausnahmen abgesehen, ist der schon vor Monaten erschienene Text “einfach übersehen” worden.
Salvatore Babones, The New Authoritarianism. Trump, Populism, and the Tyranny of Experts. 2018
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