Von Christopher Booker, einem vor einem Jahr verstorbenen englischen Publizisten, ist nun das (fast) letzte Buch veröffentlicht worden. Es nennt sich “Group Think”, Gruppendenken. Es ist eine Art Klammer für all die “kleineren” Themen seines journalistischen Berufswegs über 50 Jahre hinweg: Pseudo-Modernität, Politische Korrektheit, Integrations-Wahn und Klima-Trug. Gruppendenke gibt es, wie der Autor erfahren musste, freilich auch unter seinen Brexiteer-Freunden.
Mit dem Konzept des Gruppendenkens knüpft Booker an die Überlegungen eines Yale-Psychologen aus den 1970ern an – ergänzt und erweitert diese aber massiv.
Irving Janis hatte eine Handvoll außen- und militärpolitischer Desaster von US-Entscheidern auf diesen kollektiv-psychologischen Mechanismus zurückgeführt und quasi überzeitliche Merkmale erarbeitet, die dafür konstitutiv sind.
Der Begriff lehnt sich, deutlich erkennbar, an Neologismen aus George Orwells 1984 an, beispielsweise doublethink oder crimethink.
- Ausgangspunkt ist die Herausbildung einer gemeinsamen Perspektive durch eine Menschengruppe, die nicht auf einer objektivierbaren Faktenbasis beruht, sondern in Wunschdenken und/oder nur scheinbaren Fakten wurzelt.
- Weil der von den anderen geteilte Blick auf die Welt letztlich subjektiv bleibt, wird der Konsensus der “in group” zum entscheidenden Kriterium.
- Das führt, drittens, dazu, dass alle, die die Konsenswahrheit bezweifeln, als untragbar, verblendet und moralisch verwerflich gesehen werden.
Das Auftreten des Phänomens durchläuft (idealtypisch) fünf Phasen
und führt über eine Traum-, Frustrations- und Alptraumphase zum Schluss in die “Kollision mit der Wirklichkeit”.
Booker hat Janis erst gegen Ende seiner Karriere, nämlich 2014, “entdeckt”
– glaubt nachträglich aber, dass sich viele “seiner Leib- und Magenthemen” unter Gruppendenke subsumieren lassen.
Das beginnt bei seinem ersten Buch, den Neophyliacs, das der Autor als junger Mann geschrieben hatte – ein 1969 veröffentlichter Rechenschaftsbericht über die rasanten Umwälzungen, die Großbritannien in den “Swinging Sixties” durchlebt hatte.
- Wie im ersten Teil von Groupthink klar gemacht wird, ist diese Ära ein Vorläufer der heutigen Political Correctness mit ihren bekannt abstrusen oder kafkaesken Auswüchsen.
- Ein weiteres Kapitel ist dem “Europäischen Projekt” gewidmet, das Booker und ein Co-Autor 2005 unter der Headline “Die große Täuschung” in einer selbstständigen Publikation kritisiert hatten. Beginnend mit dem sg. Schuman-Plan von 1950 sei die heutige EU ein kunstvoll eingefädelter Affenzirkus, der inzwischen die Katastrophen-Phase erreicht habe. “Wie wg. des wishful thinking der Gruppendenke üblich, wurden Expertenwarnungen beiseite gewischt. Das Ziel der Integration ging vor – mit den Resultaten, die McDougall (ein früher Kritiker) vorhergesagt hatte.”
- Die Lehre vom Menschen gemachten Klimawandel wird, meint er, “als eine der merkwürdigsten Episoden in die Geschichte von Wissenschaft und Politik eingehen”. Man werde sich den Vorgang nur durch “kollektive menschliche Psychologie”, speziell über das Phänomen des Gruppendenkens erklären können. Booker hatte schon 2009 ein Buch über das “Real Global Warming Disaster” veröffentlicht – wirklich offensichtlich seien die Wahnvorstellungen des Westens aber erst 2015 geworden, als im Vorlauf zur Klimakonferenz von Paris klar geworden sei, dass der Rest der Welt nicht im Traum daran denkt, freiwillig aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen.
Groupthink & Massenmord
Aber der “Zyklus der Phantasmen” lasse sich auch in der älteren europäischen Geschichte immer wieder beobachten
- etwa im englischen Bürgerkrieg in den Vierziger- und Fünfzigerjahren des 17. Jahrhunderts, bei Französischer Revolution und Napoleon um 1800 sowie “neuerdings” im bolschewistischen Russland (der Sowjetunion) und in Nazi-Deutschland.
Nach entsprechenden Episoden in allen Weltreligionen – speziell aber im Islam – seien der rote und braune Sozialismus des 20. Jahrhunderts die mörderischsten Formen der Gruppendenke gewesen.
Dem gegenüber verblassten die gruppendenkerischen Zwangsvorstellungen in den demokratischen Staaten des Westens – wenigstens bis dato.
Auf eine nur bedingt vergleichbare, nicht-letale Form des Phänomens sei freilich auch die Behandlung des 2019 Verstorbenen in dessen letzten Jahren zurückzuführen,
schreibt der langjährige Co-Autor Richard North, der Groupthink posthum aus den hinterlassenen Textfragmenten zusammengesetzt hat.
Konkret geht es um die Position, die Booker nach dem Referendum in Großbritannien eingenommen hat.
Während er immer umissverständlich für den EU-Austritt gewesen war,
favorisierte Booker nach 2016 einen verhandelten Ausstieg sowie das Verbleiben des UK im Europäischen Wirtschaftsraum (“EEA”) – was von den nach 2016 (in diesen Kreisen) Ton angebenden “Brexiteer-Ultras” abgelehnt wurde/wird: “BRINO, Brexit in Name Only”.
Folge sei die Marginalisierung Bookers im konservativen Sunday Telegraph gewesen, dessen langjähriger Kolumnist B. gewesen ist, schreibt North.
Der “wirklich letzte”, anscheinend noch gar nicht veröffentlichte Text des konservativen Publizisten ist übrigens eine Monographie über die Kirche in einem Dorf irgendwo in Derbyshire.
Christopher Booker, Groupthink: A Study in Self Delusion. 2020
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