Nachtrag zur Kontrolle der Macht: Reise in die jüngste Vergangenheit

Eine logische Lücke in meinem ahistorischen Gedankenexperiment zum Präsidenten Norbert Hofer anno 1996/97 führt 20 Jahre in die Vergangenheit und eröffnet Einsichten in die Mechanik der Macht am Wiener Ballhausplatz: Klestil war ohnedies nie interessiert, das regierende Machtkartell zu kontrollieren oder gar dessen legalen Euro-Putsch zu verhindern. Aber auch ein anderer Bundespräsident hätte nur die Option eines totalen Kriegs mit der Regierung gehabt. NB über die bis heute nachwirkenden, propagandistischen Euro-Narrative.

Ausgangspunkt meiner Exkursion in die Machtpolitik der Jahre 1995 bis 1997 war ein Email eines Freundes, der gestern Abend zum letzten Blog-Eintrag höflich einwendete (“nicht sicher” heißt natürlich: “ich glaube nicht”):

Ich bin mir nicht sicher, ob dies (Ansetzung einer Volksabstimmung, Anm.) der Präsident kann. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wer zur Ansetzung einer derartigen Volksabstimmung befugt ist, d.h. was passiert, wenn der BP die Rechtsansicht vertritt, daß das vorgelegte Gesetz eine Gesamtänderung der Verfassung sei, aber die Bundesregierung und der Nationalrat die gegenteilige Ansicht vertreten. Entscheidet dann der VfGH?”

Nun, ich kann G.s letzte Frage auch nicht autoritativ beantworten, muss aber eines konzedieren: Auch jener Bundespräsident, der Norbert Hofer heute gerne sein würde, wäre nach seiner Zeitreise ins Jahr 1996 ziemlich machtlos gewesen – oder genauer:

Seine einzige Alternative zum Kuschen wäre eine Art nuklearer Schlagabtausch mit der regierenden Koalition aus Sozialdemokraten und Volkspartei gewesen.

Der Bundespräsident hätte die Euro-Einführung zur Änderung der Gesamtverfassung erklären müssen – was von Regierung und Nationalrat wohl bestritten worden wäre und zur langwierigen Einschaltung des Verfassungsgerichtshofs geführt hätte.

Doch der Präsident hätte dadurch Fakten geschaffen, die die Regierung nicht übergehen hätte können.

Vranitzky und Schüssel hätten politisch keine Alternative gehabt. Sie hätten wohl oder übel eine Volksabstimmung zulassen müssen (der widerspenstige Bundespräsident hätte seinerseits via Bundesversammlung und Volksabstimmung abgesetzt werden können).

Eine diplomatischer Mittelweg, etwa über eine fakultative Volksabstimmung – siehe dazu hier – war scheinbar keine Option.

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In Artikel 43 der Verfassung heißt es (eigene Hervorhebung):

Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluss des Nationalrates nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42 beziehungsweise gemäß Art. 42a, jedoch vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten, zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt.

Der Bundespräsident müsste für eine Volksabstimmung bei einem einfachen Gesetz die Mehrheit und bei einem Verfassungsgesetz ein Drittel der Nationalratsabgeordneten mobilisieren.

Das wäre selbst unter den heutigen Bedingungen schwierig – bei Dingen wie TTIP unter Umständen aber machbar.

Damals, nach der Wahl vom 17. Dezember 1995, aber war das praktisch undurchführbar: Rot und Schwarz verfügten (im Alleingang) wieder über die Verfassungsmehrheit (was bis Oktober 1999 anhielt).

Der damalige rechte Oppositionsführer Jörg Haider hätte selbst dann keine Abstimmung einleiten können, wenn er Grüne und LIF an Bord geholt hätte. So blieb es bei seinem wenig erfolgreichen “Volksbegehren Schilling-Volksabstimmung”.

Nachbemerkung, 31.8.2016, 8.15 Uhr: Ich bin frustriert. Bei vielen ist es selbst nach 20 Jahren nicht möglich, sachlich über die (m.E. dubiosen) Umstände der Euro-Einführung zu reden. Besagte Leute wollen noch immer nicht wahr haben, dass es ein “demokratiepolitisches Problem” sein könnte, einen Währungswechsel ohne die explizite Zustimmung des Staats(bürger)volks zu inszenieren.

Statt konkrete (eigentlich erbetene fachjuristische) Antworten zu geben, werden durchsichtige Propaganda-Narrative z.B. über den Erfolg der Währung oder den Populismus ihrer Gegner heruntergeschnurrt.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich streite liebend gern über die vermeintliche Erfolgsbilanz des Euro – aber nicht, wenn das zur Debatte stehende Thema das bei dessen Einführung gewählte juristische Vorgehen sowie die Handlungsmöglichkeiten der Opposition ist.

Ich diskutiere auch mit Freude über Populismus (und räume ein, dass Haider oft populistisch agierte), aber nicht in Zusammenhang mit der zwangsweisen Besachwaltung des Volks durch die eigene politische Klasse.
 
Ich fürchte die Wahrheit ist, dass die politische Klasse zu faul und/oder dämlich war, den “Souverän” zu überzeugen, dass es zu seinem eigenen Besten wäre, sich für den Euro zu entscheiden sowie dass dieser keine versteckte andere Agenda habe (aus heutiger Sicht muss man feststellen: die Herrschaften hätten leicht in einen Argumentationsnotstand geraten können).
 
In der sogenannten Elite wirken besagte ideologische Narrative jedenfalls bis heute nach: die von der EZB verfasste Erzählung von der erfolgreichen Währung oder die Moritat vom Populisten, der ein großes, reines Werk aus egoistischen Gründen, zu seinem eigenen politischen Vorteil verhindern habe wollen.
 
Auf diese Art schafft man es auch heute, nicht über die substanziellen Themen reden zu müssen.

Unabhängiger Journalist

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