Der von der FPÖ in den Präsidenten-Wahlkampf geschickte Kandidat lässt affichieren, dass Macht Kontrolle benötige – was ihm einen Plagiatsverdacht eingetragen hat. Das regierende Kartell läuft Gefahr, dass der Spruch umgesetzt werden und “Präsident Hofer” ein neues Amtsverständnis wahr machen könnte. Die Nagelprobe wäre, wenn Hofer mit seiner Machtkontrolle weitermachte, sollte FP-Strache Kanzler werden. NB zum 2. Oktober.
Ältere Österreicher erinnern sich vielleicht: Der Anfang 1992 noch nahezu unbekannte schwarze Karriere-Diplomat Thomas Klestil zog im Frühjahr dieses Jahres mit dem Slogan “Macht braucht Kontrolle” in die Präsidentenwahl – und entschied diese überraschend für sich.
Er setzte sich gegen einen ungleich bekannteren SP-Kandidaten durch, der in den Jahren davor als Verstaatlichtenmanager und Verkehrsminister im Rampenlicht gestanden war.
Mit seinem Kontroll-claim gelang es dem Newcomer, das verbreitete Misstrauen gegen die rot-schwarze Koalition bzw. den Ärger der Österreicher über Machtkonzentration und Parteibuchwirtschaft vor seinen politischen Karren zu spannen. Macht braucht Kontrolle war schon deswegen leicht eingängig, weil zu diesem Zeitpunkt Sozialdemokrat Franz Vranitzky Bundeskanzler war.
Die hinter dem Slogan stehende politische Realität war jedoch völlig anders: Klestil stammte letztlich aus demselben “Elternhaus” wie sein Konkurrent Streicher, dem Augiasstall SPÖVP - und er befolgte praktisch immer dessen Stallorder.
Einmal im Amt, machte Klestil keinerlei Anstalten die Regierungsmacht von SPÖ und ÖVP zu kontrollieren – auch nicht, als Vranitzky und sein Vize Schüssel zu ihrem demokratiepolitischen Amoklauf ansetzten und dem Wahlvolk eine “europäische Integration” aufnötigten, die dieses nie haben wollte (und auch nie gutgeheißen hat).
Das einzige, was den Amtsinhaber in diesen Jahren interessierte, war, ob er (und nicht Kanzler und Außenminister) den Beitrittsvertrag zur Europäischen Union unterzeichnen durfte.
Das Euro-Oktroy der zweiten Hälfte der 1990er und die damit verbundene Entmachtung des eigentlichen “Souveräns” waren ihm gleichgültig.
Klestil, ein wenigstens ebenso selbstherrlicher “Europäer” wie der Rest der Mischpoke, funktionierte durch zwei Amtszeiten hindurch klaglos und spielte seine Doppelrolle als Staatsnotar und Grüßaugust souverän – notfalls mit steinerner Miene.
“Macht braucht Kontrolle I” war also ein MEGA FAIL, wie man auf Cineplexx-Neudeutsch sagen würde.
Hofers Hebel
Derlei kann dem Sequel auch passieren, doch das Risiko, dass dieses unter den heutigen politischen Umständen (von allein) passsiert, ist geringer.
Der Grund dafür ist, dass Hofer nicht im großkoalitionären Augiasstall aufgewachsen ist.
Das herrschende Politkartell könnte jedoch dem Präsidentenamt vorsorglich die Zähne ziehen.
Tatsächlich hat es dieses bereits angekündigt, zu einem Zeitpunkt, als es noch sicher war, dass sein Kandidat, Alexander Van der Bellen, in die Hofburg einziehen würde (man denkt ja an die fernere Zukunft). Siehe dazu hier.
Das Absurde (und Bezeichnende) dabei war, dass van der Bellen selbst nach der Beschneidung der Kompetenzen jenes Amts rief, das er demnächst anzutreten gedachte.
Bei diesen angeblich gefährlichen Befugnissen geht es nur vordergründig um die entfernte Möglichkeit, als Bundespräsident eine vom Nationalrat unterstützte Regierung zu feuern (so etwas brächte längerfristig nichts, weil ein vom Präsidenten eingesetztes anderes Kabinett nicht dauerhaft gegen das Parlament regieren kann – nicht mit der aktuellen Verfassung).
Das viel wichtigere Anliegen der rot-schwarz-grünen Machthaberer ist die Beseitigung eines scheinbaren Formalismus, einer unauffälligen Kompetenz, deren alternative Auslegung durch einen nicht kontrollierten Präsidenten enorme Folgen haben könnte.
Gemeint ist die Beurkundung der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen, die der Bundespräsident wahrnehmen muss. Wenn er ein Gesetz für nicht verfassungskonform hält, darf er es nicht unterschreiben (das ist schon einmal passiert, bei der Gewerbeordnung ).
In diesem Fall tritt es nicht in Kraft – auch wenn der Nationalrat einstimmig dafür votiert hätte.
Paradoxerweise ist es gerade diese vordemokratisch anmutende Kompetenz, mit der ein nicht kontrollierter Bundespräsident die seit Jahrzehnten geübte antidemokratische Regierungspraxis aushebeln könnte; nämlich den politischen Usus, die Entscheidung über existenzielle Themen der Republik am Volk vorbei in ein vollständig von der Regierung kontrolliertes Parlament zu lotsen.
Zum Beispiel TTIP.
Bereits in den ersten Wahlrunden hattte Hofer angekündigt, diesen Handelsvertrag zwischen den USA und der EU nicht “automatisch” zu unterschreiben, auch wenn dieser zuvor vom Parlament beschlossen worden ist. Hofer sagte, er würde erst unterschreiben, wenn dieser Staatsvertrag in einer Volksabstimmung mehrheitich gutgeheißen würde, siehe beispielsweise hier.
Welche “Verwüstungen” so ein Vorgehen anrichten könnte, zeigt ein Gedankenexperiment – die Vorstellung, dass “Präsident Hofer” und nicht “Präsident Klestil” 1998 über die Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Begleitgesetze zum Euro zu befinden gehabt hätte.
Ein “Präsident Hofer” hätte ziemlich sicher Zweifel an diesen für den Übergang auf die neue Währung unverzichtbaren Gesetzen gehabt – und er hätte versucht, eine Volksabstimmung durchführen zu lassen.
Die Folge wäre ein lupenrein demokratischer Volksentscheid auf Basis einer vordemokratisch anmutenden Kompetenz des Bundespräsidenten gewesen.
Wem der verzweifelte – und letztlich erfolgreiche – Abwehrkampf bekannt ist, den die rot-schwarze Koalition 1996/97 gegen eine Volksabstimmung über den Euro geführt hat, dem ist klar: ein hypothetischer “Bundespräsident Hofer” von damals, einer, der seine Befugnis zur Beurkundung der Gesetze als Hebel für eine direktdemokratische Entscheidung einsetzt, wäre das Ende des gängigen rot-schwarzen Business-Modells, mit oder ohne grünes Beiboot.
Das ist auch der Grund, warum die rot-schwarz-grüne Verfassungsmehrheit eine solche “nicht mehr zeitgemäße Kompetenz” schnellstens “entrümpeln” muss – bevor der eine oder andere Hofer ans Ruder kommt.
Garant eines demokratischen Statuts
Nun ist zweifellos wahr, dass auch Hofer nur als so tapfer gelten kann wie er sich gegenüber dem Freund verhält – da hat dieser Kurier-Kommentator prinzipiell recht.
Hofer könnte bei Kanzler Kern und dem heutigen Nationalrat nicht den wilden Mann spielen, sich bei Strache und einem blau dominierten Parlament aber lammfromm geben.
Letztlich könnte er das Blatt, das ihm zugeteilt wurde, nicht über Gebühr beanspruchen – hier wie dort nicht.
Hofer wäre Bundespräsident und alle würden verstehen, wenn er dafür sorgt, dass in den großen (demokratisch entscheidbaren) Lebensfragen der Republik nicht gegen die Mehrheit entschieden wird. Das ist okay und das würde es auch entschuldbar machen, wenn er dazu tendierte, die ihm zustehenden Befugnisse zu großzügig auszulegen.
Aber es müsste klar sein: der Präsident ist weder Bundeskanzler noch die 183 Nationalratsabgeordneten in einer Person.
Um es in der Sprachc des Unternehmensrechts auszudrücken: Er darf nicht versuchen, den Vorstandsvorsitzenden oder den Aufsichtsrat zu gängeln oder gar zu ersetzen.
Aber er müsste unter allen parlamentarischen Verhältnissen sicherstellen, dass eine Hauptversammlung einberufen wird, sobald eine Entscheidung ansteht, die nur diese treffen kann.
Bild: Eigenes Foto
Nachbemerkung, 29.8., 18.40 Uhr: Ganz ruhig, natürlich hat Hofer noch nicht gewonnen – aber darauf wetten, dass es jetzt “dabei bleibt” würde ich nicht.
A propos – “dabei bleibt”. Bin mir nach wie vor nicht sicher, wie der Zieleinlauf am 22./23. Mai wirklich ausgesehen hat. Die Eigentümlichkeiten speziell am Montag sind mir zu groß – Stichwort Medien-Blackout, über Nacht nachgereichte Voten und Kastration von Stimmzettteln. Aber ich kann nichts beweisen – und ich bin mir nur sicher, dass es arschknapp war.
Jedenfalls wünsch ich dem Land und mir für den 2. Oktober, dass der Kandidat mit den unbestritten zahlreicheren Stimmen gewinnt. Ein größerer Abstand in welche Richtung immer wäre für “unbestritten” hilfreich.
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