UK: This Year May Ends in June – Fragen z. Politik d. Regierung May 1

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Resignation Statement 24 May 2019

Die britische Premierministerin Theresa May tritt heute zurück. Die Politik, die sie in den vergangenen drei Jahren innenpolitisch, gegenüber der EU und gegenüber dem traditionellen Verbündeten jenseits des Atlantik geführt hat, wirft eine Menge harter Fragen auf. Von John James

Der Autor stellt nicht Integrität und Vaterlandsliebe der abtretenden Premierministerin in Frage.

Millionen Briten, die ihr Land lieben und ihm treu sind, glauben, dass seine Zukunft am besten dadurch gewährleistet ist, dass es Mitgliedsstaat der EU bleibt. Er hinterfragt “nur”, inwieweit die Politikerin sich gegenüber der politischen Tradition des Vereinigten Königreichs loyal verhalten hat.

VERFASSUNG UND VERHANDLUNGEN MIT DER EU

Ob Theresa May die Verfassung des Landes respektiert hat, ist die vielleicht beunruhigendste Frage überhaupt.

Wie bekannt, basiert die ungeschriebene Verfassung Britanniens auf zwei Grundprinzipien.

Das erste ist, dass es keine höhere politische Autorität als das Unterhaus geben soll, und die zweite, dass britische Gerichte die alleinige Befugnis haben, vom Parlament verabschiedete Gesetze auszulegen, wobei diese Auslegung auf den Prinzipien des Naturrechts basieren soll, wie das im englischen Common Law verankert ist.

Theresa May hatte ursprünglich die Absicht das Withdrawal Agreement, die Austrittsvereinbarung mit der EU, ohne Konsultation des Parlaments in Kraft zu setzen.

Theresa May hat zwei Jahre lang einen Deal mit der Europäischen Union verhandelt, der vom britischen Parlament nicht ratifiziert werden konnte. Dass das Parlament das Withdrawal Agreement niemals billigen würde, war im vergangenen Herbst, sobald die Vereinbarung veröffentlicht wurde, allen politischen Analysten sofort klar. Das führt zu zwei Besorgnis erregenden Fragen:

  • Verstand Theresa May so wenig von der politischen Kultur ihres eigenen Landes, dass ihr nicht klar war, dass selbst ein Parlament, das von Remainern dominiert wird, ihr Withdrawal Agreement unmöglich billigen konnte? Es ist schwer vorstellbar, das dies der Fall sein könnte
  • Oder hat sie etwa mit der EU einen Deal verhandelt, in vollem Bewusstsein, dass das UK-Parlament sich weigern würde, diesen zu ratifizieren?

Die britische Staatsbürgerin Gina Miller hat jedenfalls eine private Klage gegen die Regierung erhoben, und das Höchstgericht hat sich für das Parlament und die britische Verfassung ausgesprochen.

Siehe dazu diesen “Guardian”-Artikel:

Brexit plans in disarray as high court rules parliament must have its say

Government to appeal after judges say article 50 cannot be triggered without MPs’ backing – a major blow to Theresa May”

Hier noch, wie die Klägerin nach der Entscheidung des High Court die Richter verunglimpft sah und wie sie diese in Schutz nahm:

I think it is such a dangerous road to be going down to be attacking the judges and their integrity and their independence,” she added, arguing that they had a duty to operate independently of politicians. Miller’s comments come as the attorney general, Jeremy Wright QC, prepares to assert the government’s supremacy over parliament in international affairs.”

BESCHÄDIGUNG VON POLITISCHEM SYSTEM UND DES WÄHLER-VERTRAUENS

Das Debakel, das die Konservative Partei bei den gerade erfolgten Europawahlen erlitten hat, liegt in der direkten Verantwortung von Theresa May. Es ist das Ergebnis eines Zusammenbruches des Glaubens an die Vertrauenswürdigkeit der Konservativen Partei.

Dieses Versagen hat zur Entstehung einer neuen Gruppierung geführt, der Brexit-Partei, deren ausdrücklicher Anspruch es ist, jene Partei zu sein, die die Tradition verteidigt. Als Folge der politischen Schwächen Mays wird die BREXIT-Partei, so scheint es, ihre Vorgängerin UKIP als Stimme der britischen Tradition ersetzen.

Bei der EU Wahl am 26. Mai erzielte die BREXIT Party 31% der Stimmen, während die Konservativen nur 9% erreichten. Die BREXIT Party ist jetzt die stärkste Partei im EU Parlament, während die Conservative Party sich in einer existenziellen Krise befindet.

Aber während die UKIP nach eigener Definition eine Ein Themen-Partei war, die sich nach dem Referendum 2016 zurückgezogen hat und die bei den allgemeinen Wahlen 2017 vernichtend geschlagen wurde, will die BREXIT-Partei, angetrieben von der Wut über den gescheiterten EU-Austritt, keine Ein Themen-Partei sein.

Diese Partei will bei nationalen und lokalen Wahlen mit der Labour- und der Konservativen Partei konkurrieren, auch nach dem EU-Austritt.

Die Wut der Anhänger der BREXIT-Partei ist aus dem Gefühl entstanden, von der konservativen Regierung betrogen worden zu sein, die dabei anscheinend mit zahlreichen Parlamentsabgeordneten aller Parteien zusammengearbeitet hat.

Viele Bürger sind der Meinung, dass sich diese Parlamentarier, die 2017 bei den letzten Parlamentswahlen mit dem Versprechen kandidierten den EU-Austritt durchzuführen, unter falschen Vorwänden ins Parlament wählen ließen, da sie in Wirklichkeit überzeugte Befürworter der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens sind.

Ob diese Stimmung korrekt und fair ist, ist eine eigene Frage.

Es ist jedoch unbestreitbar, dass Theresa Mays Worte und Taten zur allgemeinen Ernüchterung der britischen Wählerschaft geführt haben und dass sie die zentrale Verantwortung für eine Destabilisierung und Beschädigung der politischen Kultur Großbritanniens trägt.

 

DIE VERFASSUNG, EIN HISTORISCHES RELIKT?

Ein wesentlicher Hintergrund des Agierens von Frau May scheint die Unzufriedenheit mit der historischen Verfassung Britanniens zu sein, eine Haltung, die von vielen hochrangigen Politikern und Juristen im Vereinigten Königreich geteilt wird.

Diese machen kein Hehl aus ihrer Meinung, dass für sie die Konstitution veraltet und nicht in der Lage ist, die Herausforderungen der modernen Welt zu meistern.

Diese Meinung erlangte Rechtswirksamkeit, als unter der Regierung Tony Blair das Verfassungsreformgesetz von 2005 beschlossen wurde..

Die danach regierenden Konservativen unternahmen weder unter David Cameron noch unter Theresa May den Versuch, dieses Gesetz aufzuheben oder zu ändern;

Es ist ein Gesetz, dessen Bestimmungen nach Ansicht des Autors eine destabilisierende Wirkung sowohl auf die britische Gesellschaft als auch auf die britische Verfassung haben.

Theresa May hatte, wie erwähnt, ursprünglich die Absicht das Withdrawal Agreement, die Austrittsvereinbarung mit der EU, ohne Befragung des Parlaments in Kraft zu setzen.

Ihr Anspruch dazu bevollmächtigt zu sein basiert auf der “progressiven” Vorstellung, dass das zeitgenössische Völkerrecht es Regierungen erlaubt, ohne die ausdrückliche Zustimmung nationaler Parlamente internationale Abkommen zu verhandeln und einzugehen.

Die Idee einer solchen Vormachtstellung der Regierung in internationalen Angelegenheiten wurde im besagten Gerichtsverfahren von Attorney-General Jeremy Wright explizit vertreten, wie der oben verlinkte Artikel klar macht.

Anhänger dieser Theorie argumentieren, dass nationale Regierungen, weil diese die allgemeine Unterstützung einer Mehrheit ihrer Parlamentarier haben, befugt sind, internationale Verträge ohne die ausdrückliche Zustimmung ihrer Parlamente zu unterzeichnen.

Diese Abkommen würden demokratisch gewählte Parlamente so lange binden bis sich die Unterzeichner des Vertrags einigen, den Vertrag zu ersetzen oder zu ändern.

Eine solche Behauptung ist nichts anders als ein Frontalangriff auf die britische Verfassung, ein Angriff, der vom britischen Justizsystem zurück gewiesen wurde.

Das Ergebnis war eine Kollision zwischen der britischen Regierung und der EU Kommission auf der einen Seite, die sich beharrlich weigerten, das Withdrawal Agreement neu zu verhandeln, und dem britischen Unterhaus auf der anderen Seite, das nicht bereit war, die Bedingungen des Withdrawal Agreements anzunehmen.

Das Unterhaus hat seine Vormachtstellung letzten Endes verteidigt, aber zu einem hohen Preis. Das Ergebnis war eine Destabilierung des Parteiensystems in Großbritannien und ein massiver Reputationsverlust für die Parlamentarier.

Die Denkweise, die Frau May dazu bewogen hat, sich gegen das eigene Parlament und auf die Seite der EU-Kommission zu stellen, findet sich in einem Versprecher Mays wieder, den ein Unbekannter auf Youtube hochgeladen hat:



Itˋs the decision of Parliament as to whether they accept the deal I and the government have negotiated on behalf of the Europ-  uh, United Kingdom.“

In einem kürzlich erschienenen Zerohedge-Artikel wird unter Berufung auf einen anonymen Informanten von einem Treffen Mays mit der deutschen Kanzlerin am Vorabend des sogenannten Chequers-Treffen im Sommer 2018 geschrieben, in dem May erklärt habe, sie wolle die Brexit-Befürworter beschwichtigen und die konservativen Abgeordneten los werden, die gegen “Fortschritt und Einheit in der EU“ seien.

According to a confidential source who has seen a complete transcript of the meeting, the two leaders agreed to a plan that Mrs May allegedly told the Chancellor would “appease” Brexit voters while nonetheless enabling her to get rid of those Tories who were (in her words) “against progress and unity in the EU.” According to the transcript, Mrs May is also reported to have agreed “to keep as many EU laws and institutions in effect as she could despite the current groundswell of anti-EU hysteria in Britain” (again, apparently her words). It is claimed that both leaders agreed that the only realistic future for the UK was as a member of the EU, and that in the likely course of events Britain would re-join the EU in full at some time after the next general election.”

Aus all dem drängen sich folgende Fragen auf:

  • Hat Theresa May vielleicht mit der EU-Kommission zusammengearbeitet, um einen nur scheinbaren Brexit zu liefern, einen „Brexit in name only“; einen Austritt, bei dem Großbritannien alle institutionellen Vertretungen in der EU und alle Stimmrechte verlieren würde und trotzdem gezwungen wäre, sich auf Dauer einer Vielzahl von EU-Vorschriften unterzuordnen?
  • Was würde eine Untersuchung der Dokumente und E-Mails, die sie und jene kleine Gruppe hoher Beamter, die die Verhandlungen mit der EU-Kommission geführt haben, geschrieben haben ans Licht bringen?

Wie oft dokumentiert, wurden die Verhandlungen weitgehend im Geheimen geführt, selbst die Brexit-Minister wurden nicht über das Geschehen informiert. Kaum wurden sie vom Stand der Dinge in Kenntnis gesetzt, traten sie zurück.

Die Krise des Parlaments wird das Parlament selbst zweifellos überleben. Viel dramatischer ist die Krise in der Conservative Party. Diese ist weniger das Ergebnis verfassungsrechtlicher Bedenken, sondern folgt eher zwei Fragen:

  • Ist (war) Theresa Mays Regierung kompetent und
  • ist (war) “ihre” Conservative Party überhaupt konservativ?

Eines der vernichtendsten Urteile über Theresa May wurde von Sir Ivan Rogers gefällt, der im Mai 2019 im Bruno Kreisky Forum in Wien sprach.

Sir Ivan, ein Beamter des Finanzministeriums mit langjähriger Erfahrung in der EU, war nach 2012 wichtigster Berater von Premierminister David Cameron für die EU. Er trat am 3. Januar 2017 von seinem Amt als Ständiger Vertreter des Vereinigten Königreichs bei der EU zurück.

In seinem Vortrag beschrieb Sir Ivan Theresa May als schwach und naiv: Sie sei von einer politischen Entourage umgeben, deren Uneinigkeit, Inkompetenz, Arroganz und Ignoranz gegenüber der EU eine tiefe Krise im Vereinigten Königreich ausgelöst habe.

Theresa Mays politische Inkompetenz wurde schon während ihrer Amtszeit als Innenministerin unter David Cameron von 2010 bis 2016 deutlich.

Cameron hatte den Anspruch angemeldet, die Konservativen würden die Einwanderung auf “Zehntausende” pro Jahr beschränken – siehe hier.

Theresa May versagte fast vollständig in ihrem Versuch, dieses Kernversprechen der Cameron-Regierung umzusetzen.

Anstatt die Einwanderung auf zwischen 30.000 und 60.000 Personen pro Jahr zu reduzieren, stieg die Einwanderung in ihrer Amtszeit auf 333.000 Personen pro Jahr – siehe hier.

IST THERESA MAY KONSERVATIV?

Noch beunruhigender ist allerdings, dass die Konservativen unter David Cameron und Theresa May eine New Labour-Politik fortgesetzt haben, die Großbritannien in einen politisch korrekten Überwachungsstaat verwandelt hat – anstatt konservative oder gar klassisch liberale Werte zu vertreten; wie das traditionelle britische Bekenntnis zu individueller Privatsphäre, zu Meinungsfreiheit und zu Selbstbestimmung ohne staatliche Kontrolle.

Als Premierministerin versuchte Theresa May sogar, dem Staat noch mehr Kontrolle darüber zu verschaffen, welche Informationen Briten teilen und welche Meinungen sie äußern durften – als selbst die New Labour-Regierung unter Tony Blair gefordert hatte, siehe hier.

Das Ergebnis davon ist, dass viele Menschen, die sich in einem kulturellen und politischen Sinn als konservativ verstehen, nicht länger davon überzeugt sind, dass die Konservative Partei ihre Unterstützung verdient.

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Aussagen von zwei der wichtigsten konservativen Intellektuellen Großbritanniens: Douglas Murray (Herausgeber der konservativen Zeitschrift The Spectator) und Roger Scruton (Philosoph). Bei einer öffentlichen Diskussion am 10.05.2019 in London begrüßten sie explizit die Gründung der BREXIT-Partei als wählbare Alternative zu der Conservative Party:

Man kann die bisherige Analyse in folgendem Befund zusammenfassen:

Die Conservative Party unter Theresa May ist (war) anscheinend nicht länger eine Partei, die sich in letzer Konsequenz für die Supremacy of Parliament und den Erhalt der britischen Tradition einsetzt.

Sie ist zu einer Vertreterin der Globalisierung und der Political Correctness geworden und somit für klassisch liberal denkende Menschen und viele traditionsbewusste Konservative nicht länger wählbar.

Im am Samstag erscheinenden zweiten Teil dieser Analyse werden die Beziehungen zwischen Großbritannien und seinem mächtigstem Verbündeten, den USA, während der Regierungszeit von Theresa May untersucht.

Bild:UK Government [OGL 3 (http://www.nationalarchives.gov.uk/doc/open-government-licence/version/3)] via Wikimedia Commons

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