Varoufakis und der tote Minotaurus

Varoufakis_giannis_0943Er trägt keinen Schlips und knattert auf 1300 Kubikzentimetern zu den Terminen: Athens Fnanzminister YanisVaroufakis. Er ist cool. Er ist ein Rock-Star. Ansonsten gleicht er seinen Kollegen von der EU auf’s schüttere Haar. Wie sie glaubt er an Lord Keynes und Freibier für alle. Seltsamerweise hält er Griechenland für ein Opfer der Dollarkrise.

Wie die anderen europäischen Politicos denkt er, dass es in der Wirtschaftspolitik darauf ankommt, “die aggregierte Nachfrage zu steigern” und dass – wenn Unternehmen und Konsumenten nicht mehr können oder wollen -, die öffentliche Hand mit der Dicken Berta einspringen muss. Mit der dicken Ausgaben-Berta.

Bezahlt wird nicht, oder genauer: Bezahlen tut die Bank, denn die hat bekanntlich die Knete.

Zum Beispiel die Europäische Investitionsbank, die problemlos noch ein paar hundert Milliarden für öffentliche Arbeiten locker machen kann. Der vereehrte Franklin Delano hat das 1933 ja auch getan.

Die EIB hat zwar die Vorschrift, dass EU-Staaten jeweils 50 Prozent kofinanzieren müssen, aber blöde Regeln sind dazu da, abgeschafft zu werden. Die Regierungen sind heute zu arm für Investitionen, weil sie die Banken und deren Gläubiger retten mussten.

Ursprünglich wollte Yanis eigentlich, dass die Staaten ihren Anteil über Bonds finanzieren sollten, die von wegen Glaubwürdigkeit aber von der EZB begeben werden sollten.

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Varoufakis, Global Minotaur

Aber das kam bei der EZB in Frankfurt nicht so gut an – wegen ihrem Statut und so. Daraufhin dachte Varoufakis wohl: “Dann muss man der EIB halt erlauben, die Projekte zu 100 Prozent fremdzufinanzieren.

Das Schöne am Politikerdasein besteht ja darin, Regeln ändern zu können. Und damit der EZB nicht fad wird, soll sie auftragskonform am Sekundärmarkt dafür sorgen, dass die Zinsen für die Bonds nicht steigen. Was gehen mir diese Brüder auf den Sack ! Alles muss man ihnen sagen ! Immer wieder vergessen sie drauf, dass sie nur dazu da sind, Eurostaaten wie mir zu helfen.”

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Varoufakis ist Ökonom und noch dazu einer, der sich mit internationalen Kapitalströmen beschäftigt hat. Das heißt, dass er fachlich jeden Finanzministerkollegen – wenn dieser oder diese einmal von ihren Experten allein gelassen würde -, in die Tasche stecken kann.

Vor ein paar Jahren hat er ein Buch geschrieben, das „Der globale Minotaurus. Amerika, Europa und die die Zukunft der globalen Ökonomie“ heißt. Da stehen viele richtige Dinge drin. Nein, wirklich !

Griechenland und die Eurozone spielen eine eher untergeordnete Rolle. Es ist paradoxerweise ein Buch über die Krise des US-Dollar.

focal pointIm Zentrum steht eine Analogie zu einem mythischen Wesen seiner Heimat, dem Minotaurus. Das war ein Freak, der im Palast-Keller des Königs von Kreta wohnte und der halb Mensch und halb Stier war. Der M-Taurus ernährte sich vom Fleisch junger Athenerinnen, die König Minos geschickt werden mussten. Solange die Stadt regelmäßig ihren Tribut entrichtete, waren Friede und Wohlstand gesichert.

Das Ungeheuer steht für das System des floatenden, ungedeckten Dollar, das die USA nach dem Ende der Golddeckung errichtet haben. Solange die Vereinigten Staaten das „exorbitante Privileg“ einer Reservewährung innehaben, können sie Waren importieren und brauchen dafür nur mit Buchgeld, also Nullen und Einsen zahlen. It’s free ! So und nicht anders verschafft man sich arabisches Öl, chinesische Elektronik und deutsche BMWs.

Um das System aufrechtzuerhalten, mussten die Exporteure ihre Nullen und Einsen aber wieder in Dollar anlegen – also das verdiente Geld wieder in die USA ausführen.

Die Betreiber einer Reservewährung müssen nämlich tun, was andere keinesfalls dürfen: Hohe Staats- und Leistungsbilanzdefizite unterhalten. (Das ist der Grund, warum Varoufakis von “Minotaurus-Neid” spricht – er kann manchmal richtig witzig sein.) Mit dem Geld der Exporteure lässt sich dann die Defizitwirtschaft finanzieren.

Die Chose hat nur bis 2008 geklappt, sagt der Grieche. In der damaligen Krise ist der Minotaurus aber verstorben bzw. schwer krank geworden, weil Wall Street mit seinen Zockereien das System zerstört hat.

Die US-Defizite gibt es heute zwar noch immer, die Kapitalzuflüsse reichen aber nicht mehr aus, um die Finanzlöcher zu decken.

Das hat auch die Eurokrise ausgelöst (bei der noch weitere Faktoren wie die angeblich privilegierte Rolle der Deutschen und Designmängel eine Rolle spielen sollen).

Ob der aktuelle Kraftanfall des Dollar etwas an Varoufakis These geändert hat, wissen wir nicht.

Die Welt im allgemeinen und Europa im speziellen brauchen in jedem Fall aber einen „Globalen Mechanismus zum Recyceln von Überschüssen“ (GSRM), der den toten Minotaurus ersetzen kann. Kommt kein solcher Mechanismus zustande, bleibt auch die Nachfrage nach Exporten in die USA, der Betreiberin des aktuellen Weltwährungssystems, aus – und jeder muss wieder für sich selbst und seine Nachbarn produzieren. Der Horror !

Im Unterschied zum Minotaurus, den die Amis im Alleingang gebaut haben, soll dessen Nachfolger über bilaterale Abkommen – oder besser noch über eine international verhandelte Weltwährungsunion (ICU) – entstehen. Diese soll dafür sorgen, dass die Überschüsse der Exporteure wieder in den Defizitländern investiert werden. Das wollte schon Lord Keynes im Jahre Schnee so !

Paradoxerweise glaubt Varoufakis, dass die Vereinigten Staaten eine führende Rolle auch bei der Konstruktion des Nachfolgemechanismus für ihren Minotaurus spielen müssen. Interessanterweise hat der Euro, der in einem anderen Narrativ so wichtig ist, bei ihm nur die Rolle des Helferleins.

US***

Varoufakis, der manchmal für sich in Anspruch nimmt, ein „libertärer Marxist“ zu sein, zeigt in solchen Passagen offen seine Farben. Es sind die Farben eines internationalen Planungsbürokraten. Das, was ihm vorschwebt, hat nichts mit einem „Settlement-Mechanismus“ o.ä. zu tun, der dem Ausgleich von Ungleichgewichten dienen würde – aber alles mit staatlicher Gängelung auf höchstem Niveau.

So, wie nach seiner Meinung die Eurozone nur mit einem Überschusstransfermechanismus funktionieren kann, benötigt der blaue Planet dringend eine Weltzentralbank bzw. ein Währungsinstitut mitsamt den zugehörigen Gouverneuren.

Letztere werden so aussehen und agieren wie Varoufakis – nur werden sie halt nicht aus Griechenland, sondern aus China und Indien kommen.

Foto: εγω (φωτογραφία μου), Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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