Hans-Hermann Hoppe hat eine revisionistische Skizze der letzten 50.000 Jahre vorgelegt, in der er Marxismus und Kryptomarxismus vom etatistischen Kopf auf libertäre Beine stellt. Die Fortschrittsbringer sind für ihn Privateigentum und Familie, der teuflische Widersacher ist der moderne Staat. Eine nicht angeforderte Besprechung.
Viele Bücher tragen ähnliche Titel wie A Short History of Man – nur um dann über 500 Buchseiten auszuufern. Hans-Hermann Hoppes im März veröffentlichter Text hält, was sein Autor verspricht. Es ist nur 140 Seiten kurz. Der Text ist als freies Ebook auf der Seite des Mises-Instituts downzuloaden – Menschen, die sich das leisten können, können (und sollen) es sich dort aber auch kaufen.
Die revisionistische Geschichte der Menschheit eignet sich gut als Einführung in die Gedankenwelt dieses “österreichisch”-amerikanischen Ökonomen deutscher Herkunft. Er weist zwar seine Quellen nach – das sind relativ zum Anspruch und zur Kontroversität seiner Thesen aber wenige. Das ist insofern kein großes Manko als sich Vieles, umfangreicher belegt, bereits in Demokratie: Der Gott, der keiner ist und anderen Publikationen findet.
Hoppe ist ein ewiges enfant terrible, nicht nur auf politisch korrekten Universitäts-Campussen, sondern auch unter den Libertären selbst, die für diesen Anarcho-Kapitalisten meist zu egalitär eingestellt sind. Da mag es ein wenig helfen, wenn der Pate selbst, Lew Rockwell, das Vorwort schreibt.
Hoppe verlor 2005 sein Lehramt an der Universität Nevada, weil er 18 Jahre davor gesagt hatte, dass Homosexuelle eine höhere Zeitpräferenz aufwiesen, weil sie keine Nachkommen hätten. So etwas geht natürlich gar nicht. Außerdem tritt Hoppe gegen die unbeschränkte Zuwanderung (in die USA) ein und will beispielsweise englische Sprachkenntnisse zur Voraussetzung machen.
Wie seine Geschichte der Menschheit zeigt, vertritt er noch ein paar andere Positionen, die nach Darstellung seiner Gegner Hass erzeugen. Der Mann ist so etwas wie die Fleisch gewordene politische Inkorrektheit.
Der frühere Habermas-Student ist wie eine versehentlich verschluckte Gräte, die einen heftigen Hustenreiz (oder Schlimmeres) auslöst. Er liegt quer zu allem, was dem gauchistischen und etatistischen Establishment an den amerikanischen Universitäten lieb und wert ist.
Der einzige Berührungspunkt, den Hoppe mit diesen Leuten noch hat, ist seine Kritik am rechten (und “liberalen” !) US-Patriotismus bzw. dem heutigen Hyper-Imperialismus der United States (freilich übertrifft er seine “linksliberalen Kollegen” dabei an historischer Tiefe und sachlicher Stringenz – und zwar um Lichtjahre).
In seiner short history skizziert Hoppe die drei großen Einschnitte, die seiner Meinung nach die bisherige Menschheitsgeschichte geprägt haben. Das ist zunächst einmal die neolithische Revolution, bei der die (alt)steinzeitliche Jäger- und Sammlergesellschaft von sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern abgelöst wurde.
Menschenfresser mit Tagesfreizeit
Hier setzt auch Hoppe den historischen Entstehungsort von Privateigentum und Familie an und es ist amüsant, seine Zeichnung der Jäger und Sammler zu lesen, die Friedrich Engels zu seiner berühmten Schrift über Privateigentum und Familie inspiriert haben. Was für Engels der Urkommunismus war, sind für Hoppe Horden unproduktiver, extrem gewaltbereiter Menschenfresser, die wegen ihrer geringen Zahl lange bequem von der Hand in den Mund leben konnten und viel Tagesfreizeit hatten. Nur haben diese mäßig intelligenten Urkommunisten 40.000 Jahre lang nichts weitergebracht (außer die Neandertaler auszurotten).
Weil auch in diesen Urhorden die Männer ihre Hosen nicht oben halten konnten und die Kosten für die Kinderaufzucht sozusagen vergemeinschaftet waren, entstand im Lauf der Zeit ein Bevölkerungs-Überdruck, der durch die jungsteinzeitliche Revolution (temporär) entschärft wurde. Die Entstehung des Privateigentums und eine neue Form der Arbeitsteilung innerhalb des Stamms ermöglichten erst eine Produktion, die diesen Namen verdient.
Erst mit dieser konnte die vergrößerte Bevölkerung durchgebracht werden. Die neu entstandene Familie fungierte dabei ein bisschen wie ein Verhütungsmittel, weil dem ungezügelten Sex und der daraus folgenden ungeregelten Vermehrung ein Riegel vorgeschoben wurde.
Damit ist die Menschheit der malthusianischen Falle aber noch nicht entkommen. Das passierte laut Hoppe erst weitere 10.000 Jahre später, in der Industriellen Revolution. Die hat – glaubt Hoppe mit vielen klassischen Ökonomen, aber auch den Marxisten – das Ende der Ressourcenknappheit gebracht.
Erst die Industrielle Revolution ermöglichte den enormen Zuwachs an gesellschaftlichem Reichtum und die Ausdehnung der Weltbevölkerung von 720 Millionen im Jahr 1800 auf sieben Milliarden heute. Die wichtigste Triebfeder sei die kumulierte Intelligenz, noch vor dem Schutz des Rechts auf privates Eigentum.Trotz negativer Elemente sei die Industrielle Revolution eine große Errungenschaft.
Die dritte, unzweifelhaft negative Wegmarke ist der moderne Staat, erst der monarchistisch-absolutistische und dann der demokratische. Speziell über den Letzteren schimpft Hoppe wie ein Rohrspatz (hier ist nicht der Platz auf seine durchaus ernst zu nehmende Kritik einzugehen).
Erst der beispiellose Aufschwung der – auf Marxistisch – “Produktivkräfte” hat die Entstehung der modernen Staaten ermöglicht, die heute wie ein Mühlstein um den Hals der Menschen/Gesellschaften hängen (Stichwort: 50 Prozent Staatsquote). Sie haben eine extrem inkompetente, manchmal kriegslüsterne, aber immer kurzsichtige Funktionärsschicht an die Macht gelangen lassen, Leute, die in ihrer kurzen Amtszeit alles zusammenraffen, was es zusammenzuraffen gibt. Eine negative Auslese, eine Anti-Elite.
Der materielle Erfolg der vergangenen 200 Jahre sei trotz, nicht wegen dieser Funktionärskaste erreicht worden. Die Lösungen sind für Hoppe erstens die Schaffung einer Privatrechtsgesellschaft und zweitens die Betrauung einer natürlichen Elite mit der Aufgabe Friedensrichter/Streitschlichter zu spielen.
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Etliches gäbe es von meiner Seite zu kommentieren, wofür ich aber nicht die Zeit habe. Zu einigen Themen will ich nichts sagen, weil ich mir (noch) keine Meinung dazu bilden konnte. Beispielsweise zur angeblichen unterschiedlichen Intelligenz der “Rassen” und Bevölkerungsgruppen. Hoppe bezieht sich dabei u.a. auf Richard Lynn.
Seine Position kann man nur beurteilen, wenn man sich zuvor mit Lynn & Co. und deren Kritikern auseinandergesetzt hat.Vielleicht ist Lynns Theorie gut fundiert, vielleicht nicht. In einer rein politischen (daher unzureichenden) Argumentation scheint mir derlei auf Eugenik, aktive Sterbehilfe und Schlimmeres aus dem Schreckensarsenal der modernen Staaten hinauszulaufen.
Daher sollen hier zwei kritische Anmerkungen genügen. Erstens ist mir vollkommen schleierhaft, wie Hoppe seine natürliche Elite daran hindern will, dass sie die Kommandoposten der Privatrechtsgesellschaft monopolisiert und sie selbst bei nachweislicher Unfähigkeit nicht mehr hergibt. Wie sich gezeigt hat, ist in den demokratischen Staaten nicht einmal eine inferiore, politische Negativauslese mehr wegzubekommen.
Die Energierevolution
Der zweite Kritikpunkt betrifft das angebliche Wesen der Industriellen Revolution bzw. die wundersame Fähigkeit, die Menschheit aus dem Zustand der Knappheit zu befreien.
Hoppes Position ist historisch verständlich, das macht das Argument aber nicht besser. Er hat auch insofern recht, als Erfindergeist und Innovationsbereitschaft Unglaubliches bewegen können – viel mehr als sich eingefleischte Pessimisten vorstellen können.
Aber: Sie machen den Menschen nicht zu einer (völligen) Ausnahme der Natur/göttlichen Schöpfung.
Hinweis: Hoppes wundersame Industrielle Revolution ist nicht nur durch das Genie James Watts und das Kapital Edward Harrimans entstanden. Die Erste Geige spielt wahrscheinlich die Kohle.
Parallel zur industriellen hat nämlich eine energetische Revolution stattgefunden. Zum ersten Mal wurden “nicht erneuerbare, fossile” Energieträger eingesetzt – erst Kohle und dann Erdöl und Erdgas. Das war wie ein mächtiger Turbo.
Davor war die Verbrennungsenergie durch Holz und die Transportenergie über Tiere, d.h. aus Sonnenlicht via Photosynthese gewonnen worden. Waclaw Smil macht hier folgende Überschlagsrechnung auf:
Zu Deutsch: 1850 wurden der weltweiten Wertschöpfung 2,5 Exajoule Energie zugeführt, im Jahr 2000 waren es inklusive Atom- und Wasserkraft 380 Exajoule (davon ist nur die Wasserkraft “erneuerbar”). Das bedeutet eine Steigerung um mehr als das 150-Fache. Wenn man das nicht als Energiesubvention bezeichnen kann, weiß ich nicht, was eine ist.
Vielleicht sollten sich auch Leute wie Hoppe das einmal durch den Kopf gehen lassen – ich mein’ ja nur.
Bild: Wikimedia Commons
Nachbemerkung, 17.4., 15.00 Uhr: Die politische Funkionselite der Demokratien wirtschaftet zwar in die eigene Tasche, ist für Hoppe aber eigentlich für eine nicht näher definierte Plutokratie tätig. Damit bezeichnet Hoppe ein nicht öffentlich auftretendes subset der Superreichen, das sich bei gesellschaftlichen Gruppen, von denen noch etwas zu holen ist, bedient.
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