Franz. Präsident kein Sonnenkönig in republikanischem Gewand

Am Sonntag, den 7. Juli findet der 2. Wahlgang der von Präsident Emanuel Macron überraschend ausgerufenen Neuwahlen zur Nationalversammlung statt. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung gesteht die französische Verfassung der Regierung und der Nationalversammlung sehr viel Macht zu. Das zeigt sich speziell in Zeiten einer „cohabitation“, wenn Präsident und Regierung von unterschiedlichen Parteien sind. Von Gregor Hochreiter

Auf den ersten Blick wirkt es so, als wäre der französische Präsident sehr mächtig. Als einer der wenigen Staatsoberhäupter vertritt er Frankreich etwa beim Europäischen Rat. Nur Litauen, Rumänien und Zypern sind ebenfalls durch das Staatsoberhaupt vertreten, sonst sind es die Vorsitzenden der Regierungen, die ihre Staaten repräsentieren.

Dennoch ist das Frankreich der 5. Republik keine Präsidialrepublik, sondern ein semipräsidentielles System. Daher hat die anstehende Wahl zur Nationalversammlung nicht nur einen bloß untergeordneten Einfluss auf die politische Ausrichtung Frankreichs.

Denn im Falle einer „cohabitation“, wenn also Präsident auf der einen Seite und die Nationalversammlung sowie die Regierung auf der anderen Seite, nicht derselben Partei angehören, wäre Macrons Position und Handlungsfähigkeit markant geschwächt.

Auch wenn der im Elysee-Palast residierende französische Präsident mehr Kompetenzen als sein österreichisches und insbesondere als sein deutsches Pendant hat, sind die Kompetenzbereiche des Präsidenten laut der aktuellen Verfassung der 5. Republik vom 4. Oktober 1958 tatsächlich nur einige wenige. Der französische Präsident

  • wacht über die Einhaltung der Verfassung. (Artikel 5),
  • garantiert die nationale Unabhängigkeit, die Integrität des Staatsgebietes und die Einhaltung der Verträge. (Artikel 5),
  • ernennt den Premierminister und entlässt ihn, wenn die Regierung ihren Rücktritt erklärt (Artikel 8),
  • ernennt und entlässt auf Vorschlag des Premierminister die übrigen Minister (Artikel 8),
  • führt den Ministerrat (Artikel 9).
  • kann die Nationalversammlung auflösen. Nach erfolgter Wahl ist für ein Jahr eine Auflösung nicht gestattet (Artikel 12),
  • kann unter bestimmten Umständen in das Gesetzgebungsverfahren eingreifen. (Artikel 11),
  • ist Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte (Artikel 15),
  • kann im Falle schwerer Bedrohungen für zunächst 30 Tage den Notstand ausrufen (Artikel 16).

Wesentlich umfassender sind dagegen die Kompetenzen des Premierministers und der Regierung, die der Nationalversammlung gegenüber verantwortlich sind.

So hält Artikel 20, der erste zu den Kompetenzen der Regierung, fest, dass die Regierung die Politik Frankreichs bestimmt und leitet. In dem Artikel heißt es zudem, dass die Regierung über die Verwaltung und die Streitkräfte verfügt. Näherhin legt Artikel 21 fest, dass der Premierminister für die nationale Verteidigung verantwortlich ist.

Sollte der Präsident und die Mehrheit in der Nationalversammlung derselben Partei angehören, was die Regel, aber eben auch nicht immer der Fall ist, zieht der französische Präsident sämtliche Politikbereiche in der öffentlichen Debatte an sich.

In diesem Fall besteht aufgrund des Umstands, dass der Präsident und die Mehrheit der Abgeordneten derselben Partei angehören, de facto eine wesentlich größere Abhängigkeit der Nationalversammlung und der Regierung vom Präsidenten, als es die Verfassung formal vorsieht. Wenn der französische Präsident auch noch der Parteivorsitzende der Regierungspartei ist, ist die Abhängigkeit noch ausgeprägter.

Das in Frankreich bestehende Mehrheitswahlrecht erleichtert es zusätzlich, dass es in der Nationalversammlung klare Mehrheitsverhältnisse gibt. 2017 konnte Macrons Partei „La Republique en Marche“ mit 28,2% der Stimmen im ersten und 43,1% der Stimmen im zweiten Wahlgang 53% der Sitze in der Nationalversammlung gewinnen.

Das französische Mehrheitswahlrecht weicht in einem entscheidenden Punkt von jenem in Großbritannien und in den USA ab.

In beiden angelsächsischen Ländern gibt es nur einen Wahlgang und gewählt ist jener Kandidat, der die relative Mehrheit auf sich vereint. In Frankreich hingegen gilt in jedem der 577 Wahlkreise – 556 für Festland-Frankreich, 10 für die Überseegebiete, 11 für Auslandsfranzosen – im ersten Wahlgang als gewählt, wer die absolute Mehrheit erlangt, sofern mindestens 25% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben.

Dies gelang beim ersten Wahlgang am 1. Juli insgesamt 76 Kandidaten. Ist dies nicht der Fall, kommt es in dem betreffendem Wahlkreis zu einem zweiten Wahlgang. An diesem dürfen jedenfalls die beiden Erstplatzierten teilnehmen.

Darüber hinaus ist jeder Kandidat zum Antritt berechtigt, der im ersten Wahlgang zumindest 12,5% der wahlberechtigten Stimmen erhält. Im zweiten Wahlgang genügt dann die relative Mehrheit.

Kandidaten, die zum Antritt beim zweiten Wahlgang berechtigt sind, können auf ihren Antritt verzichten. Dies geschieht üblicherweise deshalb, um die Siegeschancen des Kandidaten eines befreundeten Lagers zu erhöhen. In den letzten Jahren – und auch dieses Jahr – gab es vielfach Allianzen gegen den RN/FN.

Der Ausgang der Wahlen wird die Politik Frankreichs zumindest bis Mitte 2025 prägen. Denn eine neuerliche Auflösung der Nationalversammlung, eine ausschließliche Befugnis des Präsidenten, ist nicht möglich. Somit wird die neue Nationalversammlung die politische Ausrichtung Frankreichs zumindest ein Jahr maßgeblich bestimmen.

Wie hoch aktuell die Verunsicherung ist, zeigt sich im starken Anstieg der Renditedifferenz zwischen 10jährigen französischen Staatsanleihen und 10jährigen deutschen Bundesanleihen.

renditedifferenz_F_DEin Vorteil des französischen Wahlsystems ist, dass es im Normalfall für klare Verhältnisse sorgt.

Doch schon seit den Wahlen 2022 musste Macron ohne eigene Regierungsmehrheit regieren. Nun droht eine für Frankreich ungewöhnliche Phase der „cohabitation“, die Macron schmerzlich daran erinnern könnte, dass der französische Präsident doch kein Sonnenkönig im republikanischen Gewande ist.

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