Der Bürgerkrieg in Syrien wirkt, als solle die Welt die islamische Glaubensspaltung und ein universelles Kalifat noch einmal durchleben. Paradoxerweise scheint ein säkulärer Politiker heute die Rolle des Propheten-Schwiegersohn Ali zu spielen. Assads Sippe dürfte diesmal gewinnen, die Geschichte ist trotzdem noch nicht zu Ende.
Nachrichten aus Syrien und dem Irak sind heute so verstümmelt wie unsere Medien es haben möchten.
Aber fast sieht es so aus, als würde das Vorhaben eines bis nach Indien reichenden Jihad-Staats im Sand verlaufen. Das bedeutet freilich nicht, dass die Gefahr für Europa vorbei – und auch nicht, dass das saudische Königshaus aus dem Schneider ist.
Die Wahhabis sind die Geldgeber und theologischen Brüder der Salafisten und sie und die anderen Gulfies haben wohl noch in diesem Leben eine Verabredung mit ihrem Karma.
Nicht nur Erdgas und Pipelines – siehe z.B. hier – liefern einen brauchbaren Hintergrund für die zeitgenössischen Bürgerkriege in Syrien und im Irak, auch die Historiographie hat einiges zu bieten – speziell, wenn es um das 7. und 8. Jahrhundert (nach christlicher Zeitrechnung) geht.
Genauer: um jene 120 Jahre, die dem Tod des Propheten im Jahr 632 gefolgt sind.
Damals entstand in Rekordzeit ein riesiges Imperium, das in nur wenigen Jahren wieder verglühte, ein in seiner Wucht und Schnelligkeit weltgeschichtlich einzigartiger Vorgang (wenn man vom Mongolen-Reich 600 Jahre später absieht).
Die Rede ist vom Kalifat der Omajaden, einem islamisch-sunnitisch und arabisch beherrschten Gebilde, das seinem Selbstverständnis nach freilich über allen (“klassisch”) staatlichen bzw. ethnischen Kategorien stand.
Dieses erste Kalifat war der Konzeption nach ein Weltbürger-Staat der Gläübigen, einer, in dem alle (Moslems) gleich waren – der Idee nach vor Allah, faktisch vor den Nachfolgern des Propheten, den Kalifen.
In the case of the Muslim caliphate, this imperative was the establishment of God’s rule in the earth, for that was the sole legitimate sovereignty. God’s rule was to be established by those kinds of efforts that He had ordained, which included armed struggle in His path. Such armed struggle became known as jihad and remained the most salient policy of the caliphate down to the end of Umayyad rule in 132/750.” (Blankinhsip, End of Jihad State)
Es handelte sich schlicht und ergreifend um die Despotie moralisch fragwürdiger Tyrannen, vor denen selbst die eifrigsten Loyalisten nicht sicher sein konnten und vor deren sündigem Lebenswandel sich fromme Moslems bis heute mit Abscheu abwenden.
Und doch lieferte dieser Gottesstaat mit seinem universalen Anspruch ein theokratisches Vorgängermodell dessen, was no border & Co. heute mit global citizenship verfolgen, bewusst oder unbewusst.
Streng genommen war das Omajaden-Reich nicht der erste Herrschaftsverband in der Nachfolge Mohammeds, denn das ursprüngliche Kalifat entstand aus bescheidenen Anfängen im unmittelbaren Wirkungsgebiet des Propheten, im Nordwesten des heutigen Saudiarabien.
Die ersten vier (“rechtgeleiteten”) Kalifen werden noch nicht dem Erbkönigtum zugeschlagen (obwohl einer von den Königen diesem mächtigen Clan aus Mekka entstammte, der fast bis ganz zuletzt zu den Feinden des Propheten gehörte). Aber das waren die sozusagen provinziellen, noch monoethnischen, nicht wirklich universalen Anfänge
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Erst Muawyiah, der Begründer der Dynastie, machte Nägel mit Köpfen. Er, der – noch als junger Mann – zum Gouverneur des gerade eroberten Syrien ernannt worden war, avançierte erst im reifen Alter von 60 Jahren zum ersten Omajaden-Kalifen.
Das Zentrum des neuen Reichs wanderte damit auch offiziell nach Damaskus im heutigen Syrien, wo Muawiyas Jihadisten-Nachfahren sowie der mit ihnen verbündete Westen mit allem, was ihre Lungen hergeben “Assad muss weg!” rufen.
Syrien blieb auch 100 Jahre nach seiner Eroberung in der Mitte, auch wenn die vorgeschobenen Truppen bereits am Indus oder in Südfrankreich kämpften. Die syrisch-arabische Armee stellte bis zum jähen Untergang 750 das militärische Rückgrat des Kalifats.
The dominance of the Syrian army in the early period owed partly to its size. We know from the reign of a later Umayyad caliph, al-Walid I (r. 705–715), that the troops of the Damascus jund, or military district, numbered some 45,000 men, with the total number throughout greater Syria approaching 175,000 (…) Across the decades, this army functioned as the main guarantor of Syrian hegemony, pushing the pace of conquest and quelling troubled
hotspots throughout the empire.” (Sahner, Among the Ruins)
Bis zu seiner Eroberung durch den Islam war Syrien – wie die ganze Levante – überwiegend christlich und das blieb bis ins Hochmittelalter so. Noch über Jahrhunderte hinweg stellten christliche Dhimmis die zahlenmäßige Mehrheit unter einer moslemischen Herrenschicht, erst danach übernahmen die Sunniten auch das demographische Ruder.
Heute gehören zwei Drittel der Syrer zur Sunna – und doch ist das Land divers wie kaum ein andres, sprichwörtlich sektiererisch.
Zum einen haben Christentum und – in homöopathischen Dosen – Zoroastrismus bis heute überlebt – Syrien ist aber auch der Ground Zero der religiösen Einheit des islamischen Welt.
Dort gewannen Muawiyah und die Omajaden den Machtkampf gegen Ali bzw. dessen Nachfahren (z.B. Hussein). Die endgültige Zerrüttung des Verhältnisses zwischen den beiden Sekten komplettierte sich erst später – aber ohne Machtergreifung der Omajaden gäbe es heute keine Spaltung in Sunniten und Schiiten.
Aus Syrien kam übrigens auch der Schiitismus in das frühneuzeitliche Persien der Safaviden.
Aus der Warte eifernder Sunnis und von Moslembrüdern jeglicher Nation muss sich Baschar al Assad, der heute im Zentrum des historischen ersten Kalifats hockt, wie der böse Feind ausnehmen.
Nicht nur, dass er als Alawit einer schiitischen Sekte angehört, die die lokalen Regierungsgeschäfte monopolisiert und dass sein Vater einen frühen islamistischen Aufstand brutal nieder kartätscht hat, nicht nur, dass das syrische säkuläre Regime Christen, Juden und sogar Götzenanbeter schützt – es verweigert den 65 Prozent Sunnis auch die Regierung des Landes, die diesen nach Meinung der Moslembrüder auch zusteht .
Das ist in letzter Konsequenz die Schuld der Omajaden, die die ihnen zugeschriebene heilsgeschichtliche Rolle nicht erfüllt habe – und weshalb Daesh, Jaysh al-Islam & die moderaten Rebellen jetzt nachbessern mussten. Es versucht haben.
Der Jihad-Staat Muawiyas expandierte sich zu Tode und Mitte des 8. Jahrhunderts war für ihn von einem Tag auf den nächsten Schluss mit lustig. Danach kamen zwar eine andere Dynastie und ein andres Kalifat – aber so richtig religiös-weltrevolutionär wurde es nie wieder (auch und schon gar nicht unter den Osmanen).
Sollten heute Assad und seine Verbündeten, womöglich mit der widerstrebenden NATO im Schlepptau, ISIS und Al Kaida aus Syrien und dem Irak vertreiben, ist die Sache für Europa freilich noch lang nicht erledigt.
Das Kalifat setzte sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten seiner Existenz so richtig in Europa fest. Die Omajaden wurden zwar 732 im heutigen Frankreich zum Stehen gebracht, aber von dort bis zum Ende der Reconquista sollte es noch 750 Jahre dauern.
Literatur:
Khalid Yahya Blankinship, The End of the Jihad State.1994
Nancy Khalek, Damascus after the Muslim Conquest.2011
Milka Levy-Rubin, Umar II’s ghiyar Edict: Between Ideology and Practice. 2016
Wilferd Madelung, The succession to Muhammad.1997
Christian Sahner, Among the Ruins.2014
R. Stephen Humphreys, Mu‘awiya ibn Abi Sufyan.2006
Grafik:Hisham10000 [Public domain], via Wikimedia Commons
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