Eine Woche hat er gehalten, der letzte Waffenstillstand in Syrien. Seit ein paar Tagen stehen die Zeichen aber auf Konfrontation wie selten zuvor. Nach Meinung mancher Kommentatoren sind die Würfel zugunsten einer längerfristigem Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik gefallen.
Die Russen und Amerikaner hatten eine siebentägige Feuerpause ab 12. September vereinbart, in der zunächst Hilfskonvois z.B. in das von Rebellen gehaltene Ost-Aleppo geschickt werden sollten.
Danach wollten Russen und Amerikaner koordinierte, jeweils von der anderen Seite “gegengezeichnete” Luftangriffe gegen Terroristen fliegen.
Gedacht wurde dabei zunächst an Al Kaida Syrien, die al Nusra, die sich inzwischen erneut in Jabhat Fateh al-Sham umbenannt hat.
Doch das funktionierte aus den verschiedensten Gründen nicht. Die moderaten Rebellen wollten sich nicht von der al Nusra entflechten, weil das Assad Vorteile verschaffen würde und die US-Militärs wollten kein Informationssharing mit der RF, was tlw. die Züge einer offenen Meuterei gegen lame duck Präsident Obama und dessen Außenminister John Kerry annahm.
Der russische Außennminister hat das offen angesprochen, obwohl so ein Vorgehen für einen Diplomaten eher unüblich ist.
Am 17. September bombardierten amerikanische Flugzeuge “irrtümlich” eine Einrichtung von Assads Armee in Deir ez Zor, unmittelbar danach erfolgte offenbar ein Infanterieangriff des Islamischen Staats.
Zwei Tage später wurde ein nach Ost-Aleppo rollender Hilfskonvoi des Roten Halbmondes angeblich aus der Luft, angeblich von den Russen angegriffen. Diese ruchlose Tat kostete unter den Helfern 20 Menschenleben.
Ich wäre da trotzdem vorsichtig und würde mich weder drauf verlassen, dass das wirklich ein Luftangriff war, noch dass die russischen (syrischen) Flugzeuge die einzigen waren, die für die Tat in Frage kommen. Angeblich haben die in Syrien stationierten russischen Flieger vorher erklärt, sie würden im Luftraum über dem Konvoi nicht patrouillieren.
Im Übrigen waren die angegriffenen Trucks mit großer Sicherheit wirklich nur mit Hilfsgütern beladen. Die Lkw wurden von der Regierungspartei kontrolliert, weswegen sich Munition und Waffen nicht in der Ladung des Hilfskonvois befunden haben dürften.Presstituierte & Pokerspieler
Nun gibt es eine Denkschule, zu der u.a. Paul Craig Roberts gehört, die meint, die Russen hätten wegen zu langen Zögerns das Spiel in Syrien verloren und es bleibe ihnen auch generell wenig anderes übrig als vor der Kriegspartei des Amerikanischen Imperiums zu kapitulieren.
Die USA hätten mithilfe der Türkei im Norden des Irak jetzt die Möglichkeit, “Sicherheitszonen” für die mit ihnen verbündeten Dschihadis einzurichten. Deswegen könnten sie den Krieg in Syrien jetzt am Laufen halten
for as long as Washington wants. The western presstitutes will report that the Turkish/American forces occupying areas of Syria are not invaders but are attacking ISIS.”
Andere wie Mike Whitney und der Saker sehen das nicht so pessimistisch und wollen erkennen, dass Putin im Machtpoker sogar den Einsatz erhöht habe – gehen aber davon aus, dass die Einheit Syriens verloren ist.
Das Imperium habe sich nun damit abgefunden, dass es Baschar al Assad nicht aus Damaskus vertreiben könne.
Dafür komme jetzt endgültig dessen Plan B zum Zug, der darin bestehe, Syrien politisch zu zerlegen und im Osten des Landes Leute an die Macht zu bringen, die
- Israel genehm sind und die
- den Kataris zu ihrer Pipeline-Trasse in die Türkei verhelfen (ob das domestizierte Kurden oder sunnitische Dschihadis sein werden, bleibt vorerst offen).
Exkurs zur Pipeline-Politik
Daniele Ganser hat erst kürzlich bei KenFM anschaulich erklärt, worum es dabei geht.
Die Konkurrenz der prospektiven Erdgaspipelines nach Europa und die Verweigerungshaltung Assads gegenüber den Kataris waren Faktoren, die man gar nicht überschätzen kann, wenn es darum geht, die Gründe für den angeblichen Bürgerkrieg in Syrien zu analysieren.
Das ist auch nichts wirklich Neues. Darüber hat Freeman schon 2012 geschrieben, das findet man in unterschiedlicher Sophistizierung z.B hier und hier (das mit der Zerschlagung Syriens ist auch alles andere als ein böses Fantasma von politischen Querulanten).
Ich selbst habe diesen Aspekt des großen nahöstlichen Spiels im Herbst 2014 so formuliert:
Team A besteht aus Katar, Israel und der Türkei. Besitzer und Hauptsponsor dieses Teams sind die USA. Um zu gewinnen, ist das Team auf zwar kleinere, aber unverzichtbare Helfer angewiesen: ISIS und Kurdistan. Team B besteht aus Iran, Irak (Bagdad), und Syrien (Damaskus). Dieses Team wird von den Sportfreunden in Moskau gemanagt.
Team A würde gerne eine Pipeline über Israel ins türkische Ceyhan bauen (…)
Team B würde gerne iranisches Gas nach Europa verkaufen und zu diesem Zweck eine Pipeline über den Nordirak nach Syrien bauen, von wo es über einen Mittelmeerhafen nach Europa verschifft werden könnte. Das wäre machbar, wenn Bagdad und Damaskus ihr jeweiliges Territorium auch kontrollieren würden.
Tun sie aber nicht.“
Das wird sich verfestigen, wenn im Osten Syriens ein türkisch kontrollierter Kurdenstaat, ein IS-Kalifat oder eine andere Form von arabischem Sunnistan entsteht – was ist egal. Von entscheidender Bedeutung sind nur Wegerechte und Sicherheit für eine durch dieses Gebiet verlaufende künftige Erdgaspipeline.
Das ist aber bei weitem nicht das einzige mächtige Dispositiv in diesem Raum.
Ein weiteres ist die Eschatologie, sind die Prophezeiungen über die Endzeit, die das Handeln der Führer fast aller dort aktiven Staaten und Religionen bestimmen.
Das ist ein extrem schwieriges Thema, weil es zum großen Teil um esoterisches, nicht leicht zu erlangendes Wissen geht und weil dieses Handlungsmotiv kaum jemals zugegeben wird, wenn man von so schlichten Gemütern wie G.W. Bush absieht.
Das Bemerkenswerte dabei ist, dass sich die Erzählungen über den im Heiligen Land erscheinenden Messias, den Antichristen und die Menschen je nach Religion bzw. Sekte wesentlich unterscheiden, sodass z.B. des einen Teufelsjünger der Gefolgsmann Gottes des anderen ist – Rollen, die oft sogar innerhalb der drei großen Weltreligionen konträr interpretiert (zugeschrieben) werden.
Die Grundelemente der Erzählungen sind aber überall gleich – ebenso wie die Schriften, in denen diese Prophezeiungen offenbart werden: im Alten Testament, im Neuen Testament (nur Christen) und im Koran (nur Moslems).
Der Münchener “Verschwörungstheoretiker” Wolfgang Eggert hat drei Bände über dieses schwierige und Angst erregende Thema geschrieben (“Israels Geheimvatikan”).
Zumindest zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Bücher scheint Eggert die unterschiedlichen Endzeitversionen unterschiedslos abgelehnt zu haben – wobei er nicht in Frage stellt, dass es sich dabei um teils extrem gefährliche Glaubenssysteme handelt – je mehr Zugang zu Geld und Macht desto gefährlicher.
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Das heutige Syrien gehört zweifelsohne zu den Schauplätzen dieser Endzeitprophezeiungen – ebenso wie Israel selbst.
Damaskus liegt auch an einem Hauptstrang der historischen Seidenstraße und kann als Tor zu Mitteleuropa betrachtet werden. Syrien war Endstation für die Mongolen im Nahen und Mittleren Osten.
Und auch heute ist es noch Zivilisationsgrenze und Drehscheibe für die Flüsse von militärischer Macht sowie fossiler Energie – siehe oben. Vielleicht nicht der günstigste Ort um ein ruhiges Leben abseits von Geschichte und Heilsgeschehen zu führen.
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