Der IS hat Palmyra, die antike Oasenstadt in Mittelsyrien zurück erobert, aus der er vor gut einem halben Jahr vertrieben wurde – für die Medien “völlig überraschend”. Die syrische Regierungspartei tut zwar auch erstaunt, weiß aber bereits seit Wochen um den Entstehungspunkt dieser Bedrohung: es ist die 500 Kilometer nordöstlich gelegene “belagerte” irakische Stadt Mossul.
Palmyra hat nicht zuletzt wegen des pompösen Befreiungskonzerts vom Mai 2016 eine Rolle im aktuellen Symbolhaushalt der Öffentlichkeit bekommen.
Nach der Vertreibung des IS durch eine Koalition aus Russen, Assad-Syrern und Schiiten gab ein Moskauer Orchester unter Mitwirkung des Putin-Freundes Sergej Roldugin eine Darbietung vor dem Hintergrund altrömischer Ruinen (siehe das YT-Video oben).
Die etwa 5.000 Jihadis, die jetzt wieder in Palmyra einmarschiert sind, kommen aus der kurdisch-arabischen Stadt Mossul im heutigen Irak (sowie zu einem kleineren Teil aus der “IS-Hauptstadt” Raqqa; oder genauer: die Mossul-Jihadis haben in Raqqa Zwischenstation gemacht).
Die islamistischen Angreifer, wird behauptet, hätten den bis jetzt in Palmyra stationierten Regierungstruppen nicht einmal ausreichend Zeit gelassen haben, sich geordnet zurückzuziehen.
Hierzu voltairenet.org eines in Damaskus exilierten französischen Intellektuellen:
Washington fait occuper à nouveau Palmyre par Daesh (…) Pour que Daesh puisse occuper à nouveau Palmyre, les forces états-uniennes ont à la fois ouvert une route vers le désert syrien depuis Mossoul —qu’elles sont censées encercler—, et ont cessé leurs bombardements de la province de Rakka.”
Auch Thierry Meyssan, der es zweifellos besser weiß, tut, als würde er die Damaszener Darstellung vom Überraschungsangriff ernst nehmen – (“L’Armée arabe syrienne a eu juste le temps de faire évacuer des civils et de détruire son arsenal avant de se replier.”)
Die “internationalen russischen Medien” berichten bereits seit mehr als eineinhalb Monaten darüber – der früheste Bericht, den ich auf die Schnelle gefunden habe, stammt von Sputnik und wurde am 18. Oktober online gestellt, also vor acht Wochen, unittelbar nach Beginn der Offensive gegen Mossul. Als Quelle wurden damals schiitische Milizen zitiert.
Vorgestern ließ sich auch der russische Außenminister Sergej Lawrow dazu vernehmen:
ISIS offensive on Palmyra could be orchestrated to give respite to militants in Aleppo (…) The fact that Islamic State (IS, former ISIS/ISIL) militants launched their offensive on Palmyra from Iraq and ‘apparently from Mosul’ and marched through the ‘territories patrolled by the aircraft of the US-led coalition makes one think that – and I really hope to be wrong here – that it was orchestrated and coordinated to give a respite to those thugs, who are entrenched in eastern Aleppo’”
Um diese seltsame Geschichte also kurz zusammenzufassen:
- Die von der US-geführten Allianz organisierte “Offensive auf Mossul”, bestand von Beginn an aus einem Belagerungsring, der auf einer Seite offen war – auf der westlichen Seite – in Richtung Syrien, wo der IS den Boden kontrolliert und die US-Airforce den Luftraum.
- Die Russen und ihre syrischen Verbündeten wissen seit nachweislich acht Wochen davon und geben sich jetzt bass erstaunt, “woher die in Palmyra aufgetauchten 5.000 Jihadis kommen”.
- Stunden, wahrscheinlich Tage, nachdem Ostaleppo gefallen ist, mutmaßt der russische Außenminister öffentlich, dass die Wiedereinnahme Palmyras dazu dienen könnte, um den Islamisten in Aleppo eine Atempause zu verschaffen.
Das hat alles ein Geschmäckle. Den Beigeschmack einer lange vorher inszenierten, wenigstens koordinierten Aufführung.
Die Indizien für die Existenz einer solchen Abstimmung unter Feinden sind unzweideutig. Die Frage ist nur, ob diese Koordination in einer Szene, einem Akt oder vielleicht im ganzen Stück stattfindet.
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