Ein Florentiner Chemie-Professor argumentiert auf 300 Seiten, dass der Kollaps unserer Zivilisation nicht in Form einer Gauss-Kurve, sondern – viel jäher – als Absturz über eine sogenannte Seneca-Klippe kommen wird - durchaus plausibel. Das Problem ist nur, dass er über die eigenen Beine stolpert: Der Chronist der Rohstoff-Verknappung kommt dem CO2-Warmisten in die Quere.
Ugo Bardi ist Professor für physikalische Chemie in Florenz und ein ehrenwerter Mann.
Außerdem ist er, was man als Kauz bezeichnen könnte – ganz eigentlich ist er aber nur ein vielseitig interessierter, zur Ironie neigender Intellektueller, der Gruppendenken im Prinzip nicht mag und der daher das Zeug zum wissenschaftlichen Dissidenten hätte (wenn er dem Gruppendenken wirklich abschwüre).
Bardi ist bzw. war ein Verfechter von Peak Oil ©, Beiträger zum legendären, 2013 “geschlossenen” Blog Oil Drum sowie Mitglied der italienischen Sektion der ASPO.
Er ist kein Geologe und kein Ölingenieur und kann zu Öl und Gas keine originären Erkenntnisse beitragen.
Aber Metalle scheinen seinem Fach näher zu liegen und auf diesem Gebiet hat er abseits der engen Fachöffentlichkeit (“Korrosion in der AZ91D Magnesium-Legierung”) für die Allgemeinheit relevantes, nützliches Wissen geschaffen.
Die Rede ist hier von seinem 2014 erschienenen Buch Extracted: How the Quest for Mineral Wealth is Plundering the Planet, das eine Art Bestandsaufnahme der metallischen Bodenschätze und der Probleme ihres Abbaus ist.
Hier wird in allgemein verständlicher Sprache berichtet, welche Industriemetalle selten sind (und welche nicht) und dass immer mehr Erz bewegt werden muss um an die gleiche Ausbeute an verarbeitetem Metall zu kommen (was natürlich immer energieaufwendiger ist).
Der Buchautor ist also ein Theoretiker…. – was sage ich? – ein Chronist der Erschöpfung natürlicher Ressourcen durch industriellen Abbau.
Der von ihm geschilderte Vorgang entspricht ziemlich genau dem Tenor der berühmten Berichte des Club of Rome, dem Bardi angehört und über die er 2011 eine “Rückschau” geschrieben hat.
Die Degradierung der Erze, der eskalierende Energieaufwand speziell im Abbau, ja selbst die absehbaren Grenzen der Ölförderung sind übrigens keine Glaubensfragen, sondern schwer bestreitbare Tatsachen, die auch Vertreter von Big Oil zugeben, wenn sie nicht gerade als offizielle Unternehmenssprecher agieren müssen.
Zugespitzt könnte man sagen, Bardi sei ein Experte für Peak Everything, um einen Buchtitel von Richard Heinberg ins Spiel zu bringen.
Exkurs zu Marion King Hubbert
Diese Leute sind in den vergangenen Jahren ziemlich in Verruf geraten, weil sie eine falsche Vorhersage gemacht haben sollen, dass nämlich die weltweite Ölproduktion ab 2005 zurückgehen wird – was so nicht stimmt, woran die “falschen Propheten” aber Mitschuld tragen, denn:
- Erstens haben sie es zugelassen, dass ein auf einer fragwürdigen Datenbasis erstelltes wahrscheinliches Szenario von der Öffentlichkeit als Prognose aufgefasst wurde – was wahrscheinlich getan wurde, um überhaupt Gehör zu finden.
- Und zweitens machten sich die PeakOiler aus dem Jahr 2000 zu wenig bewusst, dass die Branche Mittel finden würde, das für 2005 erwartete weltweite Ölfördermaximum so weit wie möglich “nach hinten” zu verschieben (“Enhanced Oil recovery”/EOR). Darüber hinaus stellten sie, vielleicht naiv, nicht der vielfältigen Möglichkeiten zur Manipulation öffentlicher Statistiken im Rechnung (z.B. Umwandlung von “crude” in “all liquids”, die auch Kondensate aus der Gasproduktion umfassen).
Die Folge war, dass sich eine ihrer zentralen Annahmen, die ursprünglich von einem US-Geologen der 1950er stammt – die sogenannte Hubbert-Kurve – als “falsch herausstellte”.
Die Hubbert-Kurve ist eigentlich eine Gauß’sche Glockenkurve, die eine Normalverteilung zeigt, in diesem Fall: der Erdölproduktion in den USA (bzw. weltweit).
Die Kurve suggeriert, dass die Produktion nach einem spitzen “peak”, Gipfel, relativ stark abfällt, symmetrisch zu den Wachstumsraten, die auf dem Weg nach oben erzielt wurden.
Wikipedia zeigt uns die dahinter stehende simple Idee:
Nun kann man diskutieren, ob die PeakOiler das wirklich so gesagt haben – doch diese Debatte ist müßig, weil nur für sehr wenige Leute interessant.
Tatsache ist, dass die öffentlich zugänglichen Grafiken der Ölproduktion ab 2009 eine wieder ansteigende Linie zeigen.
Wen interessiert da noch, ob das auf Neudefinitionen oder auf die Unterschätzung der technischen Möglichkeiten bei der Reservoirausbeutung zurückzuführen ist?
Den Todesstoß erfuhr das Mem durch den Schieferöl-Boom ab 2013, mit dem der bis dahin “intakte Chartbild” eines seit Jahrzehnten andauernden Produktionsrückgangs zerstört wurde.
Das shale oil, das in der Statistik aufscheint, ist zu einem guten Teil kein konventionelles Öl, kann in den Raffinerien aber zu Benzin und Diesel verschnitten werden.
Der Ausreißer nach oben, den shale in der US-Produktionskurve verursacht hat, wirkt jedenfalls wie ein mahnend-belehrender Zeigefinger des technischen Fortschritts.
Kaum jemand scheint heute noch daran zu zweifeln, dass die “neue Technologie Fracking” nur weltweit ausgerollt werden muss, um auch außerhalb von Texas und Dakota Produktionswunder zu vollbringen.
Seneca folgt Hubbert
Bardi, der auch einen Blog mit dem Namen die Erbschaft der Cassandra schreibt, als Kollapsnik zu bezeichnen, ist nicht ganz falsch. Für ihn ist der plötzliche Zusammenbruch von Systemen not a bug, but a feature.
Er kann dafür jede Menge systemtheoretischer Begriffe und Analogien aus der Welt der Natur nennen, vom Zerbrechen fester Körper über das Zerplatzen angestochener Luftballons bis hin zu Lawinen aus Stein oder Schnee.
Phasenübergänge, Disruptionen, Schwarze Schwäne und Drachenkönige - Dinge, die normale Menschen lieber verdrängen – sind ihm Faszination.
Jedenfalls verwendet er für sein dieser Tage in deutscher Übersetzung erscheinendes Buch eine Gestalt, die einer brechenden Welle nachempfunden ist und die er in Anlehnung an ein Zitat eines altrömischen Philosophen als Seneca-Klippe bezeichnet. Die Seneca-Klippe des Italieners beschreibt, wie ein System eine gefühlte Ewigkeit seinen Gang gehen kann, wie es dann aber – ausgelöst womöglich nur durch den Flügelschlag eines Schmetterlings – abrupt in sich zusammenstürzt.
Das kann bei altägyptischen Pyramiden ebenso passieren wie bei supermodernen Flugzeugen oder bei Öko-, Finanz- und Gesellschaftssystemen.
Der Zusammenbruch des Alten Rom ist für Ugo nach seinem Seneca-Modell erfolgt, wo nach tausendjähriger Stabilität der Kollaps binnen vier oder fünf Generationen erfolgt sei, angestoßen durch die Erschöpfung der spanischen Silberminen (was Bardi bei jedem Hartgeld-Fan umgehend Pluspunkte einbringt ).
Interessantereise sieht Bardi, der an anderer Stelle die Relokalisierung und die Entkoppelung vom globalisierten Wirtschafts-Regime empfiehlt, das gegenwärtige Welternährungs-System inklusive UN-Hungerhilfe als Erfolgsgeschichte, die beim künftigen Kollaps nicht zwingend unter den Trümmern begraben werden muss (er vergleicht die Annona des intakten (!) Römischen Reichs mit den heutigen WFP-Programmen).
Wenn dann noch riesige, mit Nahrungsmitteln beladene Segelschiffe, elektrisch betriebene Traktoren und Nitrat-Dünger aus klimafreundlicher Elektrolyse (141/142) dazukommen, werden sich die Massen der Dritten Welt wohl auch jenseits der Seneca-Klippe am Leben erhalten können.
Natürlich erörtert der Autor auch den Begriff Overshoot (168), zu dem ihm primär die Walfänger im 19. Jahrhundert und die Störe im Kaspischen Meer einfällen – und weniger was wohl aus einer Weltpopulation von 10 Milliarden wird, wenn einmal keine fossilen Energieträger mehr verfügbar sind.
Ein äußerst unangenehmes Thema, zweifellos. Aber einfach verdrängen ist unehrlich und hilft auch nicht weiter.
Unfair ist auch, den Umbau unserer auf fossilen Energieträgern fußenden Zivilisation zu promoten und dabei den Eindruck zu erwecken, als ginge es für die Menschen in den Industriestaaten “nur” darum, schlechte Gewohnheiten über Bord zu werfen und nicht, auf wenigstens vier Fünftel ihres bisherigen Energiereichtums zu verzichten.
Das könnte früher oder später unvermeidlich werden, aber sich und anderen Leuten in den Sack zu lügen bringt auch nix.
Sündenbock Erdöl
Womit wir bereits beim Hauptkandidaten als Kollaps-Auslöser wären, der Klimakatastrophe, die ja aus der Kohlendioxid-Sucht der Menschen in der sogenannten Ersten Welt entstehen soll.
Jeder Autor, der noch nie von peak oil und/oder EROI/Nettoenergie gehört hat, wäre dabei glaubwürdiger als Bardi, bei dem man sich unwillkürlich fragt, wie ernst es ihm mit diesem Argument sein kann –
und ob er das Schreckgespenst von der Klimakatastrophe nicht bewusst als Noble Lüge akzeptiert, um jene kollektiven Verhaltensänderungen zu befördern, die er als Chronist der Verknappung für unabdingbar erachtet.
Das muss nüchtern festgestellt werden, denn
- aus einer realistischen Sicht der noch verwertbaren Ölreserven besteht für klima-alarmistische Extremszenarien keine Fundierung mehr – selbst bei systemimmanenter Argumentation (“CO2 ist der Treiber der Erwärmung”) nicht. Und
- außerdem ist klar, dass die drohende weitere Zunahme der Treibhausgas-Emissionen nicht auf die Konten von Erdöl und der Europäer, sondern auf jene der Kohle und der Asiaten zu verbuchen sind.
Dass Bardi das zumindest ahnt, lässt er auf Seite 227 der neuen deutschen Ausgabe erkennen, wo er zwei neuere Schätzungen zu den noch (sinnvoll) förderbaren fossilen Energieträgern zitiert – eine von Jean Laherrère aus dem Jahr 2012 sowie eine von McGlade und Ekins von 2015 (Nature 517).
Laherrère ist ein gewissermaßen “befreundeter PeakOiler“, der ab 2023 eine rasche Talfahrt der Ölproduktion erwartet (aber nicht aufgrund staatlicher Klimaschutzgesetze, sondern wegen der natürlichen Erschöpfung der abbaubaren Vorkommen).
Das weltweite Fördermaximum aller “fossilen Brennstoffe” modelliert er für das Jahr 2025.
Die insgesamt förderbare Menge (“URR”) von Kohle setzt Laherrère mit 5,4 Billionen Barrel Öläquivalenten an und jene von “Öl” (“all liquids”) mit drei.
Wobei der Franzose davon ausgeht, dass der Abbau von Kohle viel länger auf Hochtouren laufen wird als die Ölförderung – etwa ein halbes Jahrhundert länger (Figure 22).
Wenn in diesem seinem Szenario etwas die “Klimakatastrophe” befeuert, ist es der Kohleabbau (auf Basis der fragwürdigen, aber offiziell akzeptierten CO2-Argumentation natürlich).
McGlade und Ekins kennen nicht “die Skrupel”, die Laherrère davon abhalten, die offiziell gelisteten Reserven von fossilen Energieträgern einfach zu Emissionen umzurechnen.
Sie kommen in ihrem 2015 veröffentlichten Aufsatz auf mehr als die doppelte Menge Brennstoff, den die Menschheit noch verfeuern kann (und zählen die Methanhydrate nicht dazu).
Also etwa drei Billionen Tonnen brennbarer Kohlenstoffe – was eine klar theoretische Zahl ist, Propaganda für leicht zu beeindruckende, ahnungslose Politicos.
Trotz dieses Vorbehalts findet sich auf S. 187 folgende Grafik, die mit einem Schlag deutlich macht, wo das eigentliche Problem für das ursprünglich für Paris ausgegebene Emissionsziel liegt: bei der Kohle, nicht bei Erdöl oder gar Gas (ich mache von meinem Zitatenrecht Gebrauch).
Entscheidend ist auch hier einzig die Frage, ob die Steinkohle in China und Indien, in Russland und den USA weitgehend im Boden bleibt (wie gefordert).
Das freilich ist eine Problemstellung, die weder hiesige Politicos noch ihre Journos und sonstige europäische CO2-Apostel zu verbreiten pflegen.
Dumpfbacken dieses Schlags geht es nur darum, unter dem Vorwand des Klimaschutzes den Individualverkehr (via Verbrennungsmotor) beenden, auf dass für “staatliche Einsatzfahrzeuge” von Ambulanzen bis Militärflieger länger der echte Saft übrig bleibe.
Die Edle Lüge Europas
Nun scheinen diese Apostel und Quasi-Apostel mehrheitlich selbst zu glauben, was sie ihren Anhängern tagein, tagaus predigen:
dass es nämlich um Erdöl und seine Klimaschädlichkeit gehe und dass die industrialisierten Länder ihre “schmutzige Energie” ehebaldigst sein lassen müssten – widrigenfalls Gaia via Klimakatastrophe zurückschlagen werde.
Es gibt freilich auch eine Handvoll von mit szientifischem Rüstzeug ausgestatteten intelligenten Wesen, die die hierzulande angewandte Klima-Theorie als das durchschauen, was sie ist: Ideologie für Herrn und Frau Normalverbraucher, um diese zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen.
Zu dieser Gruppe gehört, wie ich glaube, auch Bardi, der – vielleicht aus sozialen Gründen – versichert, den Lehren des CO2-Warmismus zu folgen.
Dieser Gruppe unterstelle ich, dass sie den hierzulande fashionablen Klima-Alarmismus nährt und fördert, aber aus anderen als den scheinbar auf der Hand liegenden Gründen.
Diese wenigen Intelligenzien sind sich der schlimmen Lage bewusst, in der sich Europa am Ende des fossilen Energiezeitalters befindet – Europa, das ein dicht besiedelter Kontinent ohne nennenswerte eigene Ressourcen von dichten, mit Gewinn zu produzierenden Energieträgern ist.
Für diese Gruppe aufgeklärter Geister dient der modische Klima-Alarmismus als Noble Lüge, über die abendländische Philosophen von Plato bis Leo Strauss geschrieben haben.
“Auf diese Weise”, denken sich diese Leute wohl, “lässt sich dem Volk am besten einreden, warum Verbrennungsmotoren verboten werden müssen - ohne dass dabei Panik entsteht.”
Literatur:
Ugo Bardi, Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können. 2017,
Christophe McGlade, Paul Ekins, The geographical distribution of fossil fuels unused when limiting global warming to 2° C, Nature 517, 2015,
Jean Laherrère, Update on Coal, The Oil Drum, 8. November 2012
Bild: Rubber Duck (Public domain), NOAA (Public Domain) via Wikimedia Commons
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