Konkurs ist auch keine Lösung

broke_cover_redEine New Yorker Insolvenz-Spezialistin kommt zum Schluss, dass der Konkurs Detroits nach Chapter 9 – weil “Austeritätskurs” – auch nicht das Gelbe vom Ei war. In ihrem grad erschienenen Text verfolgt sie Lebenswege von Detroitern, die trotz Pleite & erfolgreicher Teilentschuldung der Stadt  persönlich scheitern. Es handelt sich um bedauernswerte Figuren, die von einem verhängnisvollen Kapitalismus und eigenen Charakterschwächen in den Untergang geführt werden. Die Moral von der Geschicht’: Washingon & Teilstaaten sollen mehr für Amerikas Städte tun.

Pleiten, weiß Kirshner zweifellos aus Berufserfahrung, muss immer irgendwer bezahlen - nur sollen es nicht die verarmten “alten Einwohner” sein … und auch nicht die einst gut verdienenden Pensionisten des jeweiligen Öffentlichen Diensts, die über Fonds einen beträchtlichen Teil der kommunalen Schulden halten.

Wie alle Keynesianer denkt sich auch die Autorin, es müsse nur kräftig investiert werden um die Dinge wieder zum Laufen zu bringen, vornehmlich in die Infrastruktur.

Das werde Zuzug & Wachstum ankurbeln, die Hauswerte erhöhen und die Stadtkassen wieder auffüllen (US-Gemeinden finanzieren sich zu einem Gutteil über die sg. property tax, die am Schätzwert der Immobilien hängt).

Umgekehrt werde eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, was unter republikanischer Federführung auf Staatsebene (Michigan) ja wirklich geschehen sei (= “neoliberal” und rassistisch).

Die erbarmungslosen, hauptsächlich von der Kommune betriebenen Zwangsversteigerungen von Häusern mit angehängten Steuerschulden, die hohen Haftpflichtprämien und eine harte polizeiliche Verfolgung des massenhaften unversicherten Fahrens hätten zur Folge gehabt, dass sich der Leistungswille der “alten Bevölkerung” Detroits nicht habe entfalten können.

Auch Verbrechen und Gesetzlosigkeit, fehlende Jobs, eine immer schlechter werdende Infrastruktur sowie willkürlich agierende Polizei- und Justizapparate setzten den Protagonisten so zu, dass auch ihnen letztlich nur die Flucht bleibe – wie so vielen anderen vor ihnen, Weißen und Mittelklasse-Schwarzen.

Das von der Champagner-”Liberalen” vorgeführte Scheitern der sieben Protagonisten ist etwas Spezielles.

Denn Figuren wie der von Los Angeles kommende Immobilien-Developer Robin, ein Weißer, scheitern wirtschaftlich gar nicht.

Im Gegenteil.

Die tragischen Helden

Robin geht dazu über, sanierte Industriearchitektur an eine zahlungskräftige post irgendwas-Klientel mit Zugang zu Kredit zu verkaufen – an elegante Start Ups, angesagte Techno-Clubs und nostalgische Yuppies.

Noch sind die Einkaufspreise in Detroit viel günstiger als an der Westküste und letztlich geht’s bei Robin darum, “einzigartiges Wohnen & Arbeiten in einer Umgebung voll rauen Charmes” anzubieten – ohne dass vor der Haustür echte Drogengeschäfte gemacht oder mit einem halbautomatischen Gewehr in die Veranda gefeuert wird.  

Robin, der ja kein Halsabschneider ist, scheitert aber insofern, als er ursprünglich nach Detroit gezogen war um dort “leistbaren Wohnraum” für die jüngeren Ureinwohner Detroits zu entwickeln – also Schwarze, die meist nach den Weißen kamen (und lange nach den Rothäuten).

Das erweist sich zunehmend als wenig lukrativ und prohibitiv mühsam, denn diese Kundschaft ist chronisch broke, pleite.

Aus diesem Milieu kommen auch die eigentlichen tragischen Helden des Buchs, mit einer Ausnahme Afroamerikaner:

  • Der Mittvierziger Miles, der in Sachen Hausrenovierung zwar “alles kann”, aber unverschuldet kaum Jobs kriegt und der von vor 14 Jahren begangenen “Jugendsünden” eingeholt wird – alles keine Gewaltverbrechen. Bei dieser Figur, muss man sagen, bricht bei der Autorin oft “die Strafverteidigerin” durch, deren Mandant sich “immer strebend bemüht” und der sich nie Gröberes zuschulden hat kommen lassen.
  • Der Mittfünfziger Charles, ein kranker Mann mit einer kranken Ehefrau – eine Brückenfigur zum lange vergangenen Detroit der gut bezahlten Industrie-Arbeitsplätze. Charles versucht mehrfach, für sich und seine Gattin lebenswertes Hauseigentum zu schaffen – vergeblich. Er muss immer auf’s Neue widrigen Umständen und kaufkräftigeren Konkurrenten weichen.
  • Cindy, eine über 60-jährige Alibi-Weiße (“token honky”). Diese Frau hält sich mit Putzen in den Suburbs über Wasser, ihre eigentlichen Berufungen sind aber freiwillige Arbeit in der Neighborhood-Organisation, Rasenmähen in vergammelnden Stadtvierteln und ihr Kampf gegen illegales Müllablagern. Anfangs hat sie über die “white flighters” nur die Nase gerümpft, am Ende  aber beschleicht auch sie der Verdacht ausgenützt worden zu sein und der Gedanke ans Auswandern. Eine Station auf dem Weg ins ideologische Nirwana ist jedenfalls die Konfrontation mit einer Kalifornierin, die wg. Urban Farming nach Detroit zieht – die sich beim Jalousien-Aufhängen aber so schwer tut. dass Cindy ihr auf herblassende und belehrende Art helfen möchte.   :mrgreen:    
  • Oder Lola, eine 30 Jahre alte alleinerziehende Mutter. Sie hat zwar einen College-Abschluss, macht aber keine Karriere im mittleren Management (wie das als angemessen empfunden würde). Das ist zwar tragisch, aber immerhin hat sie eine kluge achtjährige Tochter und stets perfekt gepflegte Fingernägel (und sie ist gesund).

Kirshners nicht-fiktionale Erzählungen ziehen sich nur über die vergangenen fünf Jahre, genauer: Sie beginnen mit dem Insolvenzantrag Detroits Ende 2013.

Das deckt natürlich die ganze Geschichte des Niedergangs Detroits bei weitem nicht ab. Genau beginnt diese bereits um 1960, als Detroit noch 1,8 Millonen Einwohner hatte (heute hat es etwas mehr als 700.000).

Und natürlich gibt es in dieser Geschichte unzählige Faktoren und Umstände wie Deindustrialisierung und Niedergang der Autoindustrie, Korruption, Entitlement-Mentalität und vielleicht auch rassisch-kulturelle Gründe (was von der großen Mehrheit der Detroit-Autoren vehement bestritten wird).

Nichts davon – da hat Kirshner recht – hat sich durch den Insolvenzantrag zum Besseren gewendet.

Nichts aber würde sich auch durch die “Lösungen” ändern, die der Verfasserin vorschweben.

Jodie Adams Kirshner, Broke: Hardship and Resilience in a City of Broken Promises. 2019

 

Paul Kersey, Detroit: The Unauthorized Autopsy of America’s Bankrupt Black Metropolis.2014

Rebecca J. Kinney, Beautiful Wasteland: The Rise of Detroit as America’s Postindustrial Frontier. 2016

 Scott Martelle, Detroit. A Biography. 2014

Unabhängiger Journalist

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