Meine These, dass die Erdölschwemme ein fake ist und die Produktion vor dem Wendepunkt steht, stößt weithin auf Unglauben. Menschen, die über den zugehörigen Markt Bescheid zu wissen glauben, werfen ein, dass die Welt in Erdöl schwimme und dass das durch beispiellos hohe US-Lagerbestände bewiesen werde. Diese Leute sollten sich einmal den Aufsatz eines US-Erdölanalysten durchlesen.
Dann würden sie vielleicht aufhören, die offiziellen Verlautbarungen als reine Wahrheit anzusehen. Scheinbar sind vier Fünftel der ausgewiesenen stocks Phantombestände.
Die Zahlen über die US-Rohöllagerbestände kommen zustande, indem die fünf Verteidigungsbezirke der Staaten – die Organisationsstruktur stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg – in regelmäßigen Abständen die Bestände ihres Zuständigkeitsbereichs ermitteln lassen – was angeblich auf echten Messungen durch die Lagerbetreiber beruht.
Die Daten werden dann nach Washington an die US Energy Information Agency (EIA) berichtet, die sie addiert, mit einem Anpassungsfaktor versieht und als Weekly Petroleum Status Report (WPSR) veröffentlicht. Diese Lager sind nicht mit der Strategic Petroleum Reserve zu verwechseln, die in Salzstöcken an der Golfküste gelagert sind.
Nachrichtenagenturen stürzen sich dann wie die Geier auf diese Verlautbarungen und geben sie buchstäblich binnen Sekunden an die sogenannten Märkte weiter ( = spezielle Programme für den Aktienhandel). Die damit befassten Journalisten sind manchmal so unglaublich fix, dass sie schon berichtet haben bevor die amtliche Veröffentlichung erfolgt ist .
Je nachdem, ob die Lagerbestände gestiegen und gesunken sind, gibt’s dann einen marktinduzierten Rückgang oder Anstieg beim Ölpreis (meist freilich auf Basis der ersten Ableitung: “weniger/mehr als erwartet”).
Von solch kurzatmigem Auf und Ab abgesehen, sind die von der EIA vermeldeten US-Lagerbestände heute um rund 150 Millionen Barrel oder ein Drittel höher als im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014. Die Auswirkungen auf den Preis sind gravierend. Schreiben die Verfasser besagten Artikels:
Until the present surplus is reduced by almost 150 million barrels down to the 2010-2014 average, there is little technical possibility of a sustained oil-price recovery.”
Art Berman und sein australischer Kollege Matt Mushalik, dessen Arbeit ich hier schon einmal verwendet habe und der die Geschichte auch in seinem Blog publiziert, haben sich die Mühe gemacht, ihre Computer mit den EIA-Daten seit 2002 zu füttern und die Angaben der Behörde nachzurechnen.
Herausgekommen ist diese sensationelle Liniengrafik, die ich hier leider nicht reproduzieren darf.
Ihre Hauptaussage ist: der markante inventory build up, der seit 2014 stattgefunden hat, ist auf Basis der anderen offiziellen Verlautbarungen nicht nachvollziehbar.
Im Gegenteil. Die von Berman/Mushalik aus den anderen Zahlen abgeleiteten Lagerbestände (“implied stocks”) sind rapid auf heute etwa 100 Millionen Barrel gesunken. Die Differenz zu den per WPSR verlautbarten Lagerständen – 400 Millionen Barrel – ergibt sich demnach aus der Kumulation der wöchentlich vorgenommenen Anpassungen.
Kleine “technische” Ergänzung: Ihre implied (crude) stocks errechnen Berman/Mushalik aus der Formel
Inlandsproduktion + Nettoimporte – Raffinerie-Inputs”,
durch die Bank offizielle Angaben. Die Summe aus diesen Daten müsste eigentlich die jeweilige Veränderung der Lagerbestände in einer bestimmten Periode ergeben
Theoretisch.
Genauigkeits-/Rundingsfehler, meinen die Autoren, sind angesichts der enormen Dimensionen, die die Abweichungen aufweisen, ausgeschlossen.
Zwar hat es auch historisch, bis 2011/12, immer eine Differenz zwischen berichteten und impliziten Lagerbeständen gegeben – die sich aber in der Größenordnung von ein paar Prozentpunkten bewegt hat. Heute sind die verlautbarten Reserven um 400 Prozent höher als die errechneten Lagerbestände.
Weil die beiden Autoren höfliche Menschen sind und Art in den USA leben und arbeiten muss, enthalten sie sich einer spekulativen Erklärung und listen ganz neutral vier mögliche Ursachen für die Diskrepanz auf. Diese sind:
- die US-Eigenproduktion wird unterschätzt,
- die Nettoimporte werden unterschätzt,
- die Zahlen für die Lieferungen an die US-Raffinerien sind zu hoch, oder
- die berichteten Lagerbestände sind zu hoch.
Berman neigt dazu, die ersten drei Erklärungen mit dem Hinweis zu verwerfen, dass es sich dabei um steuerpflichtige Transaktionen handelt und der Staat bzw. die privaten Akteure kein Interesse daran haben können zu geringe Zahlen zu akzeptieren bzw. überhöhte Zahlen ans Amt zu berichten.
Wahrscheinlich handle es sich um einen technischen Fehler irgendwo im Reporting-System, der die Lagerzahlen ungewollt nach oben treibe, mutmaßt der gute Mann.
Schwer zu sagen, was Berman wirklich denkt.
Man könnte jedenfalls ohne weiteres die Meinung vertreten, dass nur der vierte Punkt wirklich zutrifft und dass es sich bei den ersten drei um reale Zahlen handelt, bei denen niemand um Steuereinkünfte umfällt oder zu viel Steuer bezahlt.
Bild: Christian Ferrer, via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.