Deagel oder der Untergang des Abendlandes im Computermodell

 

Oswald Spengler, 1922
Oswald Spengler, 1922

Ein Portal für die Rüstungsindustrie sagt den USA, Europa, sowie dem Rest der West-Verbündeten den fast vollkommenen Zusammenbruch in den nächsten zehn Jahren voraus. Auf welche Datenbasis sich deagel.com stützt, lässt die Firma weitgehend im Dunkeln. Klar ist nur, dass Faktoren einbezogen werden, die von anderen langfristigen Prognosen nicht verwendet werden. Zum Beispiel das Ende des westlichen Finanzsystems.

deagel.com ist die Website eines Unternehmens, das man als Informationsdienstleister für die Rüstungsindustrie bezeichnen könnte. Seit 2003 können sich dort Personen, die Interesse an Militärflugzeugen, Schiffen & Raketen haben, an den neuesten must-haves des Gewerbes ergötzen. Manche bezeichnen das Ding sogar als “Webshop für Militärgüter”. Es ist unbestreitbar, dass deagel seit wenigstens 2003 kontinuierlich tätig war und heute ein wesentlicher Anbieter von Informationen über Waffensysteme ist.

Die Seite ist jedenfalls weder “fringe” noch ist sie ein Hobby-Ding, das von irgendwelchen Amateuren gemacht wird, die schon einmal auf ein Update verzichten, weil sie keine Lust haben aufzustehen. Es handelt sich jedenfalls um Akteure, die gewohnt sind, Unmengen an (schein)präzisen Herstellerdaten zu bearbeiten und publizieren.

Wie die Internet-Öffentlichkeit erst im Oktober 2014 entdeckt hat, befindet sich auf dieser Seite eine seit 5 Jahren kontinuierlich aktualisierte Datenbank, in der Vorhersagen über die Zukunft von 200 Ländern gemacht werden, Vorhersagen für 2025 (2020), die auf Rechenmodellen beruhen, die mit (teilweise) unbekannten Daten gefüttert werden.

Damit unterscheidet sich Deagel nicht wirklich von den mittel- bis langfristigen Prognosen, die internationale und nationale Institutionen von Zeit zu Zeit absondern. Im Prinzip.

US-Militärbudget -99%

 Bemerkenswert ist “nur”, dass sich die Ergebnisse der Forecasts so gar nicht mit den Prognosen der anderen Institutionen decken. Der Hauptunterschied ist, um es kurz zu sagen: deagel.com sagt den G7, also den USA und ihren Verbündeten, für die nächsten 11 Jahre einen fürcherlichen Absturz in Sachen Wirtschaft und Lebenshaltung voraus.

Die USA, glaubt Deagel, wird 2025 nur mehr 69 Millionen Einwohner haben – statt der über 316 Millionen heute -, während sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf ein Sechstel und die Militärausgaben auf ein Hundertstel reduziert haben werden.

USA
Die vorletzte und letzte Spalte beziehen sich auf die Rüstungsausgaben und das BIP/Kopf in PPP

Extremer geht’s wirklich nicht mehr. Würde einer der sich zahlreich im Internet tummelnden “Doomer” solche Projektionen machen, müsste man ihm raten nicht ganz so schwarz zu malen, da er sonst jede Glaubwürdigkeit einbüße.

Die europäischen Staaten, Japan, Australien, Kanada und Israel soll es ähnlich hart treffen. Diese sollen grosso modo die Hälfte der Bevölkerung sowie des realen Bruttoeinkommens pro Kopf verlieren. Deutschland soll einen Hauch besser, Frankreich schlechter als der Rest Europas aussteigen.

Die großen Gewinner, glaubt man, werden Länder wie China, Indien, Brasilien und Russland sein. Das Ganze ist auch nicht als zweckfreie ästhetische Übung zu betrachten – schließlich informiert die Statistik die Leser aus der Rüstungsindustrie darüber, wie sich das Militärbudget der erfassten Staaten entwickeln soll. Man muss davon ausgehen, dass Deagel seine Kunden nicht offen verarschen will und der Statistik daher eine gewisse ernsthafte Intention zubilligen.

Wie sieht in der Kristallkugel des Rechenmodells die österreichische Zukunft aus?

In etwa so. Die Bevölkerung soll um 1,8 Millionen Menschen sinken und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf soll sich auf 24.500 Dollar real halbieren. Damit würden die Austriaken 2025 gleichauf mit den Slowaken liegen, deren Wirtschaft im kommenden Jahrzehnt stagnieren würde.

Schadensbegrenzung und Rechtfertigung

Als der Cyberspace dieses Jahr auf die Statistik aufmerksam wurde, setzten sofort PR-Maßnahmen zur Verteidigung bzw. Schadensbegrenzung ein.

Man versuchte nahezulegen, dass die Site gehackt worden sei – was sich schnell als Unsinn herausstellte: Hacker machen sich nicht die Mühe, über viele Stunden hinweg Hunderte Datensätze von 200 Ländern zu ändern. In den Kommentaren wurde eine Reihe anderer Zweifel/Erklärungsversuche laut, die sich auch nicht als besonders stichhaltig entpuppten (z.B. Tippfehler, fehlerhafte Interpretation, etc.)

Das Faktum blieb: Da gibt es einen professionellen Informationsdienstleister im Rüstungsgeschäft, der auf Basis seiner Rechenmodelle Entwicklungen vorhersagt, die von den konventionellen Prognosen völlig abweichen. Und er tut dies nicht erst seit gestern, sondern schon seit fünf Jahren, wie eine Recherche mit der Wayback-Maschine ergibt.

Im Netz schossen daraufhin die unterschiedlichsten Erklärungsversuche aus dem Boden. Manche von ihnen hatten mit der Familie Rothschild, andere mit dem kürzlich verstorbenen Thrillerautor Tom Clancy und dritte mit den Georgia Guidestones zu tun. Hartgeld hält es für möglich, dass deagel ein Sprachrohr der verborgenen Eliten darstellt.

Eine Woche nach der “Entdeckung”, am 26. Oktober, brach deagel.com schließlich sein Schweigen und gab in genervtem Tonfall eine Art Erklärung ab. Das war zunächst einmal eine Bestätigung eines Faktums, das ohnedies nicht mehr zu leugnen war: dass die Prognosen nicht von Dritten auf die Seite geschmuggelt worden waren, sondern dass es sich um einen legitimen Content handelte.

Der Seitenbetreiber erklärte, der Großteil der Input-Daten stamme aus offiziellen Quellen, nur eine “winzige” Teilmenge komme aus “Schattenquellen” – dass die offiziellen Daten aber sowieso nichts über den wirklichen Stand der Dinge aussagen würden (= die gleichen Quellen, auf die sich die eigene Prognose zum überwiegenden Teil stützt, angeblich zumindest).

Danach verwies die Erklärung auf das Risikopotenzial von Ebola – um schließlich bei folgender Aussage zu landen (eigene Hervorhebung): “Der Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems wird den Lebensstandard der Bevölkerung auslöschen und Kettenbrief-Systeme wie die Börse und Pensionsfonds beenden. Die Bevölkerung wird durch eine Reihe von (Finanz)Blasen so heftig getroffen, dass der Migrationsmotor in die andere Richtung zu laufen beginnt.”

Die Todesrate werde zwar sehr hoch sein, aber der größere Teil der fehlenden 240 Millionen Amerikaner scheine deswegen nicht mehr als US-Bevölkerung auf, weil er nach Lateinamerika emigriert sei, wurde beruhigt. Na dann….

“Es tut uns leid, dass wir sie mit unserer Prognose enttäuscht haben”, schreibt Deagel in einer Anmerkung, als handle es sich um die Verfehlung der Guidance einer börsentierten Firma um ein paar Prozentpunkte. Aber “seit dem Beginn der Vorkrise 2007 wird es jedes Jahr schlimmer.”

Letztlich sei man aber nicht profitorientiert und die Prognose sei “in der Freizeit” erstellt worden – weswegen man auch keine weiteren Auskünfte schulde. “Wir stellen unsere Informationen und Dienstleistungen wie vorgelegt (“as is”) zur Verfügung und geben dazu keine weiteren Informationen oder Garantien ab (…) Ziehen Sie in Betracht, dass die Prognose nur ein Modell ist, das fehlerhaft oder korrekt sein kann. Sie ist nicht das Wort Gottes oder eine zauberhafte Vorrichtung, die es erlaubt, in die Zukunft zu schauen.”

Roma locuta, causa finita. Deagel liegt mit der Aussage jedenfalls goldrichtig, dass ein Rechenmodell nicht das Wort Gottes ist – und das gilt auch für all die schönen Konstrukte der institutionalisierten Wirtschaftsforscher-Kollegen.

Die zentrale Frage blieb trotzdem bestehen: Wie kann sich Deagel zu sagen wir: 90 Prozent auf den gleichen Input stützen wie die anderen, aber zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Und warum und wo beginnt die eine von der anderen Modellrechnung abzuweichen?

Eine weltweite Pandämie kann jedenfalls nicht der entscheidende Faktor sein, weil die Population in z.B. in Südamerika und Westafrika entweder wächst, stagniert oder nur leicht schrumpft – während sie in den USA und Europa regelrecht zusammenbricht.

Ein großer Atomkrieg ist auch wenig wahrscheinlich, weil die für 2025 vorhergesagte Weltbevölkerung von 6,9 Milliarden auch einem solchen Szenario widerspricht (sowie der Version, dass es sich dabei um die Ankündigung eines “Depopulations-Versuchs” handelt).

Damit bleibt als Erklärung eigentlich nur der Zusammenbruch des Finanzsystems in jenen Ländern, die man als Angehörige des US-Dollar-Konsortiums bezeichnen könnte.

Das ist eine auch im Internet weit verbreitete Vorstellung, eine die von den unterschiedlichsten Leuten in den verschiedensten Ausprägungen vertreten wird. Mit an sich guten Argumenten, denn das Wachstumsmodell des Dollar-Raums kann auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden, wie jeder wissen kann, der imstande ist, Schlüsse zu ziehen.

Es könnte sich bei der Deagel-Länderliste also durchaus um eine auf lange Frist angelegte (Des)Informationsoperation handeln, die auf dieses weit verbreitete Mem aufbaut.

Dann müsste es aber von den Feinden des Imperiums stammen – von den Kommunisten, der Anti-Dollar-Allianz, den Anhängern einer multipolaren Weltordnung – wie immer man diese Leute nennen mag.

Kaum aber von Machtorganen jenes Imperiums, dem der Untergang vorausgesagt wird.

Das aber glaubt aber z.B. der Kopp-Verlag, der Deagel als “CIA-Frontseite” abtut und die Prognosen als “völlig abstrus” ansieht.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Prognose aus “dem Westen” kommt. Und sie ist so (viel oder wenig) abstrus wie andere langfristige Vorhersagen auch, zum Beispiel der World Energy Outlook der IEA. Hier wie da ist das verwendete Rechenmodell nicht wirklich durchschaubar.

Nur dass die Deagel-Rechner – wer immer das ist – ein paar Faktoren einbeziehen, die jene anderen Institute, die mittel- und langfristige Prognosen erstellen, zu ignorieren pflegen. Dinge, “die es nicht geben darf”. Die sind per se aber nicht abstrus.

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Deagel 2012 via Waybackmachine: Winner & Loser

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R06610, Wikimedia Commons, CC

Unabhängiger Journalist

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