Der Cyberspace nach den Shadow Brokers, erzählt von Ben Buchanan

cover_resizedEin junger Harvard-Fellow thematisiert die Entwicklung des “Cyberspace” speziell in den vergangenen fünf Jahren und zeichnet das Bild einer zunehmend chaotischen Welt, in der sich ein ständiger, unregulierter und nicht rechenschaftspflichtiger Wettbewerb von Staaten abspielt, die sich interessensgeleitet, aber zwanglos mit Organisierter Kriminalität verbünden (und einander bekämpfen). Eine interessante Darstellung mit Schlagseite.

Die “Schlagseite” besteht, wenig überraschend, in einer oft naiv anmutenden Übernahme der Perspektive der US-Geheimdienste bzw. der sg. Five Eyes, deren Staaten mit OK natürlich nichts am Hut haben .     :mrgreen:

Selbstverständlich (und wahrscheinlich zutreffend) berichtet der Autor von der Verschränkung iranischer Hacking-Aktivitäten mit deren “Informationsoperationen” – er scheint sich aber keinen Moment lang zu fragen,

ob die ihm selbst “als Beilage gereichten Narrative” einen Plausibilitätscheck bestehen,

beispielsweise der angebliche Giftgas-Anschlag der Russen auf Sergej Skripal in Großbritannien,

sozusagen nach dem Motto: “Wenn meine Quellen es behaupten, wird’s schon stimmen.”

Drum ist die US-Beschuldigung, die Russen hätten den Katastrophen-Wurm NotPetya in Umlauf gebracht, für Buchanan kein politischer Akt, sondern eine gerichtsfeste Tatsachenbehauptung und das Fehlen von US-Vergeltungsmaßnahmen dafür bleibt letztlich unverständlich.

Obwohl durch den Autor der vormals unangefochtene Platzhirsch, das Imperium, mit dem ihm eigenen Zungenschlag spricht,

sind die Ausführungen des Autors äußerst wertvoll

- wenigstens für diesen Blogger, der definitiv nicht zu den Kennern der Fachöffentlichkeit gehört.

Shadow Brokers & NotPetya

Speziell der den vergangenen fünf Jahren gewidmete dritte Teil hat es ihm angetan.

Wahrscheinlich konnte man einiges in spezialisierten Journalen lesen,

aber ich muss zugeben, dass vieles davon, auch  “Welterschütterndes”, spurlos an mir vorbeigegangen ist. Ich gehöre nicht zu den Lesern dieser Publikationen.

Gerade noch geläufig waren diesem Blogger die mutmaßlichen Aktionen russischer Cyberkrieger bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016, die ich bis heute eher als “netten Versuch” betrachte, der nicht wirklich der Rede wert ist.

Es ist aus meiner Sicht unsinnig zu glauben, dass ein paar Facebook-Anzeigen und eine Handvoll Cybertrolle in St. Petersburg im Jahr 2016 den Ausschlag zugunsten Trumps gegeben hätten.

Die kriminellen Attacken angeblich nordkoreanischer Hacker auf asiatische Banken und der Wurm WannaCry waren diesem Blogger aber bereits nicht mehr bekannt,

ebensowenig wie die Zäsur geradezu historischen Ausmaßes, die sich durch die Aktionen der Shadow Brokers ergeben hat.

Diese bis heute nicht identifizierte Gruppe hat seit 2016 einige der tiefsten Geheimnisse der NSA veröffentlicht,

mächtige hacking tools, die es den Amerikanern bisher erlaubt haben, unbemerkt in fast jedes Netzwerk einzudringen.

Aus Bestandteilen dieser Codes sollen nun staatliche oder quasistaatliche Hacker Schadprogramme von geringer Zielgenauigkeit, aber enormer Zerstörungskraft entwickelt haben – etwa den Wurm NotPetya, der von der Ukraine ausgehend, 2017 weltweit einen Schaden von 10 Mrd. Dollar angerichtet hat.

Zu den Opfern gehörten der weltweit tätige Logistik-Riese Maersk und der deutsche Pharma-Konzern Merck.

Diese Vorgehensweise, betont Buchanan, sei neu.

Hier gehe es weder um Spionage noch um Sabotage wie früher, noch sei ein ein mehr oder weniger kriminelles Profitstreben erkennbar. Es gehe offenkundig um Zerrüttung und breitflächige Destabilisierung,

***

Vielleicht hatte der russische Staat ja tatsächlich einen Anteil am Zustandekommen von NotPetya

und die US-Schuldzuweisung beruht wirklich auf “belastbaren Indizien”.

Es ist durchaus “vorstellbar”, dass Moskau der Ukraine und deren westlichen Geschäftspartnern einen vernichtenden Schlag versetzen wollte,

und die Fähigkeit zur Entwicklung dieser vorgeblichen ransomware ist russischen Hackern durchaus zuzutrauen.

Auf einem anderen Blatt stehen die Shadow Brokers selbst, die Zugang zum “Allerheligsten” der NSA haben (hatten)

und deren modus operandi sich nicht sicher erkennen lässt, und auch nicht, welches Motiv sie treibt.

Hätten russische Dienste einen derartig sensationellen Zugang zu den tiefsten Geheimnissen der National Security Agency,

wäre es nur rational das so lange wie irgend möglich zu verbergen.

Ben Buchanan, The Hacker and the State: Cyber Attacks and the New Normal of Geopolitics. 2020

Unabhängiger Journalist

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