Der 1. November ist auf dem langen Weg zur möglichen Einführung eines digitalen Euro ein wichtiges Datum. Die zweite Phase, die sogenannte Vorbereitungsphase, beginnt dann offiziell, nachdem die erste Phase, die Forschungsphase, Mitte Oktober abgeschlossen wurde. In vier bis fünf Jahren sollen die Bürger der Eurozone schließlich mit dem digitalen Euro bezahlen können. Von Gregor Hochreiter
Im Zeitalter der Digitalisierung scheint es nur selbstverständlich zu sein, dass auch das Geld digital wird. Oder ist es das nicht ohnehin schon, da Überweisungen per Knopfdruck über den Computer oder das Handy alltäglich geworden sind, ebenso Zahlungen mit Bankomat- und Kreditkarte oder per App?
Die Antwort mag überraschen, denn Ja und Nein sind richtig, je nachdem, was man unter Geld versteht.
Ja, wenn unter Geld all das verstanden wird, womit eine Rechnung bezahlt werden kann. Die Nutzung der Bankomat- oder Kreditkarte oder die Zahlung per Überweisung kommen einem in den Sinn.
Die Antwort lautet allerdings Nein, wenn man den Begriff Geld ausschließlich auf das von der Zentralbank direkt ausgegebene Geld bezieht. Denn zum Zentralbankgeld im allerengsten Sinn zählen überhaupt nur die Banknoten, die zusammen mit den Münzen den Bargeldbestand ergeben.
Und genau an diesem Punkt setzt die Diskussion um das digitale Zentralbankgeld, englisch „Central Bank Digital Currency“ (CBDC), ein. Die Einführung eines digitalen Zentralbankgelds soll das Bargeld in das 21. Jahrhundert katapultieren, so wie sich im 19. und 20. Jahrhundert die Banknoten zu den davor exklusiv gebrauchten Münzen dazu gesellten.
Zentralbanken in mehr als 100 Ländern arbeiten bereits an einer digitalen Zentralbankwährung. Zudem arbeitet die Zentralbank der Zentralbanken, die „Bank für Internationale Zusammenarbeit“ (BIZ) an einem eigenen Projekt unter dem Namen „mBrigde“.
Staaten, die an einer digitalen Zentralbankwährung arbeiten (Rot = lanciert (11 Staaten), Grün = Pilotphase (21), Türkis = Entwicklungsphase (33), Blau = Forschungsphase (46))
Quelle: Atlantic Council: CBDC Tracker
Forschungsphase (engl. „investigation phase“ wurde mit der Publikation der Zwischenergebnisse unter dem Titel „A stocktake on the digital euro“ Mitte Oktober abgeschlossen.
Ebenfalls am 18. Oktober fasste der EZB-Rat den Beschluss, die zweite Phase, die sogenannte Vorbereitungsphase (engl. „preparation phase“) per 1. November zu lancieren. Danach, voraussichtlich in zwei weiteren Jahren, soll es an die eigentliche Umsetzung gehen.
Zwar obliegt es am Ende allein dem EZB-Rat, ob er ein digitales Zentralbankgeld einführen möchte oder nicht.Die gesetzliche Grundlage für eine Einführung muss jedoch der EU-Gesetzgeber, also der Europäische Rat und das Europäische Parlament, schaffen.
Zur Einleitung des Gesetzgebungsprozesses hat die EU-Kommission Ende Juni zwei Verordnungsvorschläge präsentiert: einen „zur Einführung des digitalen Euro“ und einen „über Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel“.
Auf dieser Grundlage beginnen nun die politischen Verhandlungen. Diese könnten sich angesichts der für Anfang Juni 2024 angesetzten Wahlen zum Europäischen Parlaments in die Länge ziehen, insbesondere dann, falls es zu einer deutlichen Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments kommen sollte.
Wozu ein digitaler Euro?
Der Großteil der für Zahlungen nutzbaren Geldmenge wird nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, von den Zentralbanken in Umlauf gebracht, sondern von den Geschäftsbanken.
Bis zu 90 Prozent der gesamten Geldmenge hat ihren Ursprung in der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken. Noch geringer ist der Anteil des Bargelds – Banknoten und Münzen – an der gesamten Geldmenge. Dieser beträgt nur rund 1%.
Der digitale Euro soll, so die EZB, das bisherige Bargeld nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die physischen Banknoten und Münzen sollen um eine digitale Version, den digitalen Euro, erweitert werden. Den Zentralbank-Euro gäbe es damit in dreifacher Ausführung: Banknote, Münze, digitaler Eintrag.
Euro-Banknoten und Euro-Münzen werden in der Geldbörse aufbewahrt, der digitale Euro in der digitalen Geldbörse, dem sogenannten Wallet, das sich typischerweise auf dem Handy befindet. Ein digitaler Euro entspricht dabei exakt einem physischen Euro, so wie eine Fünf-Euro-Banknote und fünf 1-Euro-Münzen exakt die gleiche Kaufkraft haben.
Welchen Vorteil soll der digitale Euro bieten, wenn man schon heute per Bankomat- oder Kreditkarte digital bezahlen kann?
Bei Zahlungen mit der Bankomatkarte oder mittels Überweisungen fallen Gebühren an, und sei es auch nur für die Kontoführung, ebenso bei Kreditkartenzahlungen. Die Bezahlung mit dem digitalen Euro soll hingegen für die Bürger gratis sein, sowohl der Transfer des Zahlungsbetrags wie auch die digitale Geldbörse.
Damit wären Zahlungen mit dem digitalen Euro in all jenen Ländern, in denen eine Bargeldbehebung am Bankomat mit einer Gebühr belegt ist, günstiger als Zahlungen mit Bargeld. Für Österreicher trifft dieser Fall allerdings nicht zu, da Bargeldbehebungen für Österreicher im Inland und Euro-Ausland im Regelfall gratis sind.
Ein weiterer Vorteil wäre, dass eine Zahlung mit dem digitalen Euro in Sekundenbruchteilen abgewickelt würde. Eine Überweisung, speziell bei Zahlungen über die Landesgrenzen der einzelnen Euro-Mitgliedsstaaten hinweg, benötigt aktuell noch immer einiges an Zeit.
Die US-amerikanische Zentralbank, die Federal Reserve, hat mit „FedNow“ Ende Juli ein derartiges Echtzeitzahlungssystems lanciert.
Ein weiteres explizites Ziel des digitalen Euro ist, dass die EZB einen Beitrag zur Stärkung des Binnenmarktes leisten möchte, indem die weiterhin stark nationalstaatlich organisierte Zahlungsinfrastruktur um eine EU-weit einheitliche ergänzt wird.
Allerdings planen die Geschäftsbanken, im kommenden Jahr im Rahmen der sogenannten „European Payments Initiative“ selber ein derartige Infrastruktur in Betrieb zu nehmen.
Als weiterer wichtiger Aspekt wird von der EZB ein politischer angeführt: eine Stärkung der „strategischen Autonomie“, also die Vergrößerung der eigenen Handlungsfähigkeit. So will die EZB das Feld digitaler Zahlungsmöglichkeiten nicht länger meist US-amerikanischen privaten Anbietern wie „Google Pay“ oder „Apple Pay“ und den großen Kreditkartenunternehmen überlassen.
Zudem fürchten die Zentralbanken, dass eine größere Ausbreitung von Kryptowährungen wie Bitcoin langfristig die Effektivität der Geldpolitik untergraben könnte.
Um den Geschäftsbanken keine Konkurrenz zu machen, wird jeder Bürger nur einen überschaubaren Betrag in digitalen Euro halten dürfen. Die EZB strebt nicht danach, das Geldsystem grundlegend zu reformieren wie es etwa die Vertreter des sogenannten „Vollgeld“ fordern.
Einen offiziellen Vorschlag vonseiten der EZB zur Höhe dieses Verfügungsrahmens gibt es allerdings noch nicht. Ein Betrag von 3.000 Euro wird immer wieder genannt. Offline-Zahlungen in einem engen Tal oder bei einem Stromausfall sollen ebenfalls möglich sein. Im Raum steht ein Betrag von 1.000 Euro. Ob diese Beträge an die Inflation angepasst werden und falls ja wie, ist eine der vielen noch ungeklärten Detailfragen.
Mit dieser niedrigen Obergrenze soll zudem ein digitaler Bank-Run verhindert werden. Besorgte Kunden könnten ohne eine niedrig angesetzte Obergrenze sonst ihre Guthaben von den Geschäftsbanken abziehen und in digitale Euro umwechseln.
Der digitale Euro soll auch nur Bürgern zur Verfügung stehen, für Transaktionen von Bürgern zu Bürgern und für Einkäufe im Einzelhandel. Unternehmen werden den digitalen Euro für die Abwicklung von Geschäften dagegen nicht nutzen können.
Laut Auskunft der EZB werden die Transaktionsdetails nicht gespeichert werden. Wer, wann, wem wie viele digitale Euro virtuell übergeben hat, soll wie beim Bargeld nicht nachvollziehbar sein.
Allerdings besteht ein Unterschied zwischen der Online-Version des digitalen Euro und der Offline-Version. Bei der Online-Version wird die Transaktion über einen Intermediär abgewickelt. Und dieser Intermediär, voraussichtlich die Geschäftsbank(en), wird den Zahlungsvorgang aufzeichnen wie bei einer Überweisung. Eine Offline-Zahlung soll dagegen ohne diesen Intermediär abgewickelt werden.
Die Transaktionsdetails werden demnach nicht aufgezeichnet, sondern nur die Veränderung des Kontostands der beiden involvierten Zahlungspartner.
Somit ähnelt eine Offline-Zahlung mit dem digitalen Euro tatsächlich einer Bargeldzahlung (unterhalb einer etwaigen Legitimationsgrenze bzw. Transaktionsgrenze), während eine Online-Zahlung einer Zahlung mit der Bankomatkarte bzw. einer Überweisung in Echtzeit entspricht.
Risiken des digitalen Euro: Gefahr der totalen Kontrolle
Bei einer Zahlung mit Banknoten und Münzen ist keine weitere Person involviert. Niemand, auch nicht der Staat, kann irgendeinen Aspekt des Übergebens von Banknoten und Münzen beeinflussen.
Beim digitalen Bargeld ist das anders. Denn es bedarf einer entsprechenden IT-Infrastruktur, um eine Zahlung abzuwickeln. Damit stellt sich automatisch die Frage, ob dieser Dritte, einen Einfluss auf die Transaktion nehmen könnte, indem beispielsweise der Kauf bestimmter Waren beschränkt wird oder indem bestimmte Personen von der Nutzung des digitalen Geldes ausgeschlossen werden.
Wenn solche Einschränkungen möglich sind, spricht man von „programmierbaren Geld“. Die EZB unterstreicht, dass der digitale Euro explizit kein programmierbares Geld sein wird.
Die Coronapandemie hat jedoch gezeigt, wie schnell bislang Undenkbares umsetzbar ist. Weder sprachlich noch gedanklich ist der Schritt von der Verkehrsbeschränkung zur Zahlungsverkehrsbeschränkung ein allzu großer.
Dass Regierungen, die etwa den Klimawandel als existenzielles Risiko begreifen, den Kauf bestimmter als klimaschädlich eingestufter Produkte einschränken könnten, ist durch die zahlreichen Tabubrüche während der Corona-Pandemie ein nicht von der Hand zu weisendes Risiko. Wer hätte sich noch vor drei Jahren vorstellen können, dass der Zutritt zu Wirtshäusern nur nach dem Vorweisen eines Test- oder Impfnachweises möglich ist.
Die Not kennt schließlich kein Gebot, auch wenn es sich nur um eine eingebildete oder aufgebauschte Not handeln sollte.
Dieses Faible für eine stärkere Steuerung privater Kaufentscheidungen durch programmierbares digitales Zentralbankgeld zeigt sich allen voran bei hochrangigen Vertretern internationaler Institutionen.
So hat der aus China stammende stellvertretende Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds (IWF), Bo Li, bei einem IWF-Seminar im vergangenen Herbst die grundsätzliche Möglichkeit der Programmierbarkeit des digitalen Zentralbankgeldes als positive Eigenschaft hervorgehoben.
So hat auch der Generaldirektor der „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“ (BIZ), der Mexikaner Agustin Carstens, 2021 folgende Aussage getätigt, die die stärkere Überwachungsmöglichkeit digitalen Zentralbankgelds gegenüber Bargeld betont.
We don’t know who’s using a $100 bill today and we don’t know who’s using a 1,000 peso bill today.The key difference with the CBDC is the central bank will have absolute control on the rules and regulations that will determine the use of that expression of central bank liability, and also we will have the technology to enforce that.“ (Quelle: Bitcoinist: „The BIS Wants “Absolute Control” Of Your Money Via Central Bank Digital Currencies“)
Das Vertrauen in das digitale Zentralbankgeld wird die Vorreiterrolle autokratischer Staaten wie China bei der Einführungen digitalen Geldes nicht stärken.
Oder auch Meldungen wie diese, dass in Brasilien laut Informationen des dort angesiedelten „Portal do Bitcoin“ im Quellcode des geplanten brasilianischen digitalen Zentralbankgelds Funktionen nachgewiesen wurden, die den Behörden etwa das Einfrieren von Konten, eine Veränderung des Kontostands und weitere Eingriffe ermöglichen würden
Eine radikale Transparenz, die insbesondere die Offenlegung des Quellcodes umfasst, könnte dem begründeten Misstrauen aktiv entgegenwirken.
Denn das Vertrauen der EU-Bevölkerung in die EZB ist laut aktueller Eurobarometer-Umfrage nicht sehr ausgeprägt. Nur knapp die Hälfte der EU-Bevölkerung vertraut der EZB,
in Österreich nur 42 Prozent, in Spanien und Frankreich 36 Prozent sowie in Griechenland überhaupt nur 27 Prozent.
EU-weites Vertrauen in die EZB
Das Fortbestehen von Bargeld in Kombination mit einer hohen, jedenfalls inflationsindexierten Bargeldobergrenze ist eine Versicherung dafür, dass Regierungen das digitale Zentralbankgeld nicht zu einem orwellschen Totalüberwachungsinstrument umbauen können.
Der kontinuierliche Druck zur weiteren Absenkung der Bargeldobergrenze, obwohl dies die hohe Inflation derzeit ohnehin von selbst bewirkt, ist daher aus einem weiteren Grund als problematisch einzustufen.
Das physische Bargeld wird sich aber nur halten, wenn es die Bürger im Alltag auch verwenden. Das Beispiel Skandinaviens zeigt, dass es auch eine freiwillige Hinwendung zu einer bargeldlosen Gesellschaft gibt.
Angesichts der nahezu vollständigen Verdrängung des Bargelds aus dem Alltag forderte die schwedische Zivilschutzbehörde MSB die schwedische Bevölkerung vor einigen Jahren auf, zu Hause jederzeit Bargeld vorrätig zu halten.
Im Krisenfalle wie einer Cyberattacke oder einem Blackout würde ohne individuelle Bargeldbestände das Wirtschaftsleben schließlich völlig kollabieren. Die Offline-Verfügbarkeit des digitalen Euro für Zahlungen soll dieses Risiko minimieren.
Die Sorge um den Ausschluss bestimmter Personenkreise vom digitalen Zahlungsverkehr aufgrund weltanschaulicher Differenzen ist im wertegeleiteten Gesinnungsstaat durch einschlägige Gesetzgebung ebenso gegeben wie bei wertegeleiteten Gesinnungsunternehmen.
So kommt es immer wieder vor, dass weltanschaulich unliebsamen Personen das Konto gekündigt wird. Bei grundlegenden Gütern, und dazu zählt auch Geld und der Zahlungsverkehr, ist beides potenziell existenzgefährdend und mit rechtsstaatlichen Prinzipien kaum zu vereinbaren. Somit ist sicherzustellen, dass der digitale Euro von allen Bürgern ohne Einschränkung genutzt werden kann.
Der digitale Euro – Eine Lösung für ein nicht bestehendes Problem?
„CBDC– A Solution in Search of a Problem?“, so hatte Christopher J. Waller, ein führender Zentralbanker der us-amerikanischen Notenbank Federal Reserve, einen seiner Vorträge betitelt.
Die volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteile von digitalem Zentralbankgeld dürften im Euroraum überschaubar oder mit Innovation von privaten Unternehmen ebenso zu erreichen sein. Folglich ist es die politische Dimension des digitalen Euro, die selbst die EZB hervorhebt: der Ausbau der strategischen Autonomie und die Stärkung des Binnenmarktes.
Die ökonomische Diskussion ist schon weit gediehen, die politische und gesellschaftliche Diskussion hat dagegen noch nicht einmal richtig begonnen. Ihr Ausgang ist angesichts der vielen offenen Fragen und Vorbehalte, sowie angesichts der möglichen Abwesenheit eines schwerwiegenden Problems, das nach einer Lösung verlangt, völlig offen.
Dass der digitale Euro bereits in vier Jahren zirkulieren wird, wie vom Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, vor kurzem prognostiziert, ist daher nicht sehr wahrscheinlich. Schließlich muss auch noch die gesamte IT-Infrastruktur errichtet werden.
Angesichts des Ziels, den digitalen Euro von Beginn an allen Bürgern des Eurowährungsgebiets zur Verfügung zu stellen, reden wir von einer Herkulesaufgabe.
Bild: EZB
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