Der Euro besteht seit mehr als 20 Jahren. Anlass, sich mit dessen Wertentwicklung zu befassen. Dr.Dr. Heinz-Dietmar Schimanko bietet allgemeine Erklärungen zur Qualität von Geld und präsentiert eine wissenschaftliche Studie zum Wertverlust des Euro.
Die Qualität von Geld
wird definiert als dessen Tauglichkeit, seine Hauptfunktionen zu erfüllen, und zwar als universales Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel und allgemeiner Wertmaßstab (allgemeine Recheneinheit) zu fungieren (Philipp Bagus, The Quality of Money, The Quarterly Journal of Austrian Economics 12, No. 4 (2009): 22-45 (22f)).
Je besser diese Funktionen erfüllt werden, desto höher ist die Wertschätzung der Akteure für Geld. Nach Philipp Bagus ist der Preis des Geldes seine Kaufkraft (Philipp Bagus, The Quality of Money (2009), 27). Wie jeder Preis werde auch der Preis des Geldes von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das Ausmaß der Nachfrage nach Geld wird maßgeblich beeinflußt von dessen Nützlichkeit, seine Funktionen zu erfüllen (Bagus (2009) 27f).
Die Quantität des Geldes betrifft dessen Nützlichkeit bezogen auf den Grenznutzen bei einer Steigerung der Menge an Geldeinheiten; die Qualität des Geldes bezieht sich auf dessen Nützlichkeit bezogen auf den Grenznutzen bei einer Änderung des Stellenwerts des Geldes auf der Werteskala der Akteure in Relation zu anderen Gütern (Bagus (2009) 28, 30).
Die Qualität des Geldes ist ein essentieller Faktor für dessen Kaufkraft (Bagus, aaO unter Bezug auf Eugen von Böhm-Bawerk). Änderungen in der Geldqualität können demnach auch bei konstanter Geldmenge die Kaufkraft des Geldes ändern (Bagus (2009) 29).
Wesentlich für die Geldqualität ist auch, wie groß die Zahl der Menschen ist, die es als universales Tauschmittel akzeptieren (Bagus (2009) 32).
Die Funktion als Tauschmittel und die Wertaufbewahrungsfunktion sind untrennbar miteinander verbunden (Bagus (2009) 33).
Die Wertaufbewahrungsfunktion ist nicht zu verstehen im Sinne eines Behältnisses, in dem eine werthaltige Sache ohne Wertverlust während eines kürzeren oder längeren Zeitraums gespeichert werden kann (Keith Weiner, Die Antikonzepte des Geldes: Anti-Konzept Wertaufbewahrung, bachheimer.com-Newsletter KW 38, 23.09.2023), sondern als Kaufkraft für die Zukunft (Bagus (2009) 33).
Anders als bei Sachgeld, das einen eigenen originären Tauschwert hat und daher auch nichtmonetär verwendet werden kann, wie Geld aus Gold, Silber, Platin, und anders als bei einer Kombination von Sachgeld (z.B. Maria Theresien Taler) und Banknoten, die gegen Sachgeld eingelöst werden können (also eine Forderung auf Sachgeld verbriefen),
hängt die Wertaufbewahrungsfunktion von Zeichengeld (wie reinem Papiergeld ohne Einlösungsfunktion) allein von den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des betreffenden Staats- und Geldsystems ab.
Bei einer Währung eines Staates, die reines Zeichengeld ist, sind das Staatssystem insgesamt, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit und Stabilität, die ideologische Ausrichtung, die Regierungspolitik, insbesondere die Steuerpolitik, sowie die Wirtschaftsleistung des Staates, dessen Banksystem und dessen Geldpolitik qualitätsbestimmende Merkmale für diese Währung (Philipp Bagus, The Quality of Money, 39f).
In die Analyse der Nachfrage nach Geld sind also auch einzubeziehen die Qualität des Geldes und deren subjektive Einschätzung durch die Marktteilnehmer (Vytautas Zukauskas, Measuring the Quality of Money, The Quarterly Journal of Austrian Economics, Volume 24 (2021) 110-146 (138f)).
Die Prämisse lautet, daß die Nachfrage nach Geld auch dadurch beeinflußt wird, wie hoch dessen Qualität eingeschätzt wird, und bei größerer Wertschätzung für Geld die Nachfrage danach und dessen Kaufkraft steigen (Vytautas Zukauskas, aaO 123).
Bei geringerer Wertschätzung für Geld steigt stattdessen die Nachfrage nach anderen Finanzanlagen (Zukauskas, 139). Menschen reduzieren dann ihre Geldreserven und die Preise steigen. Änderungen in der Wahrnehmung der Geldqualität können abrupt erfolgen, wogegen Änderungen in der Geldquantität üblicherweise graduell vor sich gehen (Vukauskas, 123). Die Kaufkraft von Geld kann sich verändern durch einen Wechsel in der Nachfrage nach Geld,
die Wertschätzung für Geld kann sich aber ändern auch bei konstanter Geldmenge (Vukauskas, 114, unter Bezugnahme auf Philipp Bagus und David Howden, Central Bank Balance Sheet Analysis, Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 2, No. 68 [2016], 109-125 (111)).
Qualität von Geld und deren Faktoren
Die Qualität des Geldes wird dadurch definiert, wie gut Geld seine Funktion als universales Tauschmittel und die daraus resultierenden Konsekutivfunktionen des allgemeinen Wertmaßstabs (der allgemeinen Recheneinheit) und des Wertaufbewahrungsmittels erfüllt (vgl. Bagus, The Quality of Money, 25 unter Bezugnahme auf Carl Menger und Ludwig von Mises zur Wertaufbewahrungsfunktion als Konsekutivfunktion).
Die Funktion des allgemeinen Wertmaßstabs wird bei beinahe allen Geldsystemen erfüllt und ist nur in Extremsituationen beeinträchtigt (Zukauskas, 121, unter Bezugnahme auf Bagus, The Quality of Monetary Regimes, in: Per Bylund and David Howden (Hrsg.) The Next Generation of Austrian Economics: Essays in Honor of Joseph T. Salerno (2015), 39-45).
Vytautas Zukauskas faßt zusammen, dass sich die Qualität von Geld als Wertaufbewahrungsmittel und Tauschmittel im Wesentlichen auf fünf Arten ändern kann (Zukauskas 122f unter Bezugnahme auf Bagus und Howden 2016, 113):
1. Geldmenge – die Geldmenge, die heute und in der Zukunft vorhanden ist;
2. Einlösungsverhältnis (im Fall von Warengeldsystemen) – die Menge und der Wert von Vermögenswerten oder anderen Gütern, die die Währung stützen (gegen die das Geld eingetauscht werden kann);
3. Bedingungen und Stabilität des Bankensystems – ein finanziell angeschlagenes, illiquides Bankensystem erhöht das Risiko von Rettungsaktionen, die zu einer höheren Geldmenge führen können (bei Finanzierung durch Schuldenmonetarisierung);
4. Institutioneller Rahmen der Währungsbehörde, was bedeuten kann:
a. Die Unabhängigkeit der Zentralbank (wenn die Zentralbank den Anweisungen der Regierung folgt, erhöht sich das Risiko einer Schuldenmonetisierung zur Finanzierung von Ausgaben); und
b. Rechenschaftspflicht und Transparenz – die Qualität des Geldes wird sich verbessern, wenn die Zentralbanker für ihre Politik verantwortlich sind und Transparenz herrscht;
c. Die Verfassung der Zentralbank, d. h. ihre Philosophie oder Ziele (z. B. Preisstabilität gegenüber Nebenzielen wie Vollbeschäftigung, steigende Vermögenspreise und Erhaltung einer Währung), ihr Preisinflationsziel, ob sie über eine regelbasierte Geldpolitik verfügt oder einfach auf Vermögenspreise abzielt;
d. Mitarbeiter und Entscheidungsträger der Zentralbank, die die Geldpolitik vor allem durch Konsensbildung beeinflussen;
5. Qualität der Bilanz der Zentralbank – die Qualität der Reserven und Vermögenswerte, die das Geld stützen, bestimmt die Fähigkeit der Zentralbank, den Wert der Währung in der Zukunft aufrechtzuerhalten und zu verteidigen.
Messung der Geldqualität
Zukauskas hat einen aus mehreren Subindikatoren zusammengesetzten Gesamtindikator erstellt, um die Qualität von Geld zu messen. Der Geldqualitätindikator besteht aus den folgenden Subindikatoren:
- Zentralbankbilanz mit den Faktoren Liquiditätsrate I, Liquiditätsrate II, Liquiditätsrate III, Rate der Fremdwährungsreserven, Vermögensrate;
- Geldmengen mit den Faktoren Veränderung der Geldbasis, Veränderung der Bilanzsumme der Zentralbank, Veränderung der Geldmenge M 1, Veränderung der Geldmenge M 3;
- Zinsrate mit den Faktoren Zins für Einlage bei der Zentralbank, Hauptrefinanzierungszinssatz, Darlehenszins, Differenz Zinsziel und Taylor´s rule;
- Stabilität des Finanzsystems mit den Faktoren Composite Inidicator of Systemic Stress – CISS, Differenz Euribor-OIS (Overnight Index Swap), Liquiditätsrate Banksystem;
- zukunftsgerichtete Hinweise (insbesondere Strategien und Ankündigungen und sonstige Verlautbarungen, die Zukunftserwartungen bewirken können;(dazu im Detail Zukauskas, 128ff).
Die Indikatoren gewichtet der Autor wie folgt:
Entwicklung der Qualität des Euro
Zukauskas mißt die Entwicklung der Qualität des Euro, dessen Existenz als Währung (nach der von 1979 bis 1998 bestehenden Recheneinheit ECU) im Jänner 1999 zunächst als Buchgeld und ab 2002 auch als Bargeld begann, im Zeitraum von Dezember 1999 bis August 2019.
In diesem Zeitraum ist der Wert des Euro von 73 Punkten im Dezember 1999 um 55 Punkte auf 18 Punkte im August 2019 gefallen, was einen durchschnittlichen Wertverlust von 0,22 Punkten pro Monat und 2,7 Punkten pro Jahr bedeutet (Zukauskas, 134).
Es kann nach Zukauskas zwischen vier Perioden unterschieden werden (Zukauskas 135ff):
Die erste Periode von 1999 bis Mitte 2005 markiert den ersten Rückgang in der Qualität des Geldes in der Eurozone. Die zwei wichtigsten Treiber des Rückgangs waren die Bilanz und der Zinssatz der EZB.
Die Qualität der Bilanz hat im Laufe des Jahres deutlich abgenommen, was auf einen Liquiditätsrückgang zurückzuführen ist. Die Geldbasis wuchs schneller als der Wert von Gold oder Goldforderungen, und der Wert der Reserven ging im Allgemeinen zurück. Darüber hinaus gab es einen Rückgang des Wertes der Währungsreserven und einen Rückgang der Eigenkapitalquote der Bank.
Im Allgemeinen verringerte sich die Liquidität der EZB und sie verfügte über weniger Währungsreserven und Eigenkapital im Verhältnis zum Gesamtvermögen. In der ersten Periode senkte die EZB auch deutlich den Zinssatz. Der MRO-Satz [Anm.: Hauptrefinanzierungssatz (main refinancing operations rate)] wurde gesenkt von 4,75 im Jahr 2000 auf 2 Prozent im Jahr 2003. Der Zinssatz sank unter den von der Taylor-Regel nach September 2001 vorgeschlagenen Wert.“
[Anm.: Zur Taylor´s Rule siehe Michael Woodford, The Taylor Rule and Optimal Monetary Policy].
„Die zweite Periode dauerte etwa von Mitte 2005 bis Mitte 2008. Die Qualität des Geldes hat in diesem Zeitraum nicht mehr abgenommen und ist relativ stabil geblieben. Die Qualität der Bilanz war weiterhin rückläufig, was aber durch die erhöhten Zinssätze ausgeglichen wurde. Die EZB hatte den Übergang aus der stimulierenden Geldpolitik vorgenommen und die MRO-Quote wurde im Jahr 2008 schrittweise auf 4,25 Prozent erhöht.“
„Die dritte Periode, von Mitte 2008 bis Anfang 2013, war eine mit finanziellen und wirtschaftlichen Turbulenzen. In diesem Zeitraum gab es zwei sehr deutliche Rückgänge in der Qualität des Geldes. Der erste dauerte von der zweiten Hälfte von 2008 bis zum ersten Halbjahr 2009.
Es gab viele Faktoren, die zu diesem Rückgang beigetragen haben. Erstens nahm die Stabilität des Finanzsystems rapide ab. Finanzielle Unruhen griffen auf die Realwirtschaft über, was das Wirtschaftswachstum stoppte und die EZB veranlaßte, zu versuchen, den Finanzsektor zu retten und zu stützen, die Wirtschaft anzukurbeln durch eine rasche Senkung der Zinssätze auf einen neuen Rekordtiefstwert von 1 Prozent. Das steigerte schnell die Geldmenge, und dies erhöhte die Erwartungen auf dem Markt, daß die die Zentralbank ihre inflationäre Geldpolitik fortsetzen würde.
Nach dem ersten Halbjahr 2009 entwickelte sich die Wirtschafts- und Finanzlage in der Eurozone etwas stabilisiert, und der Rückgang der Qualität wurde teilweise durch die Erhöhung der Finanzstabilität ausgeglichen und reduzierte das Wachstum der Geldmenge. Allerdings verschlechterte sich die Situation in der zweiten Jahreshälfte 2011 erneut sehr schnell, als die Finanzmärkte aufgrund der Staatsschuldenkrise in einigen Euro-Ländern, vor allem Griechenland, erneut in Panik gerieten.
Die Stabilität des Finanzsystems nahm erneut rapide ab und die Anleiherenditen schwacher Euro-Mitgliedstaaten stiegen sprunghaft an.
Das war der Auslöser für die berühmte Rede von EZB-Präsident Mario Draghi worin er sagte: ‘Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten.’
Die EZB senkte den Leitzins erneut, erhöhte die Geldmenge und begann zu dirigieren eine quantitative Lockerung und zukunftsgerichtete Anleitung mit Ankündigungen zur künftigen Geldpolitik. Dies verursachte die Verringerung der Qualität der Bilanz, weil die neue Geldpolitik die Liquidität, die Reserven und das Eigenkapital der EZB reduzierte.
All dies trug zum signifikanten Rückgang der Geldqualität in diesem Zeitraum bei. Nach diesen Maßnahmen erhöhte sich die Stabilität des Finanzsystems erneut und der Rückgang der Geldqualität wurde etwas umgekehrt.“
“Die letzte Periode begann um 2013 und dauerte mindestens bis Ende 2019. Während dieses Zeitraums führte die EZB die Durchführung der Politik der quantitativen Lockerung und der Steuerung der Zinserwartung fort. Die Zinssätze wurden weiter gesenkt, bis sie 0 Prozent erreichten im Jahr 2016.
Das Wachstum der Geldmenge nahm erneut zu und war besonders hoch in den Jahren 2013 und 2014.
Die quantitative Lockerung führte zu einer enormen Ausweitung der Bilanz der Zentralbank und der überschüssigen Reserven der Geschäftsbanken bei der EZB.
Die Kommunikation der EZB konzentrierte sich auf zukunftsgerichtete Anleitung mit Ankündigungen zur künftigen Geldpolitik, um den Marktteilnehmern akkommodierende Maßnahmen zuzusichern. Alle diese Maßnahmen überzeugten Finanzmärkte, daß die Probleme hinter ihnen liegen, und verschiedene Maßnahmen zeigten die allmähliche Stabilisierung des Finanzsystems.
Während dieser Zeit nahm die Qualität des Geldes ab, und Finanzsystemstabilität ist die einzige Dimension des Index, die gestiegen ist.
Dies deutet darauf hin, dass die von der EZB ergriffenen Maßnahmen erfolgreich waren bei der Stabilisierung des Finanzsystems, aber diese Politik verursachte eine deutliche Verschlechterung der Qualität des Geldes in der Eurozone.“
Diese Wertentwicklung des Euro spricht für sich. Eine nachhaltige Qualitätssteigerung ließe sich langfristig wohl nur mit einem Wechsel zu einem Sachgeld in Kombination mit gegen Sachgeld einlösbaren Banknoten oder zumindest mit einem Wechsel zu einer Edelmetalldeckung des Geldes erzielen.
Literatur:
Vytautas Zukauskas, Measuring the Quality of Money, The Quarterly Journal of Austrian Economics, Volume 24 (2021) 110-146, zur Verfügung gestellt vom Ludwig von Mises Institute, Auburn, Alabama, unter https://qjae.mises.org/api/v1/articles/22180-measuring-the-quality-of-money.pdf oder https://mises.org/library/measuring-quality-money-0
Die gezeigten Grafiken stammen aus der Studie von Zukauskas.
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