Professionelle Gas-Händler diskutieren seit Wochen drüber und vorgestern fühlte sich gar die “ehrwürdige Financial Times” bemüßigt, in’s Gelaber einzustimmen und zu informieren, dass nun die Ukraine mit leeren Speichern zu Hilfe eile, weil eine Situation entstanden sei, wie sie seit Jahrzehnten gang und gäbe ist: dass nämlich die europäischen Gasspeicher am Ende der Sommersaison voll sind. Das freilich scheint zuletzt eher professioneller Datenmassage geschuldet zu sein Alle Kalkulationen deuten nämlich darauf hin, dass in der Sommersaison 2023 Europa massiv weniger Erdgas zugeflossen ist als im Jahr davor. Politicos und Jouraille üben sich dessenungeachtet weiter in der Kunst der Öffentlichkeits-Verarsche. NB: Drastische Rückgänge trotz konstanter LNG-Einfuhren?
Anscheinend deswegen,
- weil sie den Eindruck des Überflusses prolongieren wollen und
- weil sie sich öffentlichkeitswirksam drauf festgelegt haben, dass sie wenigstens mit einem Füllstand von 90 Prozent in die Wintersaison gehen wollten.
- Das ist zwar völlig bedeutungslos, aber die selbst gesteckte Zielvorgabe wird heuer einmal mehr erreicht.
- Derweil hält die Journaille,die eigentlich dafür bezahlt wird, den Regierenden auf die Finger zu schauen, Maulaffen feil oder plappert amtlichen Unsinn nach.
Aufmerksame Leser durften sich schon vor 14 Tagen drüber wundern, wie es kommt,
dass die Befüllung der deutschen Erdgas-Speicher am Ende der vergangenen Wintersaison so viel höher war als vor genau einem Jahr (“saisonal bereinigt”),
und dass sich der aktuelle Füllstand fast nicht mehr von jenem vor Jahresfrist unterscheidet, siehe z.B. hier (Tabelle knapp vor Text-Ende).
Inzwischen sind auch die Daten inklusive 31. Oktober 2023 da
- und siehe da: In der vergangenen Sommersaison ist den europäischen Kavernen so wenig Gas zugeflossen wie 2020,
im Jahr der Pseudo-Seuche (wenn nicht sogar weniger).
Dieser Blogger hat sich die Mühe gemacht, zwei relativ unverdächtige Datenbestände auf Gas-Zuflüsse von 1.4. bis 31.10.2023 zu untersuchen, nämlich
- das Aggregated Gas Storage Inventory (GIE-AGSI), das die “buchhalterische Seite” der Chose abbildet und dessen Daten bis 2011 zurück gehen sowie
- die grenzüberschreitenden Gaszuflüsse nach Deutschland, die die Bundesnetzagentur beginnend mit 1.1. 2022 veröffentlicht (“Bruttoimporte”).
Die Ergebnisse sind ähnlich schlimm – sie zeigen einen Rückgang von mengenmäßig etwa einem Drittel binnen Jahresfrist, wobei die deutschen Werte um etliche Prozentpunkte schlechter ausfallen.
Die Übung wäre eigentlich Aufgabe hauptberuflicher Journos
- aber die machen derlei aus irgeneinem Grund nicht (mehr).
Vorbehaltlich etwaiger Übertragungs- oder Rechenfehler durch diesen Blogger sind zwischen 1. April und 31. Oktober 2023 europäischen AGSI-Speichern 585 Terawattstunden Erdgas zugeflossen, was sich mit 856,5 TWh in der selben Periode 2022 vergleicht (minus 31,7%).
In Deutschland beliefen sich die “Injections” 2023 bloß auf 106,2 TWh gegenüber 208,4 TWh in den sieben Vergleichsmonaten des Jahres 2022 (minus 49%).
Laut BNetzA beliefen sich die deutschen Bruttoimporte in der Sommersaison 2023 auf 524,5 TWh, gegenüber 817,5 TWh vor einem Jahr (minus 35,8%). Diese Zahlen stellen – anders als bei AGSI – reale, grenzüberschreitende Gaszuflüsse dar.
Bemerkenswert ist hier, dass die Werte 2022 erstaunlich hoch sind, was zu einem bedeutenden “Basiseffekt” bei den Vergleichsmonaten 2023 führt;
bemerkenswert deswegen, weil 2022 ja das (Halb-)Jahr der erstmalig ausbleibenden Gasexporte aus Russland ist.
Nach den Zahlen der EI/BP Statistical Reviews 2022 und 2023 sind die russischen Minderlieferungen von Pipelinegas ( – etwa 80 Mrd m3) in der zweiten Hälfte 2022 aber weitgehend durch erhöhte LNG-Importe kompensiert worden, speziell aus den USA.
Zusammen mit dem milden Winter 2022/23 und der laufenden Deindustrialisierung, die beide eine geringere Nachfrage nach Gas zur Folge haben, war das offenbar ausreichend, um am Ende der Wintersaison ’22/23´hohe “Überschüsse” zu produzieren.
Offizielle Zahlen für die ersten drei Monate 2023 sind noch nicht da - die US-amerikanischen Mehrlieferungen sind 01- 03/23 aber wohl weiter gegangen
- danach freilich muss etwas “zusammengebrochen” sein, wie die AGSI- und BNetzA-Zahlen zeigen.
Der Einbruch in der Sommersaison 2023 ist derartig krass, dass es sich nicht mehr nur um die zeitverzögerte Lücke durch ausbleibendes Russengas handeln kann.
Politicos und Journos tun dessenungeachtet alles, Gaskunden und Öffentlichkeit über den wahren Stand der Dinge hnwegzutäuschen.
Sobald die PsyOp auffliegt, wird man sich ihrer wohl erinnern.
Nachbemerkung, 5. November, 21.40 Uhr: Den Verfasser des obigen Eintrags hat nach Beendigung seinesTexts die URL des European LNG Trackers erreicht (Danke G.), der in Abschnitt 3 die an sich nicht unplausible Angabe macht, dass Europa inklusive UK und Türkei in den ersten neun Monaten 2023 rund 125 Mrd. m3 LNG (+4% ggü. VJ) importiert hat.
Dieser Wert ist mit einem Gran Salz zu nehmen, weil die jeweiligen Betrachtungskategorien nicht genau übereinstimmen – man kann aber grob davon sprechen, dass die hiesigen LNG-Einfuhren in der heurigen Sommersaison in etwa die Höhe des vergangenen Jahres erreicht oder diese sogar leicht übertroffen haben.
Dies wiederum ist mit dem im Text konstatierten (und noch einmal nachgerechneten) steilen Rückgang der “EU-Injections” bzw.der “(Brutto)Importe nach Deutschland” 2023 nicht vereinbar und wirft zusätzliche Fragen auf.
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