Erdgas: Die Zielübertreffungs-Festspiele haben begonnen

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Screenshot tagesschau.de

Deutschland ist das erste EU-Land, dessen Erdgas-Speicher jetzt zu 100 Prozent voll sind (wenn man von Storage-Zwergen oder diesbezüglich eher kleinwüchsigen Staaten wie Portugal oder Spanien absieht)! Das entspricht am Ende der Sommersaison zwar der Normalität der vergangenen Jahrzehnte und sagt Nüsse über die Versorgung im bevorstehenden Winter aus – aber hey! Erstens haben die  Politicos den Füllstand gesetzlich als Erfolgskriterium festgelegt, zweitens muss was dran sein, wenn die Journaille das so groß aufzieht und drittens sind “wir Deutsche” erneut erster Europameister, gewissermaßen. Die zweiten bis 20. Europameister folgen in den nächsten Tagen.

Irgendwer hat angeregt, dass sich die Propagandageschichten in den MSM am besten jetzt um das Wording “Der Winter kann kommen” drehen

- was die hoch verehrte Tagesschau ja schon umgesetzt hat.

Ist ja wurst, wenn derlei ohne jede Aussagekraft für den anstehenden Winter ist und der Chart ein Bild wie in der guten alten Zeit zeigt, als die Sowjets bzw. Russen noch Erdgas schickten.

Wir gratulieren unseren Politicos zur bestandenen Füllstand-Prüfung

und müssen neiderfüllt zugeben, dass wir nicht mit einer Variante der Leider nein-Klimazielerfüllung gerechnet haben.

Echt jetzt – dieser Blogger jedenfalls hatte das nicht am Radar.

Er verfolgte zunächst alle möglichen falschen Spuren, und begann erst verspätet sich die Sache näher anzuschauen,

weil diese, zugegeben, ja ein bisschen spröde ist.

Ein erster Erkenntnis-Zwischenschritt gelang mir mit einer Tabelle zu D über die sich ständig verkleinernde Differenz von Speicherwerten 2022 und 2023,

obwohl mir lange nicht klar war, dass hier die Saisonalität eine tragende Rolle spielt.

Hier ist gegen Schluss des Texts die vorletzte Iteration besagter Tabelle zu finden.

Die letzte Wiederkehr mit dem 1. November als Schlussdatum spar’ ich mir, weil das langsam fad wird.

Es soll reichen, dass die Storage-Differenz Anfang November nur mehr ca. 10 TWh betrug, was seit dem Beginn der Sommersaison einem Rückgang von ca. 90 Prozent entspricht.

Wesentlich aussagekäftiger als Gratulationscouren für die Regierenden wäre die Beantwortung der Frage,

wie viel Erdgas heuer in den sieben Sommermonaten seit 1. April ins jeweiilge Netz geflossen ist und wie sich das mit den Vorjahren vergleicht.

Die Tabelle weiter unten beschäftigt sich damit und die Werte für die AGSI-EU und D sind ja schon bekannt, siehe hier.

Neu sind Italien, Österreich und Ungarn.

Vergleichsperiode ist die Sommersaison 2022,

die ja auch eine Ausnahmeerscheinung war – wegen des Ausbleibens des russischen Gases und der massiven Steigerung der LNG-Importe, vor allem aus den USA.

Aber Ausnahmeerscheinungen waren 2020 und das folgende erste “Erholungsjahr” auch, und so gesehen müsste man bis 2019 zurück gehen, das man als letztes “Normaljahr” bezeichnen könnte. Das wiederum

  • liegt vier Jahre zurück,
  • zu einer Zeit als die LNG facilities (v.a. außerhalb von “Europa”) noch nicht besonders gut ausgebaut waren.

Da ist 2022 noch das geringste Übel. Ein weiterer Nachteil folgender Tabelle ist, dass die erfassten Injections nur Kontrakte mit unbekannten Lieferanten und ungewissem Lieferdatum wider spiegeln,

aber nicht jedes Land/jede Entität hat disziplinierte Ferngasnetzbetreiber und eine Netzagentur mit starker Statistikabteilung.  :mrgreen:

Die zweite Spalte der Tabelle sind die jeweiligen “Injections” von 1. April 2022 bis 31.10 2022, umgerechnet in TWh. Die dritte Spalte ist der gleiche Zeitraum 2023, alles per GIE-AGSI (“Historical Data”).

Die vierte Spalte spar’ ich mir zunächst. Sie wäre das Ergebnis der Subtraktion der Felder von Spalte 2 und Spalte 3.

Die tatsächlich vorhandene vierte Spalte ist der prozentuelle Rückgang der “Injections” vom 1.4.2023 bis 31.10.2023 gegenüber der Vergleichsperiode des Jahres davor.

Alles mit gängigen Tabellenprogrammen und (virtuellen) Taschenrechnern kalkuliert.

Hoffe, ich habe keine bzw. nicht zu viele Fehler gemacht.

Gas-Zuflüsse in den Sommern 2022 und 2023
in TWh
 2022  2023  δ
AGSI-EU  856,5  585  - 31,7%
 D  208,4  106,2  - 49,0%
 I  125,3  83,4  - 33,4%
 A  78,3  35,9  - 54,2%
 H  47,6  40,3  - 15,3%

 Bild: Screenshot tagesschau.de

Unabhängiger Journalist

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