Ein Einhorn übt scharfe Kritik an der eigenen Spezies

Pommerantsev_coverPeter Pomerantsev, ein in London aufgewachsener Spross sowjetischer Dissidenten, analysiert die digitalen Machttechniken heutiger Rechts-Popos und kommt zum Schluss, dass diese Politicos mit der Wahrheit nichts am Hut haben und dass sie diese politisch instrumentalisieren. Das Problem ist “nur”, dass P. Lebenslügen des hiesigen Systems teilt, was ihn selbst zu jenem Informationskrieger macht, der – wie P. fürchtet – demokratische und rechtsstaatliche Systeme bedroht.

Zugegebenermaßen geschieht P.s Zugehörigkeits-Erklärung meist über “zustimmendes Schweigen” bzw. über das Unterstellen scheinbarer Selbstverständlichkeiten etwa zu “politischer Ordnung”, Energie, Geldsystem, Keynesianismus – you name it.

Das ist, könnte man formulieren, halt der Vorteil, wenn man liebevoll von einem politisch-medialen Komplex umfangen wird;

einem Komplex, der früher, zu Zeiten des Kalten Kriegs, noch für echte Information gestanden ist und der bis heute von diesem Image lebt.

Man könnte das auch “Arbeitsteilung” nennen, etwa nach dem Motto: “Sollen ruhig andere in Lebenslügen machen – ich beschränke mich auf jenes ‘Revier’, in dem ich Experte bin und wo meine selektive Thematisierung niemand bemerken wird.

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Pomerantsevs Text hat zweifellos seine Meriten.

Dessen zentrale Botschaften sind nämlich außerhalb professionell damit befasster Klientel weltgehend unbekannt – zum Beispiel dass

  • der Informationsmangel, unter dem die Dissidenten gelitten haben, inzwischen durch eine undurchdringliche Überfülle ersetzt wurde – dass sowohl Mangel als auch Opulenz aber den “autoritären Strukturen” zugute kommen (gekommen sind) – “censorship through noise”, wie eine Rezension die heutige Situation umreißt;
  • dass mittlerweile ein regelrechter Informationskrieg um Köpfe und Herzen geführt wird, in dem genuine Information, ja selbst offen ausgewiesene Ideologie nur mehr eine geringe Rolle spielen sowie dass
  • die thematisierten Kontrolltechniken eng mit dem heutigen “Handwerkszeug demokratischer Politik” verbunden sind – Umfragen, PR und Social Media-Kampagnen.

Es ist interessant, dem Autor um den Erdball zu folgen, auf die Duterte-Philippinen, nach Estland und Serbien, oder nach Mexiko und natürlich in die Ost-Ukraine und nach Russland, wo der Autor zwischen 2001 und 2010 gelebt hat.

Wenn er erzählt, dass & wie regierende Rechts-Popos mob politics organisieren (auch im Zusammenwirken mit nur mehr formal rechtsstaatlichen Staatsgewalten);

wenn er über Cyberattacken gegen hoffnungslos unterlegene Kleinstaaten berichtet; oder das Verhältnis von Gangstertum und Cyber-Aktivismus thematisiert

- darf man ihm weitgehend glauben. Auch dass Trolle, Bot-Hirten und andere “Fabelwesen” wirklich existieren.

P. könnte sogar damit recht haben, dass russische Dienste diesbezüglich besondere Fähigkeiten entwickelt haben.

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Aber – es ist ziemlich problematisch die zweite Hälfte der Geschichte auszublenden – dass nämlich

Cyberkrieg und Mob-Politik auch (und gerade) bei den angeblich Guten stattfinden

- in “liberalen Demokratien”, unter politisch Linken jeder Schattierung oder in Verbänden und Unternehmen.

Leute wie Pomerantsev reden nur nicht drüber.

Der Humus dieser Heuchelei ist oft die selbst gerechte Gewissheit “auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen”.

Dieser Blogger könnte ein Lied davon singen.

  • Informationskrieg und anonyme Desinformation werden zunehmend beliebter, weil es sich auf diese Weise risikoloser lügen lässt oder weil so ein manchmal beängstigend langwieriger “Freigabe-Prozess” umgangen werden kann. Man hat für sein Geld zwar “kommuniziert”, kann dafür aber nicht verantwortlich gemacht werden – weder hausintern noch -extern.
  • Das verdrängt sogar zunehmend “alte Vertrauensverhältnisse” zwischen Journalisten und Öffentlichkeitsarbeitern.
  • Auf solchem Übertragungsweg dürfte auch der Unsinn verbreitet werden, dass ein paar Cyber-Trolle in St. Petersburg 2016 die Wahl von 130 Millionen US-Wählern entscheidend beeinflusst hätten. DCLeaks könnten ein bisserl mehr Einfluss gehabt haben (sollte es sich tatsächlich um einen Hacker-Angriff der Russen gehandelt haben – wovon dieser Blogger nicht überzeugt ist. Von fake news im engeren Sinn könnte man aber auch in diesem Fall nicht sprechen.)
  • Vorsicht scheint übrigens bei der weit verbreiteten, angeblich wissenschaftlich abgesicherten  Behauptung geboten, der heutige US-Präsident zeichne sich durch eine besonders starke Lügenhaftigkeit oder einen speziell leichtfertigen Umgang mit der Wahrheit aus.

Pomerantsev führt höchstselbst “Info-Krieg” – weniger durch “evidence based reasoning”, sondern eher über Ideologie,Willkür und Einäugigkeit.

Was sich beispielsweise an der krassen Ungleichbehandlung eines rechtsaktivistischen Popovic-Fans aus Mitteleuropa und eines britischen Ex-Jihadis mit Wurzeln in Bangladesch zeigt.

Während für die Identitätssuche des Identitären knapp und knackig Vertreibungen im jugoslawischen Bürgerkrieg heraufbeschworen werden, ist für Rashad Ali ein zehn Seiten langes, einfühsames Unterkapitel reserviert, in dem geschildert wird. wie schwierig es ist ein islamistischer Moslem in Yorkshire zu sein.

Dieser Abschnitt trägt die Überschrift “Othering”, was ein schicker Begriff für die Klassifizierung anderer als fremdartig ist. 

Genau das wird in Pomerantsevs Text aber beim Identitären Martin Sellner vorgenommen;

einem 30-jährigen Österreicher, den politisch agierende Staatsanwälte und deren journalistische Handlanger mit rechtstaatlichen und medialen Mitteln laufend belästigen, wie Pomerantsev selbst das unter anderen Umständen formulieren würde.

Peter Pomerantsev, This is not Propaganda. Adventures in the War against Reality.2019

Unabhängiger Journalist

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