Eine Studie über die Begrenztheit der deutschen “Energiewende”

Der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat ausgetüftelt, wie viel Speicher man benötigte, um wenigstens 50-60% der deutschen Stromproduktion für das Netz “auszubalancieren”, käme diese aus “Zappelstrom” durch Wind und Sonne. Ergebnis: In “Nord-Süd-Mitteleuropa” vom Polarkreis zum Brenner müssten alle topographischen Möglichkeiten ausgeschöpft und ca. 1.500 Pumpspeicher-Kraftwerke neu gebaut werden – vor allem in Norwegen . NB zur Verwandlung von Kultur- in Industrielandschaften.

Selbst dann wäre freilich noch nicht allzuviel gewonnen, weil

  • Strom insgesamt nur 23 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland ausmacht und
  • durch die geplante Elektrifizierung des Personentransports sowie durch den absehbar vermehrten Einsatz von Wärmepumpen zusätzlicher Strombedarf entstehen wird; und weil
  • damit die verringerte Produktion (das verringerte Angebot) und der zusätzliche Bedarf mit dem hier gewohnten “Lifestyle einer modernen Welt” (Raumwärme, elektrisches Licht, Warmwasser) womöglich nicht mehr vereinbar sind. Um das zu garantieren, müsste die Effizienz bei der Verwendung von Strom in einem schwer vorstellbaren Maß steigen bzw. die Nachfrage aus der heute damit betriebenen Infrastruktur müsste dramatisch sinken (sagt dieser Blogger).

Doch zurück zum Sinn-Vortrag, der auf einem Mitte 2017 veröffentlichten, auf des Professors Webseite kostenlos zugänglichen, wissenschaftlichen paper beruht.

Anhand der Daten von 2014 – jüngere gibt es noch nicht (vollständig) – zeigt Sinn, wie volatil schon die derzeitige Stromproduktion über Windräder und PV-Paneele ist und macht dabei deutlich, dass die oft als Maßzahl verwendete installierte Kapazität irrelevant ist.

Wenn – entsprechend teuer -  noch so viel zusätzliche Kapazität installiert würde, dass im Netz nur grüner Zappelstrom verwendet werden könnte, müssten 61 Prozent von diesem “weggeworfen” bzw. dürften gar nicht produziert werden (“Tauchsieder in die Elbe”).

Die Entwicklung des Zappelstroms in Deutschland habe bisher den Ausbau von Doppelstrukturen in der E-Wirtschaft zur Voraussetzung gehabt (was bei “fossilen” KWs künftig ja nicht mehr gewünscht wird).

Die ‘Pufferung’ geschieht (derzeit) über die Kohlekraftwerke in Deutschland. Die Kohlekraftwerke sind das Komplement der grünen Anlagen. Ohne sie kann man den grünen Strom nicht einspeisen.” (0:39:59)

Das sei zwar alles andere als ökonomisch, weil eine “Strategie der doppelten Fixkosten” – es lasse sich aber nicht vermeiden (wenn man ohne relevante Speichermöglichkeiten grünen Strom haben wolle).

Durch eine (angenommene) Verdoppelung des Zappelstroms ließen sich relativ einfach jene paar Prozentpünktchen, die heute noch in den deutschen KKWs produziert werden, ersetzen –

danach aber falle die Effizienz mit zunehmendem Marktanteil Zappelstrom dramatisch ab (0:54:00).

Gedankenspiele um “mitteleuropäischen” Stromverbund

Der Vortragende erörtert sodann, was bei einem (ideal gedachten) Stromverbund zwischen Deutschland und Norwegen mit dessen konventionellen Wasserkraftwerken passieren würde.

In diesem Fall könnte ein Teil des deutschen Überschuss-Stroms nach Norwegen geschickt werden und in einem ersten Schritt die norwegische Stromproduktion für den Inlandsverbrauch ersetzen (wenn die Norweger ihre Turbinen abschalten und das Wasser, das sie bis dahin angetrieben hat, ungenutzt zu Tal fließen lassen) – 1:00:35.

 Das ist freilich nicht allzuviel.

Um den darüber hinausgehenden Überschuss-Strom aus den Nordsee-Windmühlen und Solar-Paneelen wirklich zu speichern (und nicht nur zu “puffern”) müssten in Norwegen 6,6 Terawattstunden Pumpspeicherkapazität geschaffen werden (wobei laut einer EU-Studie/ESTORAGE überhaupt nur 1,4 TWh möglich sind, rein geologisch-theoretisch) – 1:02:00.

Weil es in diesem Land aber noch keine solchen Kraftwerke gibt, müssten diese erst gebaut werden (ungefähr 1.300 für 1,4 TWh).

Das heißt: Selbst wenn wir alle Speicherkraftwerke bauen in Norwegen, die man bauen könnte, reicht es nicht (…) Es geht also überhaupt nur so, rein gedanklich, wenn man hier in Deutschland die Strategie der Doppelstrukturen behält. Wir brauchen also die Kohlekraftwerke weiter, um so weit wie möglich die Spitzen abzupuffern und nur die überschießenden Spitzen schicken wir nach Norwegen.” (1:02:10)

Andere Optionen sieht HWS derzeit nicht,

Das passt hinten und vorne nicht zusammen, außer es kommt die große Erfindung, die uns die ganzen Probleme bei der chemischen Speicherung überwinden hilft.” (1:11:54)

Li-Io-Batterien eigneten sich jedenfalls nicht für großindustrielle Anwendungen und die Verwandlung überschüssigen Stroms in Wasserstoff oder Methan habe enorme Konversionsverluste bzw. eine erbärmliche Effizienz.

Die letzte Modellrechnung, die Sinn anstellt, ist ähnlich, fußt aber auf wieder etwas anderen Annahmen.

Erstens werden die Kohlekraftwerke zur Pufferung des deutschen Zappelstroms beibehalten, in einem großen Verbund aus Deutschland, Norwegen, Dänemark, Österreich und der Schweiz werden aber, zweitens, Pumpspeicher-KWs für 1,6 TWh errichtet; das theoretisch mögliche Maximum (drittens werden – realistischerweise – Friktionsverluste in den Stromleitungen angenommen).

Damit könnte – zu großen Kosten – in Deutschland ein “grüner” Stromanteil von 63%, im gesamten Bezugsgebiet einer von knapp 50 Prozent erreicht werden.

***

Dazu ist aus Sicht dieses Bloggers zu bemerken, dass HWS zwar der Ansicht ist, dass der Klimawandel von anthropogenen Treibhausgasen verursacht wird, allerdings lässt er (durchaus realitätsbezogen) durchblicken, dass Deutschland (eigene Hervorhebung)

nicht nur wenig, sondern nichts (zu AGW beiträgt), weil über die Mechanismen des europäischen Emissionshandels, das, was wir hier an fossilen Brennstoffen nicht emittieren, anderswo emittiert wird (…) Und selbst Europa insgesamt kann ja gar nichts bewirken (…) Was rauskommt aus der Erde, wird auch irgendwo verbrannt – und da nützt es (…) rein gar nichts, wenn sich hier eine Teilgruppe von Ländern zurückhält” (0:02:08)

Sinn hat offenbar durchschaut, dass – wie in diesem Blog immer wieder betont – nur “Europa plus” sich mit dem Emittieren zurückhält.

Ferner neigt er der Ansicht zu, dass dieses kollektive Verhalten auf Basis unserer konventionellen AGW-Theorie nicht ausreichend sei “um in der heutigen klimatischen Notsituation den Planeten zu retten”.

Auf die Idee, dass die als wissenschaftlich bewiesen geltende, konventionelle AGW-Theorie nicht richtig sein könnte bzw. dass diese als Fassade für die Erschöpfung fossiler Ressourcen (Öl, Kohle, Gas) dient, verfällt er nicht.

Dank an K. für seine Anregung den Vortrag Sinns aufzugreifen!

Literatur:

Hans-Werner Sinn, Buffering volatility: A study on the limits of Germany’s energy revolution. European Economic Review 99 (2017)

Nachbemerkung, 29.12.2017, 06.30 Uhr: Zum Schluss seines Vortrags erlaubt sich Sinn noch einen bitteren Scherz zu den angeblich grünen Windrädern, die die Panoramen verschandeln.

Eines schaffen wir aber mit der Energiewende, meine Damen und Herren – wir wandeln die deutschen Kulturlandschaften in Industriegebiete um (…) Oder was ist denn das? Das sieht aus wie das Ruhrgebiet mit diesen ganzen Lichtern für die Fabrikanlagen. Das sind auch Fabrikanlagen…im Grunde sind es Windkraftanlagen, die des Nachts kräftig leuchten müssen, damit die Flugzeuge hier nicht reinfahren.” (01:12:29)

Unabhängiger Journalist

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