Ein junger Berater informiert uns in The Third Major Energy Transformation über seine Sicht der mittelfristigen Energiezukunft, v.a. aber, wo in diesem unübersichtlichen und unsicheren Umfeld Investoren Kapital platzieren sollen. Es ist eine extrem, übertrieben High Tech-freundliche, “konzernorientierte” Sicht, aus der sich freilich eine Menge lernen lässt. Wer eine halbe Stunde erübrigen kann und Englisch versteht, höre sich Folgendes auf YT an. NB über realitätsfremde Energie-Ideologen.
Ausgangspunkt von Rob West, dem Gründer von Thunder Said Energy, ist der Gedanke, dass die Welt gerade die dritte größere energy transition der vergangenen 200 Jahre durchläuft – eine, die sich nach seiner Meinung eigentlich aus fünf Teil-transitions zusammensetzt.
Investoren seien heute kaum mehr bereit Geld in fossile Treibstoffe zu stecken, und das führe soeben zu einer Desinvestition von 6.000 Milliarden US-Dollar, also einer regelrechten Flucht aus dem Sektor.
West hält das für einen Fehler – denn das werde, meint er, in den 2020er-Jahren zu einem dramatischen Preisauftrieb bei Öl führen.
Die Welt brauche zur Deckung künftigen Energiebedarfs aber jedes Jahr um 200 bis 300 Milliarden Dollar mehr Investitionen, auch (und gerade) im fossilen Bereich.
Die Öl- und Gaskonzerne hätten sich mittlerweile zu regelrechten tech companies entwickelt.
Drei der fünf energy transitions ordnet der Analyst diesen AGs zu, die gerade im Begriff seien, sich neu zu erfinden.
Diese Übergänge beträfen a) shale oil, b) Strom (“Elektrifizierung”) und c) digitalisierte Exploration und Produktion in bereits weitgehend ausgebeuteten Ölfeldern.
Nur eine von Wests transitions, die Renewables, hat gar nichts mit fossilem Zeug zu tun und seine Nummer 5, der Big Kahuna, nur teilweise – nämlich die Entkarbonisierung (diese kann realistischerweise nur auf Basis von neu gefördertem Erdgas bewerkstelligt werden).
Am meisten versteht der Mann vom Kerngeschäft der oil majors und dort ist er von den Visionen der Bernard Looneys dieser Welt überwältigt, und von der (tatsächlich) mächtigen technologischen Wissensbasis der Ölfirmen.
Folgt man den hyperoptimistischen Projektionen von deren Personal, werden in 20 Jahren jeden Tag 25 Millionen Barrel aus Schiefergerstein gefördert, wobei der recovery factor von derzeit 35% (conventional) auf künftig 50 Prozent steigen soll (derzeit findet das nur im Labor statt).
In der herkömmlichen Förderung winkten riesige Ersparnisse auf mit High Tech vollgestopften neuen Offshore-Plattformen, meint er.
Und über ein innovatives petrochemisches Verfahren werde man Plastiksackerl in Öl zurückverwandeln können, wodurch täglich bis 15 Millionen Barrel Öl entstehen würden.
Bis zu.
Das grundsätzliche Problem von Wests Analyse ist, dass er das übersteigerte Selbstbewusstsein und den interessierten Zweckoptimismus der heutigen Ölingenieure und -manager unkritisch übernimmt, etwa nach dem Motto:
Hey, verstehen die etwa nichts von diesem Geschäft?”
Wie auf einer abschüssigen Ebene gelangt er schließlich zu einer Haltung, die Peakoilistas einst zum Spott animierte:
Der will an der Wall Street nach Öl bohren!”
Weil sich der Berater aber nicht gleich (als Ansprechpartner und “Lieferant”) disqualifizieren will, streift er angelegentlich auch die modischen Phantasmen Wind- und Sonnenstrom und erwähnt zum Beispiel die rechnerische 90-prozentige Verbilligung von PV-Elektrizität über die vergangenen Jahrzehnte (wohl ohne Einbeziehung der Kosten von Speicherung und “Schattenkapazitäten”)
- oder die auf den ersten Blick beeindruckende innere Effizienz von Elektroautos (dass hier eigentlich nur die systsemische Effizienz inklusive Erzeugung und Übertragung zählt, scheint West nicht in den Sinn zu kommen).
Immerhin, prophezeit er, sei auch die momentane Übergangsphase keine Frage von Jahren, sondern eine von Jahrzehnten, in der Öl und Gas noch dringend gebraucht würden, weil sonst unintended consequences nach dem Muster der US-amerikanischen Alkohol-Prohibition wieder auftauchen würden.
70 Jahre wie (jeweils) schon bei Kohle und Öl werde auch die dritte transition dauern, in der wir uns gerade befinden.
Schließlich müssten weltweit 60.000 Terawattstunden (Primärenergie) umgestellt werden und das ginge nicht in wenigen Jahren.
Ein Rückschlag wie der z.B. bei der Reisegeschwindigkeit bereits durchlebte sei jederzeit möglich, weiß der Energie-Experte.
G., Danke für Deinen Tipp!
Nachbemerkung, 27.5.2019, 05.00 Uhr:: Es geht nicht um eine “Haltungsnote in Sachen Energie-Ideologie”, es geht um das Verständnis des Wirklichen und des Möglichen.
Diesbezüglich drängt sich der Eindruck auf, dass Herr West, ungeachtet seiner massiven Überschätzung der technologischen Möglichkeiten kapiert, dass es z.B. keine echte Alternative zu Diesel-Lkw gibt, die Konsumgüter “über die Fläche verteilen” und auch nicht zu Traktoren und Baumaschinen, die mit diesem Treibstoff arbeiten;
keine Alternative, sofern kommende Generationen ein Leben führen wollen, das dem heutigen zumindest ansatzweise ähnelt.
West versteht auch, dass seine (ebenfalls überschätzte) electrification ohne Gas gar nicht möglich wäre.
Traumtänzer, die nie auch nur einen Gedanken an die unabdingbaren Voraussetzungen eines Stromnetzes verschwendet haben, wissen nicht einmal das. Die verstehen gar nichts.
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