Vor zwei Jahren ist es den Amerikanern gelungen, einen neuen Produktionsboom bei Öl und Gas zu entfachen. Die Kurve sieht beeindruckend aus, doch es ist ein Riese auf zwei tönernen Füßen: wirtschaftlich und ökologisch. Shale Oil und Gas können temporär Linderung verschaffen – mehr aber nicht.
Zuerst eine Grafik zum Anstieg der Schieferölproduktion in Nordamerika in den vergangenen Jahren. Sie stammt wieder von Peakoilbarrel.
Der Großteil des Produktionsanstiegs kommt aus North Dakota, aus der Bakken-Formation. Neuerdings spielt auch Texas eine wichtige Rolle (Permian Basin). Der Trendwechsel erfolgte 2011, nach vier Jahrzehnten rückläufiger Öl und Gasproduktion. Diese Entwicklung war von kaum jemandem erwartet worden.
Die Daten, die die Grundlage der Grafik bliden, stammen aus dem Statistischen Amt des amerikanischen Energieministeriums, EIA. Sie sind wie alle offiziellen Statistiken mit besonderer Vorsicht zu genießen. Es ist weder sicher, dass die Entwicklung der Produktionsmengen akkurat ist, noch dass wirklich das erfasst wird, was angeblich gemessen wird.
Ein besonders eklatantes Beispiel von Manipulation durch eine EIA-Statistik hat vor kurzem eine kanadische Bullion-Website geliefert. Die Zahlen, mit denen der Benzinverbrauch der US-Konsumenten gemessen werden, haben sich seit fünf Jahren, als angeblich die wirtschaftliche Erholung einsetzte, halbiert (über einen Zeitraum von 15 Jahren sind sie sogar um 75 Prozent gefallen).
Derlei Veränderungen können aber in der wirklichen Welt selbst dann ausgeschlossen werden, wenn angenommen wird, dass der behauptete Aufschwung aus puren statistischen Spielereien bestanden hat und besteht. Eine echte Halbierung des Benzinverbrauchs binnen fünf Jahren wäre im Straßenverkehr mit freiem Auge sichtbar. Einen Verbrauchsrückgang von z.B. 20 Prozent mag es gegeben haben – aber sicher keinen um 50 Prozent.
Worauf will ich mit diesem Einschub hinaus? Auf eine Tatsache, die aufgeklärten Zeitgenossen schon seit langem bekannt ist: dass die amerikanische Regierung mit ihren Statistiken Falschinformation verbreitet – offenbar bewusst und systematisch. So wie alle anderen Regierungen auch, in West und Ost.
Der hier angeführte Beispielfall hat etwas mit einer überhöhten historischen Vergleichsbasis sowie mit der Lagerhaltung bei Treibstoffen zu tun. Es ist ein – vom Staat heute sicher nicht gern gesehenes – Überbleibsel aus einer Zeit, als man glaubte, mit einer großen Propagandaanstrengung einen Aufschwung herbeireden zu können.
Wenn sie es wollte, hätte die US-Regierung unter Zuhilfenahme der vier Grundrechnungsarten schon längst “echte Zahlen” auf den Tisch legen können. Sie könnte aus ihren Steuereinkünften ganz leicht den wirklichen Treibstoffverbrauch errechnen. Sie bräuchte keine “Proxies” für den Benzinverbrauch.
Die Werte, die die EIA heute in Sachen Öl vorlegt, sind nicht viel vertrauenswürdiger. Der Hausverstand gebietet es, diese Zahlen so zu betrachten wie man vor fünf Jahren den scheinbar massiv erhöhten Treibstoffverbrauch zur Kenntnis hätte nehmen sollen: als offensichtliche Statistik-Lüge, die dazu benutzt wird, opportune Gschichterln zu erzählen.
Beide Beispielfälle mögen einen wahren Kern haben. Bei statistischen Lügen ist das meist der Fall (im Gegensatz zu rein politischen). Sie haben Methode. Sie werden üblicherweise weder spontan noch willkürlich vorgenommen. Sie gehorchen bestimmten Regeln, die nicht nach Belieben geändert werden können. Direkte Eingriffe von politischer Seite beinhalten in einer Nicht-Diktatur immer ein Öffentlichkeitsrisiko und können deshalb nicht nach Belieben vorgenommen werden.
Für den konkreten Fall gilt daher: Der Boom, der in den EIA-Zahlen seinen Ausdruck findet, ist in Wahrheit eine mehr oder weniger starke Erhöhung der Gesamtproduktion durch den Abbau von Shale-Vorkommen. Dieser Boom ist freilich bescheidener als in den offiziellen Zahlen zum Ausdruck kommt. Wenigstens eine Million Barrel dürfte aus der konventionellen Produktion stammen (was objektiv gesehen ja gar nicht schlecht ist).
Der “statistische Irrtum” bei den Ölproduktionszahlen könnte theoretisch auch in die andere Richtung gehen, aber das ist wenig wahrscheinlich; das ist so wenig wahrscheinlich wie vor fünf Jahren die Annahme gewesen wäre, der höhere Treibstoffverbrauch sei noch ein Understatement der wirklichen Situation.
Die Fördertechnik, die den Shale-Boom möglich gemacht hat, nennt sich Fracking. Sie besteht darin, z.B: zuerst zwei Kilometer vertikal und dann einen Kilometer horizontal zu bohren (wobei üblicherweise Explosivstoffe eingesetzt werden). Danach wird ein mit Chemikalien versetztes Wasser mit großem Druck in das Bohrloch gepresst um die zuvor entstandenen Haarrisse im Felsen aufzuknacken. Ein Teil der Flüssigkeit wird zurückgepumpt und transportiert freigesetztes Öl oder Gas mit sich. Es ist aber kein Prozess wie im Bergbau, sondern Öl-/Gasförderung.
Dass das alles viel Wasser verbraucht, gefährlich für das Grundwasser ist, Entsorgungsprobleme aufwirft, Erderschütterungen auslöst etc. sei hier nur am Rande erwähnt. Manche Umweltschützer glauben, dass das Fracking und seine schädlichen Auswirkungen mit den Verwüstungen beim Abbau der Teersande in Kanada vergleichbar ist.
Das ist nicht nachvollziehbar. Es scheint übertrieben. Der Umweltschaden durch Fracking lässt sich mit besserer Technik wahrscheinlich abmildern. (Vergleicht man die konventionelle Ölförderung mit dieser neuen Technologie, ist erstere trotzdem noch ein Muster an “Umweltfreundlichkeit”. Dies wird wohl immer so bleiben.)
Hier soll lediglich die Frage gestellt werden, wieweit Fracking das Zeug hat, eine Energierevolution herbeizuführen und den absehbaren Produktionsrückgang bei konventionellem Öl (und Gas) zu kompensieren. Derlei wird von den Fans der Technologie, beispielsweise in den amerikanischen Öl-Majors ja behauptet.
Eines scheint in den vergangenen beiden Jahren in den USA jedenfalls bewiesen worden zu sein: dass aus Schiefergestein gewonnene Kohlenwasserstoffverbindungen in der Lage sind, einen substanziellen “Flow” zustandezubringen. Auch wenn man die sicher stattfindenden statistischen Schwindeleien wegrechnet, muss ein beträchtlicher Zuwachs übrigbleiben.
Die beiden kritischen Fragen lauten aber: Unter welchen Umständen und zu welchem Preis wird dieser zusätzliche Flow erzeugt?
Da ist einmal der Umstand, dass der Vorgang ein Musterbeispiel für eine nicht nachhaltige Produktionsweise, ja ein “Strohfeuer” ist. Etwas, das in den Augen von kurzfristig engagierten Wall Street-Financiers akzeptabel sein mag, das normalen Europäern aber völlig grotesk erscheinen muss.
“Der durchschnittliche ‘Flow’ von Schiefergas geht im ersten Jahr zwischen 50 und 75 Prozent zurück und um bis zu 78 Prozent bei Öl”, sagt beispielswerise Pete Stark, Forschungsdirektor bei der Consultingfirma IHS Inc.
Stark untertreibt eher noch. Im Bakken werden vier Fünftel der neuen Produktion durch die Erschöpfung der älteren Quellen wieder aufgefressen. Das ist selbst nach den offiziell verfügbaren Zahlen so. Nach ein paar Jahren ist die Förderrate auf zehn Prozent ihres anfänglichen Niveaus abgesunken.
Um unter solchen Umständen wenigstens ein paar Jahre weitermachen zu können, gibt es nur eine einzige Möglichkeit: “Drill, baby, drill!” Die Firmen müssen mit großer Geschwindigkeit immer mehr Löcher bohren um nicht Boden zu verlieren. Heute – in den Anfangsjahren des Booms – ist es sogar noch möglich, die Produktion zu steigern.
Man muss das Hamsterrad nur schnell genug treten. Dies passiert in den amerikanischen Shale-Regionen auch – und das wird weiter geschehen solange profitabel gearbeitet werden kann – d.h.: so lange als US-Zentralbank und Anleger Kapital zum Nulltarif bereitstellen (und solange der Vorrat reicht).
Aktuell steigt der amerikanische Shale-Output jedenfalls weiter an. Doch wird damit gerechnet, dass spätestens 2020 der Höhepunkt überschritten sein wird – wahrscheinlich schon früher. (2020 wäre übrigens jener Zeitpunkt, an dem Amerika frühestens anfangen könnte, Flüssiggas in größeren Mengen nach Europa zu vserschiffen.)
Die Unsicherheit, wo wieviel von den begehrten Kohlenwasserstoffen auch unter günstigen Bedingungen produziert werden kann, ist jedenfalls gewaltig. Erst vor kurzem musste die bisherige Reserve-Schätzung der kalifornischen Lagerstätte Monterey um 96 Prozent verringert werden.
Auch viele normale US-Bürger glauben, am Hype mitnaschen zu können, indem sie an der Börse auf Shale Oil-Firmen spekulieren. Sellside-Analysten rühren die Propaganda-Trommel und das Unvermögen, mit sichereren Anlagen genügend Zinsen zu verdienen, um keine realen Verluste hinnehmen zu müssen, tut sein Übriges.
Doch auch Großanleger tun eifrig mit und zeichnen Shale-Anleihen – solange nur eine entfernte Chance besteht, das Geld wiederzusehen. Selbst Shale-Firmen, die sich sieben Stufen “unter Investment Grade” befinden, können zu akzeptablen Zinsen Bonds begeben. Beste Bedingungen für eine “Blase”: Runter kommen sie immer.
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.