Europäische Energiekrise: Depletion oder “Feiglingsspiel”?

Während sich die heuer von Anfang an schlecht gefüllten Gasspeicher beispiellos rasch leeren, schaukelt sich zwischen den USA und deren europäischen Vasallenstaaten sowie der Russischen Föderation anderereits ein neues Kräftemessen um die Ukraine auf.  Wird der beginnende Winter hart und lang, sind  in zwei bis drei Monaten Ausfälle der Gas- und Stromversorgung vorprogrammiert. Die gerade beginnende Erdgaskrise könnte ein geopolitisches Kräftemessen oder aber ein frühes Anzeichen für den sg. Seneca-Effekt sein.

Das ist letztgültig heute nicht zu beantworten, weil es für beide Erklärungen Argumente gibt.

Sicher ist, dass sich die über die Ukraine geleiteten Zuflüsse nach Mitteleuropa deuitlich verringert haben

und auch, dass sich der deutsche Energieregulator für die Genehmigung der Nord Stream 2 provokant-betont Zeit lässt (im Juristendeutsch nennt man das dilatorisches Vorgehen).

Beide Vorgänge sehen nach “Muskelspiel” aus.

Es gibt jedoch eine alternative Erklärung – und die ist keineswegs “beruhigender”:

Die russische Erdgasförderung, an der halb West(mittel)europa hängt, könnte ihren Peak bereits überschritten haben und mehr oder weniger scharf zurück gehen.

Das ist ein Szenario. das sowohl westliche als auch russische “Experten” bisher für unmöglich gehalten haben

- es passiert anderswo aber am laufenden Band (und wird staatlichereits laufend dementiert und bemäntelt).

Ein kontinentaleuropäisches Land mit einer transparenten Datenlage soll als Beispiel für die oft rasche Depletion von Erdgasfeldern dienen: die Niederlande.

Man könnte als Beispiel auch Großbritannien heran ziehen – aber das UK ist a) nicht mehr in der EU und es ist b) kein kontinentaleuropäischer Staat.

Auch Norwegen, nach wie vor ein großer Öl- und Gas-Produzent, wird letztlich seinem geologischen Schicksal nicht entkommen

– mit einer Mischung aus Tüchtigkeit und Glück konnten die Nachfahren der Wikinger dieses aber bisher in Schach halten (auch bei Öl – “Johan Sverdrup”).

Auch eine “niederländische Krankheit”

In Holland waren schon in den 1960ern große Mengen Erdgas entdeckt worden, was das Land nach Meinung einiger Wirtschaftswissenschaftler bequem und wenig wettbewerbsfähig gemacht hat

und noch vor zehn Jahren waren die NL eine Erdgas-Großmacht, die – statistisch betrachtet – 12 Prozent des gesamten europäischen Verbrauchs erzeugte und die die heimische Nachfrage locker decken konnte.

Danach freilich begann der Abstieg – langsam zuerst und dann immer schneller.

Folgend eine Tabelle über die vergangenen 25 Jahre, basierend auf Daten der BP Statistical Review.

Die erste Spalte sind die (theoretischen) “Total Reserves” der Niederländer, die zweite die Produktion und die dritte deren eigener Gasverbrauch. 

Die vierte Spalte schließlich zeigt den Anteil des Inlandskonsums an der Förderung. Grüne Zahlen signalisieren, dass die Erzeugung den Verbrauch übersteigt, rote Zahlen dagegen Importbedarf.

Irgendwann nach 2015 begann diese spezielle Handelsbilanz permanent von grün auf rot zu drehen und im letzten Vor Covid-Jahr verbrauchten die Holländer bereits um ein Drittel mehr Erdgas als sie erzeugten:

Erdgas in den Niederlanden
Reserven (Bill. m3) Produktion (Mrd. m3) Verbrauch (Mrd m3) %
1995  1,7  70,8  40,8  57,6
2000  1,6  61,4  41,0  66,8
2005  1,3  65,3  41,5  63,6
2010  1,2  75,3  46,8  62,2
2015  0,7  45,9  34,1  74,3
2019  0,1  27,8  37,0  133,1

Vergangenes Jahr schließlich verschlechterten sich die Verhältnisse noch einmal drastisch:

Erdgas in den Niederlanden
 Reserven (Bill. m3)  Produktion (Mrd. m3)  Verbrauch (Mrd. m3) %
 2020  0,1  20  36,6 183

Für den kommenden Winter. sagt die neue Regierung, könne das Gas für Geschäftskunden “nicht mehr garantiert werden”. (was selbst für Begriffsstutzige schwer misszuverstehen ist).

Und natürlich werden offiziell jede Menge Ausflüchte aufgeboten, von Erdbebengefahr bis zu Umweltgründen

- die wahre Ursache ist freilich schwer zu übesrehen…

Erdgas-Probleme und Stromnetz

Weil Gaskraftwerke heute aber unverzichtbarer denn je sind, um im Fall einer “Dunkelflaute” grundlastfähigen Strom zu produzieren,

würde ein Engpass bei Erdgas auch das Stromnetz (die Stromnetze) bedrohen, wozu u.a. hier, hier und hier etwas gesagt wird.

Noch dürften bis dahin zwei, drei Monate ins Land ziehen und der Grund dafür sind die langen Zyklen dieses “Geschäfts”:

Im Halbjahr zwischen November und dem folgenden April wurden die Speicher (bisher) abgebaut, um in den folgenden Sommer- und Herbstmonaten wiederum aufgefüllt zu werden.

Dies kann natürlich nur unter der Voraussetzung geschehen,

dass dafür genügend Pipeline-Gas aus Russland, Norwegen und den Maghreb-Staaten (sowie LNG) zur Verfügung steht, um dies bewerkstelligen zu können.

Und selbst wenn der Erdgas-Flow in den genannten Fördergebieten nicht jäh abreißen sollte, darf man getrost annehmen, dass das Export Land Model des Jeffrey Brown nicht nur für Erdöl gilt.

Unabhängiger Journalist

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