Pünktlich zur Abenddämmerung des Fossil-Energie getriebenen Zeitalters stellen sich zwei Bloomberg-Journos mit einer schaurig-schönen Gute Nacht-Geschichte über die (Kaperbrief-losen?) Freibeuter unserer Epoche ein. Die neuen Piraten der Rohstoffmärkte seien, manchmal mit “fremden Geld”, tollkühn, skrupellos und – sofern sie Erfolg haben – steinreich. Natürlich ist ihre heutige Welt dem Untergang geweiht – aber aus anderen Gründen als die Autoren Javier Blas und Jack Farchy meinen.
Der erzählerische Bogen, den sie schlagen, reicht von einem westdeutschen Ölgroßhändler, der schon während des Kalten Kriegs tätig war,
bis zu namenlosen “Regenmachern” großer Trading-Firmen, die im Frühjahr 2020, nach dem sg “Corona-Crash” Erdöl um 10 Dollar pro Barrel erwarben, dieses ein paar Wochen lang in großen Tankern lagerten, um es um 30 Dollar wieder abzustoßen.
Gut die Hälfte des Buchs widmet sich historischen Figuren wie Theodor Weisser und Marc Rich, die auch Blas & Farchy nur mehr vom Hörensagen kennen können.
Erst um das 8. Kapitel herum wird das 21. Jahrhundert “betreten” sowie der von der Volksrepublik befeuerte commodity super cycle in dessen erstem Jahrzehnt,
der Glencore, Vitol, Cargill & Co. willkommene Milliarden-Gewinne und eine ebenso jähe wie unwillkommene Bekanntheit bescherte.
Von Zug bis Schanghai
Der interessierte Außenstehende erfährt über die langwierige Verflechtung des Schweizer Bergbauunternehmens XStrata mit dem riesigen Rohstoffhändler Glencore, der ehemaligen Firma des “Marcel Reich”,
die zehn Jahre später mit dem Börsegang Glencores und der Fusion der beiden Unternehmen abgeschlossen wurde (“Milliardärsfabrik”),
und wie Saddam Hussein vor 2003 UN-Embargo bzw. Oil for Food-Programm unterlaufen und den schwarzen Saft aus seinem Land an jene Trader verkauft hat, die bereit waren, Aufschläge in cash dafür zu zahlen (“surcharges”);
wie mehr oder minder unabhängige russisch-schwedische Ölhändler “einsprangen”, nachdem Chodorkowski verhaftet und dessen Yukos zerschlagen worden war
(und wie deren westliche “Kollegen” in der nächsten Dekade, nach der “Annexion der Krim”, dem Staatskonzern Rosneft mit noch fehlenden 10 Mrd. Dollar unter die Arme gegriffen haben,
einer Summe, die US-amerikanische und europäische Banker nicht mehr leihen konnten oder wollten);
wie sie kleptokratische “schwarzafrikanische” Potentaten mit Geld und Investitionen überhäuften, wenn deren Staat jene Metalle lieferte, die in West & Ost so dringend benötigt wurden,
während giftige “Industrieabfälle” auf die Müllhalde einer afrikanischen Millionen-Metropolen gekippt wurden, deren reguläre Entsorgung eine Stange Geld gekostet hätte.
Immer wieder hätten commodity traders wesentlich den Gang der “Großen Geschichte” beeinflusst, wobei sich diese nicht an Politik & Ideologie,
sondern ausschließlich an vermuteten Handelschancen und Gewinnerwartungen orientiert hätten, schreiben Farchy & Blas;
beispielsweise bei der
- den USA & der EU zupass kommenden Unterstützung libyscher Anti-Gadaffi-Rebellen 2011 oder
- der Verschleierung von Ölverkäufen Irakisch-Kurdistans 2017, die Bagdad erzürnt und westliche Gerichte beschäftigt hatten. Das Erdöl aus Kirkuk wurde einfach auf eine lustige Rundreise durch die Türkei (Ceyhan) und Israel (Ashkelon) geschickt. von wo es nach Eilat gepumpt worden sei, wo es wiederum eine Schiffsreise (vermutlich) in den Fernen Osten angetreten habe.
Händler mit agrarischen Rohstoffen sind auch für die starke Steigerung von Nahrungsmittelpreisen vor 2008 verantwortlich gemacht worden,
was die beiden Autoren so nicht stehen lassen möchten: Nicht “die Spekulation” durch Händler sei für den Preisauftrieb verantwortlich,
sondern deren
- bessere und schnellere Information
- sowie “grüne” Regularien, die bewirkt hätten, dass Agrarflächen statt für die Produktion von Lebensmitteln zur Herstellung von “ökologischen Treibstoffen” verwendet worden seien.
Trotzdem bestehe kein Zweifel daran, dass die Branche selbst eine Menge “Skelette im Schrank” habe, meinen die Autoren und schildern resümierend,
wie das Dollar-Imperium & europäische Banken den Händlern die Refinanzierungsbasis entzögen,
sukzessive und über etliche Jahre verteilt – auf Basis von US- Sanktions- und Steuergesetzen sowie Paragraphen gegen die Korruption.
Wenig deutet für diesen Blogger darauf hin, dass jene Urteile, die zunehmend das politische Wohlverhalten der Hauptdarsteller des Buchs, modernen Swashbucklers, erzwingen, fabrizierte Richtersprüche auf wackeliger Beweisgrundlage sind
- die Frage ist halt nur, ob diese Iustitia wirklich Augenbinden trägt und “ohne Ansehen der Person” gegen alle Verdächtigen gleich vorgeht,
oder ob die einen rechtlich verfolgt und “mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft” werden, die anderen aber nicht.
Es ist letztlich die in diesem Blog immer wieder aufgeworfene Frage nach der selektiven Justiz.
Scarcity, not Climate Change
Für Farchy und Blas geht die Krankheit zum Tode, an der der heutige Rohstoffhandel laboriert, letztlich auf den Wandel der Vorstellungen über Gerechtigkeit und politische Korrektheit zurück, dass also
der dreiste Handel mit verschmutzenden Rohstoffen sowie Direktorenzimmer voll ausschließlich weißer Männer”
ein Ding der Vergangenheit und dem Untergang geweiht seien.
Dieser Blogger sieht das anders.
Während auch ich davon ausgehe, dass (nicht nur) die commodity traders vor einem großen Umbruch stehen,
sehe ich diesen keineswegs “im neuen moralischen Bewusstsein einer postmaterialistischen jungen Generation” begründet.
Der entscheidende Faktor dürfte dagegen das absehbare Auslaufen einer vor 200 Jahren gestarteten historischen Energie-Bonanza sein, die eine unabdingbare Voraussetzung für “knappe, kommodifizierte natürliche Ressourcen” ist.
Die Knappheit, von der z.B. Christopher Clugstone spricht (siehe auch hier), ist letztlich eine von dichter Antriebsenergie, die den Abbau und die Verarbeitung der Erze und Öle sowie den Anbau und die Verarbeitung von Getreiden und Früchten ermöglicht.
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