Der Hindu-Nationalist Narendra Modi hat in der weltgrößten Demokratie 2014 Parlamentswahlen gewonnen und damit die jahrzehntelange Vorherrschaft der Kongresspartei gebrochen. 5 Jahre später legten Modi und seine BJP erneut gewaltig zu. Rajdeep Sardesai analysiert warum – kritisch-distanziert, aber nicht speziell unfair.
Sardesai ist seit 30 Jahren Journo in Delhi und seine Werte und Zielvorstellungen sind ganz andere als jene der aktuellen Machthaber “im Zentrum”.
Die Welt des Politischen Hinduismus ist nicht die seine
- trotzdem schafft er es fast immer, der Analyse Vorrang gegenüber weltanschaulicher Belehrung eimzuräumen.
Dagegen kann oder will Sardesai absolut nicht einsehen, dass wesentliche Elemente seiner eigenen alt hergebrachten Berufspraxis schnurstracks in jene schicksalhafte Verstrickung mit den Mächtigen führen, die ihn im Fall Modi – Shah nun speziell stört.
Ohne Zugangsjournalismus keine “Gefangennahme” durch die politische Macht und ohne Star-Prinzip speziell des Fernsehens kein cleverer Missbrauch desselben durch einen charismatischen Staatslenker.
2019 scheint die politische Hegemonie in der größten Demokratie der Welt endgültig vom Kongress auf die Bharatiya Janata Partei übergegangen zu sein (kurzlebige BJP-Regierungen gab es bereits in den 1990ern und um 2000).
Statt durch Regierungsarbeit “entzaubert” zu werden, wie ein liberales Narrativ es Gutgläubigen erzählt, haben sich Modi & die BJP in den fünf Jahren seit 2014 in der Zentralregierung eingerichtet und bei den Unterhauswahlen im Mai 2019 weitere 55 Millionen Stimmen ergattert.
Der Rückhalt der BJP in der hinduistischen Mehrheitsbevölkerung ist bei den jüngsten Wahlen zur Lok Sabha quer über alle Klassen, Kasten und Regionen gewachsen.
Das führt der Autor zunächst einmal auf Modi zurück, aus dem inzwischen eine Kultfigur geworden war
- auch und gerade bei den sg. Millennials, um ca. 50 Jahre Jüngeren.
2014 sei Narendrabhai noch als Outsider aus Gujarat, als Sohn eines armen Teehändlers aus der Provinz gegen Rahul Gandhi, den Urenkel Jawaharlal Nehrus angetreten
- jenen Dynasten, dessen Clan die Geschicke des Landes seit der Unabhängigkeit 1947 bestimmt hat.
2019 amtierte der Abkömmling des Straßenhändlers zwar schon lange im North Block, während das um 20 Jahre jüngere Oberhaupt der Nehru-Gandhi-Sippe immer weniger reale Macht besaß – in der Wahrnehmung des Elektorats verhielt es sich freilich noch immer umgekehrt.
Das, meint Sardesai, sei einerseits die Folge rückgratloser Kriecherei traditioneller Medien (gewissermaßen im Unterschied z.B. zu den USA),
andererseits aber des Entstehens eines regelrechten Biotops Modi-freundlicher sozialer Medien, die ebenso professionell wie linientreu unterhalten & informieren – oft ganz ohne geschriebenen Text.
Mittlerweile existieren auf dem Subkontinent 500 Millionen Smartphones, die als Endgeräte für die politische Kommunikation dienen.
Der Premierminister & Händler in Träumereien sei jedoch nicht das einzige “M”, das für den Erfolg der Nationalisten entscheidend gewesen sei.
Ebenso wichtig war beispielsweise die “Maschine”, die gut geölte Polit- und Wahlkampfmaschinerie der BJP, die seit 2014 vom heutigen Minister für Heimatschutz Amit Shah gelenkt wird, spätestens seit dieem Zeitpunkt mastermind und charioteer des Projekts Modi.
Shah ist zwar auch nicht fehlerlos und hat beispielsweise die Wahlen in Delhi und Bihar vergurkt, er sei aber dort, wo es drauf ankomme, führungsstark und kompetent,
etwa in Uttar Pradesh dem mit 200 Millionen bevölkerungsreichsten Teilstaat im Norden. Dort habe die BJP 2017 die dortigen Platzhirsche, kastenpolitisch orientierte Regionalparteien, regelrecht zertrümmert (seither regiert in UP der Prälat eines hinduistischen Klosters).
Vom Maßschuh- zum Sozial-Image
Parallel dazu kam es zu einer Art Rebranding der Marke Modi, weg von edlen Anzug-Stiefeletten und goldbestickten Jackets, hin zu den Worten und Gesten eines Armen-Anführers (“Garibon ka Neta”).
Dem dienten auch Regierungsprogramme etwa zur Versorgung ländlicher Gegenden mit Erdgas und Toiletten.
In derlei “Welfarism”, meint der Autor, habe sich zwar die vom Kongress dominierte Vorgängerkoalition auch geübt – sie habe diesen aber nicht entsprechend “vermarktet”.
Im Gegenteil, dem früheren Premier Manmhohan Singh scheine das eher peinlich gewesen zu sein – wogegen jetzt jeder neu ans Gas-Netz angeschlossene Haushalt ein direktes Mailing von der Regierung bekomme, aus dem hervorgeht, wem die Wohltat zu verdanken ist.
Selbst mit ökonomisch desaströsen Aktionen ohne jeden (gewünschten) Effekt wie z.B. mit der Demonetisierung von 1.000 und 500-Rupien-Scheinen habe die Regierung Pluspunkte gesammelt. Modi versuche wenigstens gegen Schwarzgeld und Korruption vorzugehen, heißt es da bis heute.
Schwacher Kongress, starke Luftwaffe
Alles in allem sei 2019 eine “TIMO-Wahl” gewesen – “There Is Modi Only”. Vom arbeitslosen Uni-Absolventen bis zu eigentlich malkontenten Geschäftsleuten aus Mumbai hätten “alle” den Amtsinhaber gewählt.
Wen auch sonst? Rahul Gandhi vielleicht, dem Sardesai
undergraduate radicalism”
attestiert, der
no substitute for firm no-nonsense patriotism, especially at election time”
sei.
Darunter will der Autor freilich nicht militärische Machtdemonstrationen verstanden wissen wie beispielsweise in der Krise, die sich im Februar 2019 im Grenzgebiet zu Pakistan entwickelt hatte.
Damals wurden bei einem islamistischen Selbstmord-Attentat 40 indische Polizisten getötet, was zu einem Vergeltungsangriff der indischen Luftwaffe auf Terror-Camps jenseits der Grenze führte, mit kolportierten Opferzahlen wie aus Scheherazades 1001 Nacht.
Balakot sei, drei Monate vor dem Urnengang, der womöglich entscheidende Faktor für den Erdrutsch-Sieg der BJP gewesen – so sehr dass S. den mit M. beginnenden Namen des moslemischen Ober-Terroristen als einen der 15 entscheidenden Erfolgsfaktoren Modis nennt.
Modi sei letztlich der einzige, der bereit sei, den Pakis eine “Lektion zu erteilen”, hatte beispielsweise der arbeitslose Uni-Absolvent und Modi-Wähler aus Uttar Pradesh zu Sardesai gemeint.
Rajdeep Sardesai, 2019. How Modi Won India. 2019
Rajdeep Sardesai, 2014. The Election That Changed India. 2015
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