Ein konspirationistischer Verschwörungstheorie-Theoretiker

cover_hellingerDer Kampfbegriff Verschwörungstheorie, der für ungelegen kommende, nicht unmittelbar beweisbare Welterklärungsmuster verwendet wird, bedarf einer Neuausrichtung. um weiter seinen Hauptzweck erfüllen zu können: die “Widerlegung” sogenannter Rechtspopulisten. Man müsse pro futuro aber zwischen der unbegründeten Paranoia von Trump & Co. und wirklich stattfindenden Verschwörungen der Reichen und Mächtigen unterscheiden, erklärt ein Politologe jetzt.

“No longer should the academic approach to the subject be solely and completely defined by Hofstadter’s meme, the ‘paranoid style’, i.e., by the idea that all conspiracy theories by their nature violate the principles of social science … (Yes) there is some very bad conspiracy theorizing going on, and even worse there are conspiracy theories that embrace scapegoating and ethnic hatred … (but) not only does money influence politics, it is now deployed systematically by elites who regularly gather to discuss how to deploy their resources covertly. Special Forces and paramilitary organizations fight secret and not-so-secret wars, under cover of national emergency by executive order and bills that have never been actually read by Congress before votes are passed.”

Daniel C. Helling, ein Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen, spricht hier eigentlich Offensichtliches aus – z.B. dass Eliten imstande sind Aktivitäten geheimzuhalten oder dass in den USA eine Schattenpolitik existiert, die weder parlamentarisch kontrolliert noch öffentlich ist.

Derlei galt über Jahrzehnte als evident und unbestreitbar und wurde durch nachträgliche “Enthüllungen” (z.B. Watergate, Iran-Contra) und Deklassifizierungen historischer Dokumente immer wieder bestätigt.

Weit über die Linke hinaus war klar gewesen, dass es eine Wirklichkeit gab, die nicht in der Wapo oder der NYT “stand” – und kaum jemand bezweifelte deren schiere Existenz.

Conspiracy, weaponized

Das änderte sich im Wahlkampf 2016 und mit dem Sieg Donald Trumps im November desselben Jahres.

Um diese Zeit wurde sozusagen eine weitere Façette der Realität entdeckt, die sich nicht mehr in die “linksliberalen Narrative” der Journaille und der Academia einbauen ließ.

Nun waren unzweifelhaft authentische, geleakte “Dokumente” nicht mehr per se wichtig wie beispielsweise noch bei den Pentagon Papers 1971.

Jetzt zählte die Art, mit der sie (angeblich) beschafft worden waren (“DNC-Emails – “russian hacking”).

Die Darstellung politischer Fakten durch die Medien wurde im Vorfeld der Wahl immer offensichtlicher nach Opportunität gewichtet und bewertet.

Während die Medien zweifelsfrei dokumentierte Aktivitäten von Beamten, die die Amtsübernahme eines gewählten Politicos behinderten, quasi achselzuckend zur Kenntnis nahmen, begann man sich auf die Aussagen des ungeliebten neuen Präsidenten zu konzentrieren und begann diese zu überprüfen – was vorher nur in Ausnahmefällen üblich gewesen war.

Es war eine Art überschießende Neuentdeckung einer traditionellen Rolle der “vierten Macht im Staat” – aber eine, die sich ausschließlich auf eine Seite konzentrierte (“selektive Berichterstattung/Kritik”).

Das Ergebnis des einseitigen Factcheckings war, dass Trump immer wieder die Unwahrheit gesagt und verzerrte Darstellungen geliefert hatte (wie alle Politicos vor ihm).

Manchmal wurde auch “nur” der Verstoß gegen einen “linksliberalen” Gruppenkonsens konstatiert, der als universal und überzeitlich dargestellt wurde.  

Die Academia, die die Darstellung “ihrer Medien” ungeprüft und unhinterfragt übernahm, theoretisierte den Eintopf aus gewagten Behauptungen und “Klima- bzw. Russiagate-Skepsis” schnell als “Trumpismus”, “Verschwörungstheorie” oder “postfaktisch”.

Niemand aus der “In-Gruppe” widersprach – selbst wenn die ursprünglichen Zuschreibungen, leicht erkennbar, auf Konstruktionen und Strohmann-Argumenten beruhten.

Trump, besagt insbesonders die Verschwörungs-Hypothese, setze wie z.B. europäische Rechtspopulisten systematisch auf Desinformation, was geradewegs in die Diktatur führe – siehe dazu Hendricks/Vestergaard, “Reality lost – Digital Ways to Totalitarianism”, siehe hier und hier.

Es drehe sich, ergänzte beispielsweise Eirikur Bergmann anhand von Europa-Vergleichen, um eine “Politics of Misinformation”.

“Weißer” Terrorismus wie jener von Anders Breivik geht demnach auf eine Art kognitives Versagen gegenüber bösartigen rechtspopulistischen Narrativen zurück, dies- und jenseits des Atlantik.

Dabei muss freilich ignoriert werden, dass die Realitätsflucht bei der “bevorzugten politschen Seite” ausgeprägter zu sein scheint als bei den Rechts-Popos.

Das krasseste Beispiel dafür kommt aus Deutschland.

In der Causa Chemnitz wurde die Darstellung der Geschehnisse von einer, der “richtigen” politischen Seite definiertohne dass auch nur versucht wurde, die Existenz von “Hetzjagden gegen Ausländer” etc. nachzuweisen.

Doch auch in den USA geht es nicht um (bessere) Erkenntmis, sondern um die Definitionsmacht.

Das führt zu letztlich diskussionswürdigen Fragen der Darstellung, öffnet aber auch die Tür für objektiv falsche Tatsachenbehauptungen wie beispielsweise folgende Hellingers (p. 275, eigene Hervorhebung):

As I write this conclusion, an independent prosecutor has indicted former aids and Trump campaign officials for covering up or actually engaging in collusion with Russian operatives (…)”

Das mag eine Wunschvorstellung sein, ist faktisch aber aufgelegter Unsinn.

SC Robert Mueller hat zwar ein paar frühere Mitarbeiter DJTs angeklagt – doch die Vorwürfe gegen diese beziehen sich durch die Bank auf Jahre zurückliegende Steuervergehen, Verstoß gegen Berichtspflichten, Betrügereien oder Lügen gegenüber dem FBI.

Von einer Anklage in der Hauptsache fehlt bis zur Stunde jede Spur.

Trotzdem pocht die selbst ernannte US-amerikanische Epistokratie wie gehabt auf ihre Narrative und ihre angeblich überlegenen epistemischen Fähigkeiten.

Nick, Peter und Hulk

Für eine kriminelle Verschwörung gegenüber dem Staat oder wenigstens deren Taschenausgabe, eine Kollusion, existiert bisher nicht einmal eine Anklage – geschweige denn eine Verurteilung.

Dennoch wird nach zweieinhalb Jahren Untersuchung (ein Jahr FBI-intern, eineinhalb Jahre Mueller-Kommission) medial der Eindruck erweckt (und universitär theoretisiert), dass Trump von “den Russen” gesteuert werde (was auf Basis der intensiv recherchierten, öffentlich bekannten Faktenlage nur als schwer zu argumentierende Verschwörungstheorie bezeichnet werden kann).

Und natürlich finden laufend sehr wohl “Verschwörungen” statt – kleine und große, erfolgreiche und nicht erfolgreiche, welche gegen Staaten/Gemeinwesen, andere wieder gegen Private.

Nur ein kleiner Teil davon wird öffentlich.

Beispielsweise die unglaubliche Geschichte von Nick Denton, Peter Thiel und Hulk Hogan, wie Ryan Holiday sie auf 300 Seiten aufgezeichnet hat.

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Es ist die extensiv recherchierte Story um einen öffentlichkeitsscheuen Tech-Investor, einen Klatsch&Tratsch-Blog und einen prominenten Wrestling-Star

- eine Geschichte über skrupellosen Journalismus, das Recht auf Privatsphäre, langfristig geplante, kalt genossene Rache und auch ein bisschen über free speech.

Ausgangspunkt war ein 2007 erschienener (wahrheitsgetreuer) Eintrag in einem Gawker-Medium, mit dem Paypal-Mitgründer Peter Thiel gegen seinen Willen als schwul geoutet wurde.

Der Milliardär klagte nicht, sondern wartete ab und sah dem Treiben der “Manhattan based Terrorist Organisation” (wie er Dentons Gawker beurteilte) zunächst jahrelang zu.

Er heuerte aber zwei Juristen an, die Regelverstöße der Gawker-Seiten akribisch auswerteten und auf juristische Erfolgschancen abklopften.

Der “passende Fall” tauchte 2012 auf, als Gawker ein Sex-Video eines weithin bekannten Profi-Wrestlers online stellte, das ohne dessen Wissen aufgenommen worden und das (angeblich) gestohlen war.

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Hulk Hogan, 2011

Thiel nahm daraufhin 10 Millionen Dollar in die Hand und unterstützte diskret, aber effizient eine auf 140 Millionen Dollar Schadenersatz lautende Klage Hogans.

Im Sommer 2015 gewann dieser vor Gericht gegen den Gawker und ein Jahr später musste das Medienhaus Pleite anmelden. Die verbleibenden Reste wurden um 1,5 Mio. Dollar verklopft – eine Verschwörung und ein “Akt poetischer Gerechtigkeit”, wie Holiday resümierend  meint.

Bild: Journalist 1st Class Kristin Fitzsimmons [Public domain], via Wikimedia Commons

Literatur:

Daniel C. Hellinger, Conspiracies and Conspiracy Theories in the Age of Trump. 2018

Eirikur Bergmann, Conspiracy & Populism: The Politics of Misinformation. 2018

Ryan Holiday, Conspiracy: Peter Thiel, Hulk Hogan, Gawker, and the Anatomy of Intrigue. 2018

Unabhängiger Journalist

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