Der amerikanische Vermögensberater John Mauldin hat einen Newsletter über Post-Brexit-Europa geschrieben, der ein selbst vor Ort kaum zu erlangendes Informationsniveau mit einer leidenschaftslosen und scharfsichtigen Analyse verbindet. Nicht, dass wir Europäer nicht auch Durchblicker hätten. Die sind oft beruflich committed und ideologisch verhangen – so wie Nebel das beeindruckendste Gebirgsmassiv unsichtbar machen kann.
Hier lose und unsystematisch ein paar Punkte, die Mauldin macht:
- Das Brexit-Referendum hat in Europa eine qualitativ neue Situation geschaffen, ein Minenfeld, in dem jeder nur um ein paar Zentimeter “falsch” gesetzte Schritt eine Explosion verursachen kann.
- Ein Kern von EU-Staaten anerkennt mittlerweile, dass es in Europa unterschiedliche Ambitionen in Sachen Integration/Zentralisierung geben kann. Diese EU-6 sagt den “weniger Ambitionierten”: Lasst uns über die weitere Ausgestaltung der EU reden, aber bleibt um Himmels Willen!
- Die Kommission und das mit ihr verbündete Europa-Parlament wollen dagegen die Chance auf “mehr Integration” nutzen. Ferner “müssen” sie ein Exempel an den Briten statuieren, um potenzielle weitere Fahnenflüchtige abzuschrecken. Darum wird jetzt EU-intern eine heiße Schlacht geführt, wer mit den Engländern verhandeln soll – die Kommission oder der Rat.
- Der Freihandel zwischen dem Kontinent und UK ist in Wahrheit nicht verhandelbar. Dem Export- und Leistungsbilanzmotor der Gemeinschaft, Deutschland, bläst der Wind schon jetzt ins Gesicht. Die deutsche Industrie kann es sich nicht leisten, aus Gründen einer zweifelhaften Durchhaltemoral einen so großen Markt wie Großbritannien zu verlieren.
- Italiens Banken sitzen auf monströsen 400 Milliarden Dollar non performing loans, was etwa einem Viertel seines Bruttoinlandsprodukts entspricht. Sie sind praktisch insolvent und die Kommission rückt in dieser brandgefährlichen Situation von ihrer bail in-Vorgabe aus dem Jahr 2013 ab. Brüssel, sagt Mauldin, hat Rom ein de facto-Bail out im Umfang von 190 Milliarden erlaubt (wovon 150 Milliarden Garantien des italienischen Staats sind). Klarerweise wird das bei Bedarf von der EZB “gedruckt” und damit über den ganzen Währungraum verteilt.
- Die schwierigste Situation besteht allerdings in Frankreich. Die Amerikaner vergleichen die jetzige Brexit-Ansage mit der Pleite von Bear Stearns im Mai 2008 – der Ausstieg von Frankreich würde schließlich ein paar Monate später die “Lehman-Pleite” des alten Kontinents werden. Dabei würde der Front National die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen gewinnen, die Union für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Frankreichs verantwortlich machen und ein Austrittsreferendum ansetzen. “I am not at all suggesting that France and Germany will go to war. I see no chance of that. What I do see, though, is bad enough: Marine Le Pen portraying the EU as a threat to French liberty and prosperity, with Germany acting as the EU’s puppeteer, and a substantial part of the French population agreeing with Le Pen. The problem is, there is a ring of truth to what she says.”
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