Mehr von der Seneca-Klippe

Hier noch ein paar Fakten/Sichtweisen zum Thema Seneca-Klippe, zur Ergänzung meines Postings vom 9. April. Die Informationen entstammen zu einem guten Teil diesem Blog. Die Seite versucht, die offiziellen Zahlen mit den selbst erfahrenen und/oder nachvollziehbaren Fakten in Einklang zu bringen – zum Beispiel, dass die natürliche Erschöpfung der Ölfelder jährlich zwischen 5 und 7 Prozent liegt oder dass unser Planet schon 100 Jahren auf neues Öl abgesucht wird (was das Potenzial für Neuentdeckungen stark einschränkt).

Der Betreiber von peakoilbarrel, Ron Patterson, ist eigentlich gelernter IT-Techniker, der aber lange für die Ölbranche gearbeitet hat. Die Poster auf seinem Blog sind zu einem guten Teil Ingenieure/Techniker. Es handelt sich also um eine echte knowledge community, die aber zu radikal anderen Schlussfolgerungen gelangt als die bekannten, in der Öffentlichkeit stehenden staatlichen oder privaten Apparate.

Besonders offenkundig wird der Unterschied bei den in regelmäßigen Abständen publizierten langfristigen Projektionen. In den Diskussionen darüber pflegen sich die Poster kopfschüttelnd zu fragen, mit welchem wacky tobaccy sich die Verfasser der Vorhersagen eigentlich einrauchen.

Ein Beispiel dafür ist hier zu besichtigen. Es ist die Darstellung der weltweiten Ernergiesituation bis 2040 durch die US-amerikanische Energy Information Administration (EIA). Die EIA prognostiziert u.a., dass die Weltproduktion von Öl (“C+C”) bis 2040 um 22 Millionen pro Tag auf 99 Millionen Barrel steigen wird.

Eine solche Expansion ist angesichts der Realitäten der Branche aber praktisch unmöglich, erklären die Energieskeptiker um peakoilbarrel. Die theoretisch verbuchten Reserven und Ressourcen sind für sie Welten von der tatsächlich möglichen Produktion entfernt. Energetische Hoffnungsträger wie die kanadischen oil sands oder das venezolanische extra heavy sind Seifenblasen und reichen bei weitem nicht aus, um einen nennenswerten zusätzlichen Produktionsfluss zu erzeugen.

Shale oil bust

Diese Leute haben seit 2012 gewissermaßen mit dem Vergrößerungsglas boom und bust um shale mitverfolgt. Shale oil – echtes, im Schiefer eingeschlossenes Öl – ist ja (wenn man von gewissen Nebenprodukten in der Erdgasproduktion absieht) das einzige “schwarze Gold”, bei dem es in den vergangenen Jahren Produktionssteigerungen gegeben hat.

Bei shale sieht die Situation folgendermaßen aus: Seit einem halben Jahr – also seit dem Einbruch des Ölpreises – werden in der Branche in Windeseile die Zelte abgebrochen. Das zeigt sich zuerst in der Zahl der in den USA eingesetzten Bohrtürme (rigs), die vom Ölfelddienstleister Baker Hughes hier gezählt werden. Nach dem jüngsten rig count von Baker Hughes hat sich die Zahl der in den USA eingesetzten Bohrvorrichtungen von 1.609 im Oktober 2014 auf 760 im April 2014 halbiert.

Trotzdem haben die US-Produktionsszahlen bisher keine Anstalten gemacht zurückzugehen – was angesichts der Charakteristika von shale oil ziemlich mysteriös ist.

Warum?

Weil die Gewinnung von Light Tight Oil (LTO) ununterbrochen neue Aktivität erfordert. Es ist wie ein Laufrad. Nur das unermüdliche Bohren und Fracken neuer wells erlaubt überhaupt die Steigerung der Produktion. Denn allein im ersten Jahr geht die Produktion aus den neuen Quellen zwischen 50 und 80 Prozent zurück, siehe hier.

shale_decline_bloombergDas Hamsterrad kann nur über ständig neue Bohrungen am Laufen gehalten werden und mit dem rasanten Ölpreisverfall ist dieses Rad zunächst einmal zum Stillstand zu kommen. Die meisten Produktionsfirmen benötigen wenigstens 70 bis 80 Dollar pro Fass um kostendeckend produzieren zu können.

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Die kumulierte internationale Ölproduktion hat bisher gut 1.300 Gigabarrel betragen und das ist in etwa die Hälfte (meist etwas mehr) der bisherigen und künftigen Ölproduktion der ganzen Welt.

Diese Kennzahl wird u.a. ultimately recoverable reserves, URR, genannt. Sie ist nur eine errechnete Größe – aber trotzdem noch das kleinste Übel. Denn den Reserveangaben der Ölfördernationen ist noch weniger über den Weg zu trauen als den Rechenkünsten der Peak Oilers mit ihrer Hubbert Linearization.

Nicht nur dass es sich bei den Reserveangaben der Nationalstaaten meist um rein politische Zahlen handelt – es geht nicht nur um Unaufrichtigkeit und “bösen Willen”. Ihre Projektionen zu noch nicht entdeckten Ressourcen und künftigem Reservewachstum sind nicht mehr als Schätzungen mit hoher Fehleranfälligkeit. Das wissen auch konventionelle Spezialisten.

Nun wäre es an sich gar nicht so schlimm, wenn die Welt “in der zweiten Hälfte des Ölzeitalters” angekommen wäre, wenn das Öl so leicht und mit so wenig Aufwand zu produzieren wäre wie in der ersten Hälfte. Das wird aber definitiv nicht der Fall sein.

Das kann einem der Hausverstand sagen – die banale Wahrheit, dass zuerst immer die leichter erreichbaren Ressourcen “geerntet” werden.

Darauf kann man auch als stinknormaler Nachrichtenkonsument stoßen: Welchen Sinn hätte es wohl, unter extremer Kälte in der Arktis nach Öl zu bohren, wenn es ausreichen würde, in Saudiarabien einen Strohhalm in den Sand zu stecken um denselben Effekt zu erzielen ?

Der langsame Tod der Riesenfelder

Und schließlich kann man sich eine wissenschaftliche Auskunft über die Ölfeldriesen besorgen, die zusammen noch heute mehr als die Hälfte der Ölförderung stellen. Fast alle sind aber bereits auf dem absteigenden Ast, weil nur wenige jünger als 50 Jahre sind.

Der größte und bekannteste supergiant liegt im nördlichen Saudiarabien. Es ist Ghawar, die Mutter aller Ölfelder, aus deren Bauch schon viele Milliarden Barrel gefördert wurden.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Ghawar bereits zu einem großen Prozentsatz entleert wurde. Die Frage ist nur: zu wie viel Prozent ? Zu weit mehr als 50 Prozent, sagt Patterson.

But how can this be so? How can so many countries be way past 50 percent depleted and still be producing at or very near their peak production  ?” (Die Vorgänger der heutigen Peak Oil-Theoretiker hatten erwartet, dass mit dem Erreichen des Fördermaximum ein erst langsamer, dann stetig schneller werdender Prozess sinkender Produktion ablaufen werde – ähnlich wie eine Gauss-Kurve.)

Die Haupterklärung liegt für den peakoilbarrel-Blogger in der verbesserten Fördertechnologie, beispielsweise im Fall von Ghawar “massive infill drilling with horizontal wells right at the top of the reservoir.”

Die Ölingenieure pressen Wasser oder Gas in die Reservoire um das ansonsten außer Reichweite bleibende Öl zu mobilisieren und an die Oberfläche zu treiben (injection). Und unter infill drilling wird das Anbringen zusätzlicher, meist horizontaler Bohrlöcher verstanden, wodurch die Ausbeutung beschleunigt werden kann.

Beide Technologien steigern die Produktivität und vergrößern den flow – aber nur die erstere mobilisiert zusätzliches Öl, oder anders ausgedrückt: sie steigert den recovery factor.

Bei mächtigen Feldern wie Ghawar kann eine z.B. um zwei, drei Prozentpunkte bessere Ausbeute die Verlängerung der Produktion um mehrere Jahre bedeuten. Die Enhanced Oil Recovery (EOR) hat aber ihre Grenzen. Sie kann nicht überall angewendet werden und es steht zur Diskussion, inwieweit sie den Ultimate/URR wirklich steigern kann.

Klar scheint, dass EOR by injection das Einsetzen rückläufiger Produktion verzögern, dass sie diese aber nicht verhindern kann.

Für Patterson und seine Peak Oiler steht jedenfalls die produktivitätserhöhende Funktion der Bohrtechnik im Vordergrund. Sie schafft keine (zusätzliche) künftige Produktion. Was heute noch aus dem Boden geholt werden kann, kann morgen nicht mehr gefördert werden.

Drum ist es nur logisch, wenn Patterson meint (eigene Hervorhebung):Massive infill horizontal well drilling has made it a new ball game. They enable a country like Russia or Saudi Arabia to keep production from declining any great amount until its fields are around two thirds depleted or more. But then when decline finally does set in it will be steep, very steep. Their production profile will resemble a Seneca Cliff.

 “Massive horizontale Ergänzungsbohrungen haben eine ganz neue Situation geschaffen. Sie ermöglichen es Ländern wie Saudiarabien oder Russland ihre Produktion so lange aufrechtzuerhalten bis ihre Felder zu rund zwei Drittel erschöpft sind. Aber wenn der Rückgang schließlich einsetzt, wird er stark, sehr stark ausfallen. Ihr (Saudiarabiens und Russlands) Produktionsprofil wird einer Seneca-Klippe ähneln.”

Unabhängiger Journalist

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