Shell will den britischen Gas-Konzern BG Group um 64 Mrd. Euro übernehmen. Bildhaft gesprochen bohrt Royal Dutch Shell an der Wall Street nach Öl und Gas (die Übernahme wird großteils mit Fremdkapital finanziert). Statt auf mühselige Art eigene Reserven zu entwickeln, wird die künstlich erzeugte Ölschwemme genutzt, um billig einkaufen zu gehen. Geht der Deal durch, kauft Shell ein konventionell zu produzierendes Barrel um unschlagbar günstige 14 US-Dollar.
Shell hat wie seine westlichen Kollegen und Konkurrenten Exxon Mobile & Co. schon seit längerem Probleme, seine schwindende Ressourcenbasis wieder aufzufüllen und im Aktionariat Hoffnung auf künftiges Wachstum zu nähren. Neue Vorkommen gibt es nur wenige, und noch weniger im zugänglichen Teil der freien Welt. Der Großteil dessen, was diese Konzerne in ihren Statistiken zuschreiben können, stammt aus dem sogenannten Reservewachstum bestehender Vorkommen.
Das ist im Wesentlichen eine statistische Sache, aber sie ist wichtig. Denn die börsenotierten Firmen sind einem strengen Regelwerk unterworfen. Sie können nicht so nonchalant mit ihren öffentlichen Angaben umgehen wie die verstaatlichten nationalen Ölkonzerne (NOC) das tun. Die P1 und P2-Barrels, die BG ausweist, sind ziemlich gut abgesichert und unabhängig auditiert.
Nun, Royal Dutch Shell hatte zuletzt etwa 13 Milliarden Barrel an Öl- und Gasreserven (proved) und die Übernahme von BG soll die Ressourcenbasis von Shell um rund 25 Prozent oder 3,25 Milliarden BOE (Barrel Erdöläquivalente) vergrößern.
Zusammen mit den probable reserves (P2) bringt BG 6,5 Milliarden Barrel mit. Das wären bei einem Kaufpreis von 69,7 Milliarden Dollar 10,7 Dollar je Barrel BOE. Gewichtet man die P2-Reserven mit 50 Prozent, beträgt der Kaufpreis immerhin noch 14,2 Dollar pro Reservefass.
Das ist weniger als die 14,7 Dollar, mit denen Shells eigene Reserven bewertet sind (vor Bekanntgabe des Takeovers, freilich nur P1). Das ist für neue, geographisch sicher gelegene Assets sehr gut. Warum der Deal für die Investoren pfui ist, müsste von Psychologen erklärt werden.
Folgend eine Übersicht über die Entwicklung der Öl- und Gasreserven von Shell während der vergangenen fünf Jahre (Quelle: Jahresberichte). Es handelt sich um proved reserves, also die “härteste Währung”. Das Gas wird in BOE umgerechnet.
2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | |
Erdöl-/Erdgas | 14,3 | 14,3 | 13,6 | 13,9 | 13,1 |
Shell produziert jedes Jahr etwa 1,1 Milliarden Barrel BOE und muss – nur um mit den Reserven an der gleichen Stelle zu bleiben – die produzierte Menge durch Zuschreibungen ersetzen. Das gelingt nur im Ausnahmefall – siehe obige Tabelle.
Um ein organisches (nicht-statistisches) Reservewachstum zu erzielen, also eines ohne Zukäufe, muss man sehr viel Geld investieren. Wirklich neues Öl findet sich heutzutage nur tief unter dem Meeresboden (ultra deep water) oder in ausgesuchten Lagen im Schiefer (shale oil). Beides ist sehr teuer. Die “tief hängenden Früchte” der konventionellen Erdölproduktion sind seit langem abgeerntet.
Da ist es eindeutig günstiger, Reserven und Produktion zuzukaufen – vor allem dann, wenn diese günstig zu haben sind. Das ist momentan der Fall, weil der Ölpreis niedrig ist und Milliardenabschreibungen auf Fördergebiete gemacht werden mussten. So hat die BG Group allein im vierten Quartal 2014 knapp 9 Milliarden Dollar abschreiben müssen. Das hat die Sache für Shell verbilligt.
Wie Shell ergeht es auch den anderen vier oil majors, BP, Chevron, ExxonMobil und Total – siehe hier. Sie finden nicht mehr genug konventionelles Öl und Gas um den Schwund ihrer Reserven durch Produktion und Abschreibungen zu kompensieren. Im vergangenen Jahr, schreibt die FT, “lag die organische reserve replacement ratio (…) bei 84 Prozent, auf dem niedrigsten Stand seit 2010.”
Zunächst sollte man die Formel vom “niedrigsten Stand seit 2010″ vergessen – das ist das Gequake von korrupten Experten, die sich bis ganz zum Schluss weigern werden zuzugeben, dass sie am falschen Dampfer gesesen sind.
Der obige Satz besagt schlicht und einfach, dass die fünf größten westlichen Erdöl-/Ergaskonzerne 2014 nicht in der Lage waren, durch eigene Anstrengung ihre Ressourcenbasis konstant zu halten. Das wird wahrscheinlich auch pro futuro so bleiben, vor allem dann, wenn der niedrige Ölpreis die Entwicklung eigener Reserven behindert.
Im Wesentlichen sagen die Mainstream-Analysten heute, was die Peak Oiler schon vor 15 Jahren wussten, zum Beispiel hier:
Es gibt in der fundamentalen Beurteilung der Reserve-Situation keine Differenz mehr zwischen den Analysten der Banken und den Peak Oilern. Der größte Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist wahrscheinlich, dass die korrupten Experten eine Unzahl von G’schichterln im Ärmel haben, mit denen sie begründen, warum in absehbarer Zukunft das business as usual weitergehen wird.
Schließlich haben sich auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder Mittel und Wege gefunden, die sprichwörtliche Dose die Straße hinunterzukicken.
Das Lieblingsg’schichterl war bis vor kurzem der shale boom in den USA, der – wenigstens was light tight oil betrifft – im nächsten halben Jahr zusammenbrechen wird. Die aktuell beliebtesten Märchen der sogenannten sell side betreffen die künstlich erzeugte Ölschwemme sowie den absehbaren Wiedereintritt des Iran in den internationalen Ölmarkt.
Die offene Frage ist heute eigentlich nur mehr, wann der Wendepunkt in der Ölproduktion genau einsetzt und wie die Begleitumstände aussehen.
Das ist nun wirklich nicht leicht vorherzusagen und und in diesem Wettbewerb haben die Peak Oiler im Lauf der Jahre etliche Fehlprognosen-Böcke geschossen, ganz kapitale Viecher. Ihr Hauptfehler war, die Flexibilität und den Einfallsreichtum von in die Enge getriebenen Ratten zu unterschätzen.
Abgesehen von der durchsichtigen Trickserei der Ölwirtschaft in der sogenannten freien Welt gibt es ein echtes Element der Unsicherheit. Es ist das – global gesehen – entscheidende. Das Element lässt sich folgendermaßen umschreiben: Wie sieht die reale Reservesituation im Mittleren Osten und im postsowjetischen Raum aus und lässt sich die dortige Produktion durch die Zufuhr von top notch Technologie noch auf 10, 15 Jahre stabil halten ? 10, 15 Jahre um sich vorzubereiten und/oder wirkliche Alternativen zu finden !?
Die Pessimisten unter den Peak Oilern glauben das nicht. Sie gehen davon aus, dass die Menschheit über eine energetische Seneca-Klippe purzeln wird, einen steilen Abfall in der Primärenergieproduktion bei den Kohlenwasserstoffen.
Viel müsste dazu geschrieben werden, wofür hier kein Platz ist. Im Wesentlichen glauben die Vertreter dieser Theorie, dass durch das Hinauszögern des Peaks, lange Plateauphasen und gegenläufige Bewegungen (shale) der Abfall wesentlich steiler erfolgen wird als bei einer relativ symmetrischen Hubbert-Kurve zu erwarten wäre.
Als Laie habe ich meine Zweifel daran, ob es so etwas wie fixe ultimateley recoverable ressources (URR) gibt bzw. ob sich diese über das erste Drittel der Kurve hinreichend genau bestimmen lassen. Ich traue mir derzeit schlicht kein Urteil darüber zu.
Ich weiß nur eins: Das Spiel wird in Saudiarabien und Russland entschieden. Und über die nötigen Informationen verfügen wohl nur Salman ibn Abd al-Aziz und Wladimir Putin und deren Entourage.
Edit, 9.4.17.15 Uhr: Ich habe die Wertansätze zu den BG-Reserven geändert. Der gewählte Vergleich zwischen den Shell- (P1) und den BG-Reserven (P1+P2) ist, ich gebe es zu, irreführend. Ich habe aber keine Angaben zu den P2-Reserven von Shell zur Verfügung (unterschiedliche Verbuchungssysteme).
P2 bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit der Förderung bei über 50 Prozent liegt, siehe hier. Daher halbiere ich die 3,25 Milliarden Barrel P2-Reserven und addiere die Hälfte zu P1. Es geht mir ja nur um Größenordnungen.
Damit komme ich auf 4,9 Milliarden sichere BG-Barrel. Der Kaufpreis dividiert durch diese Reservebarrels ergibt 14,2 US-Dollar pro Fass. Um eine vergleichbare Bewertung der Shell-Assets zu erhalten, müssten auch dort die P2-Reserven dazugezählt werden, aber wie gesagt…..
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