Ich hab zwar schon einmal darüber geschrieben, aber manche Vergleiche können gar nicht so stark hinken, als dass sie von ideologisch Interessierten nicht ständig aufgetischt – und von schlecht Informierten geschluckt würden. Der Parade-Vergleich bezieht sich auf die Rolle der Zweiten Republik nach den Aufständen in Ungarn und der Tschechoslowakei 1956 und 1968. Die irrige Meinung, dass diese Vorgänge sinnvoll mit der heutigen Flüchtlingskrise zu vergleichen seien, ist offenbar nicht auszurotten.
Der Topos ist unter alten Sozialdemokraten ein Dauerbrenner, wird heute aber auch gern von migrationsbewegten Jungen benützt. Damit kann man sich dicketun und Urteile wie dieses erlauben:
Im Moment ist sich das österreichische politische Etablishment einig, dass wir uns in einer „großen Ausnahmesituation“ befinden. Das Gegenteil ist der Fall.”
Warum? Weil “globale Probleme auch Auswirkungen auf Österreich haben”. Genausogut könnte man auch sagen: Österreich ist keine Insel, aber das erinnert fatal an Johannes Mario Simmel.
Lasst uns daher die Geschichte und ihre sicherlich objektiven Zahlen bemühen:
Dieses Jahr werden circa 70.000 Menschen in Österreich um Asyl ansuchen. Allein während der Ungarnkrise in den 1950er Jahren flüchteten 170.000 Ungarn nach Österreich. In den 1960er Jahren war Österreich nach dem „Prager Frühling“ Zufluchtsort für knapp 200.000 Menschen. Allein aus Bosnien wurden während dem Jugoslawienkrieg 90.000 Menschen aufgenommen. Die Zahl der neuen Flüchtlinge ist also für ein Land wie Österreich gut zu verkraften.“
Hören wir uns zum Vergleich an, was das Flüchtlingshochkommissariat der UNO, UNHCR, zum selben Thema von sich zu geben hat. Nämlich das (eigene Hervorhebung):
1956/57 kamen rund 180.000 Menschen aus Ungarn nach Österreich. UNHCR konnte 84.000 Ungarn-Flüchtlinge dem Nachkriegs-Österreich abnehmen und binnen acht Wochen in Neuansiedlungsländer bringen. Die USA und Kanada nahmen den Großteil der Flüchtlinge auf. Gerade 18.000 UngarInnen blieben in der Alpenrepublik.
Nach Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei flüchteten 1968 162.000 TschechInnen und SlowakInnen nach Österreich. Die meisten konnten in ihre Heimat zurückkehren, rund 12.000 Menschen ließen sich hier nieder.”
Das Nachbarland Österreich war die erste Adresse im Westen, die man aus Ungarn und der Tschechoslowakei ansteuern konnte (und musste). Österreich ließ alle über die Grenze und das war seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Aber die Republik Österreich war nicht mehr als ein Druchreiseland und die Ungarn und Tschechen waren klar erkennbar politische Flüchtlinge – keine wirtschaftlich motivierten Migranten, die aus ein paar tausend Kilometern entfernten Orten stammten.
Die Ungarn und Tschechen, die hier blieben, waren den Österreichern kulturell und mentalitätsmäßig ziemlich ähnlich und es waren – relativ gesehen – nicht besonders viele. Jedenfalls handelte es sich um Menschen, die sich schnell in eine rasch wachsende Wirtschaft mit geringer Arbeitslosigkeit integrieren konnten.
Die heutigen Umstände sind – bis auf den missbräuchlich verwendeten Terminus Flüchtlinge – völlig andere.
Wachstum gibt es keines und die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem hohen und stetig steigenden Niveau. Es gibt heute deutlich weniger Jobs für bildungsmäßig und/oder sprachlich gehandicapte Neuösterreicher - mit der Folge, dass ein viel größerer Anteil der aufgenommenen Flüchtlinge von sozialen Sicherungssystemen wird leben müssen. Die kulturelle Differenz zwischen Flüchtlingen und Mehrheitsgesellschaft ist viel größer.
Und last, but not least: Die Größenordnungen sind vollkommen andere. Bei einer (üblichen) Anerkennungsquote von (brutto) etwa 50 Prozent und dem zu erwartenden Familien-Nachzug werden hier etwa 35.000 bis 40.000 Menschen zuwandern, und zwar für jedes Jahr, das bei den Asylanträgen 2015 gleicht – siehe meine Überschlagsrechnung hier.
1956 und 1968 waren dagegen punktuelle Events, die über mehrere Folgejahre hinweg die vom UNHCR genannte Zuwanderung gebracht haben.
Aus Bosnien sind – um dies nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen – ab 1992 etwa 90.000 nach Österreich gekommen, wovon 60.000 geblieben sind.
Das war bereits ein Grenzfall des für die hiesige Bevölkerung Zumutbaren. Es gab und gibt m. E. aber eine Menge guter Argumente, dass diese Menschen 1.) tatsächlich Flüchtlinge im Sinn der Genfer Konvention waren und dass die Österreicher 2.) gut daran getan haben, diese Leute aufzunehmen und sich integrieren zu lassen.
Wennn Bosnien auch nicht direkt angrenzt – ein Nachbarland ist es allemal und einem Nachbarn, der sich sichtbar in Not befindet, pflegen die wenigsten hier die Türe zu weisen.
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