Asyl: Was das Chaos-Imperium will, und Mitteleuropas Politiker liefern

Die Zerstörung nordafrikanischer und mittelöstlicher Staaten ist nur eine Seite der Medaille. Die besorgte Miene, die das Empire of Chaos dabei macht, ist die andere. Die USA dirigieren auch die Begleitmusik und wie jedes andere Orchester beruht auch dieses auf Arbeitsteilung. Der Mitte Europas ist in der Strategie, bis hinauf an den Polarkreis, die Rolle einer Aufnahmezone für Flüchtlinge zugedacht und die Politiker besagter Länder scheinen sich ohne Widerspruch diesem Wunsch zu fügen.

Vor einem halben Jahr hat eine Studiengruppe von Medizinern den Versuch unternommen, eine humanitäre Bilanz von zehn Jahren Krieg gegen den Terror (WOT) zu ziehen und ist dabei auf 1,3 Millionen Todesopfer in Irak, Afghanistan und Pakistan gekommen (der Löwenanteil stammte aus dem Irak). Der Begriff wurde spätestens 2009 stillschweigend begraben, in der Sache ging’s aber munter weiter – Libyen und Syrien 2011.

Zufällig sind jene europäischen Länder, die sich (aus unterschiedlichen Gründen) geweigert haben, aktiv am WOT teilzunehmen, heute die stärksten Anziehungspunkte für Migranten. Es gibt Ausnahmen zu dieser Regel: die Niederlande, die stets willig waren, die heute aber trotzdem ein beliebtes Wanderungsziel sind. Einen regelkonformen Unterfall stellt Frankreich dar, das an der Koalition der Willigen ursprünglich nicht teilgenommen, diese Scharte in Libyen aber ausgewetzt hat. Frankreich verspürt heute nur einen geringen Migrationsdruck.

Zugespitzt gesagt: Je größer der Beitrag zur Schaffung der heutigen humanitären Krisen in der MENA-Region, desto geringer der heutige Migrationsdruck. Außerhalb Europas scheint die Türkei eine weitere Ausnahme zu dieser Regel zu bilden.

Die besorgte Miene der Vereinigten Staaten lässt sich in einem Hearing erkennen, das ein Unterausschuss des US-Kongresses Ende Oktober veranstaltet hat. Ihr Gesicht trägt dort die Züge der stellvertretenden Außenministerin Anne C. Richard, die im State Departement für Bevölkerung, Flüchtlinge und Migration zuständig ist. Der staatliche Sender C-Span hat die Befragung aufgezeichnet. Auch für Europäer lohnt es sich dort hineinzuhören. Hier ist das Original:

Natürlich steht in diesem Hearing der militärische und geheimdienstliche Teil der US-Chaosstrategie nicht zur Debatte.

Die Anhörung hilft aber bei der Beantwortung der Frage, ob die Rechtslage einer Unterzeichnerin der Flüchtlingskonvention tatsächlich keine andere Wahl lässt, als ohne Obergrenze Asylbewerber aufzunehmen.

In den USA – und nicht nur dort – würde eine solche Behauptung höchstens Lachen auslösen.

Die US-Regierung nimmt jedes Jahr eine im vorhinein bestimmte, fixe Anzahl von Flüchtlingen auf (Obergrenze), die sie sozusagen von Hand ausgewählt hat und die einem hochnotpeinlichen vetting process unterworfen werden.

Danach kann eine Ansiedlung stattfinden – wobei die USA die Philosophie verfolgen, dass das sogenannte

  • resettlement only a solution for a few ist und
  • dass die verwundbarsten (most vulnerable) Flüchtlinge Priorität haben – also Witwen, Waisen, Kriegsversehrte, Folteropfer.

Im vergangenen (Fiskal)Jahr 2014/15, antwortet assistant secretary Richard dem Abgeordneten Rohrabacher, hat Amerika 1.700 syrische Flüchtlinge aufgenommen, von denen gerade einmal zwei Prozent junge, männliche singles sind (1:17:52).

Im neuen, das am 1. Oktober 2015 begonnen wurde, wollen die USA 85.000 Flüchtlinge aus aller Welt aufnehmen, 10.000 davon aus Syrien.

Zum Vergleich: Das sind – was die Gesamtzahl betrifft – etwa so viele, wie 2015 im kleinen Österreich an Asylbewerbern erwartet wird und weniger (angebliche) Syrer, als von Jänner 2015 bis Ende August d.J. hier eingetroffen sind (etwa 13.000).

Der Erlaubnis sich in den USA niederzulassen, geht ein langwieriger bürokratischer Prozess voraus, der hier von einem Direktor des Heimatschutzministeriums beschrieben wird (das resettlement wird “drüben” sozialarbeiterisch stärker begleitet als die Entlassung von Antragstellern in den Asylberechtigten-Status in Österreich).

Die Intention, die Leon Rodriguez bei seinen Aussagen hat, ist klar: Er will den Abgeordneten die Angst nehmen, dass dabei als Flüchtlinge getarnte Terroristen einsickern könnten. Man darf die Darstellung des Beamten daher mit einem Quäntchen Salz nehmen.

Eins ist jedoch klar: der vetting process und die dafür eingesetzten Beamten sind dazu da, die aus Washington vorgegebenen inhaltlichen und quantitativen Aufnahmeziele zu erfüllen.

Die USA sind – wie das United Kingdom und Australien – von Meer umgeben und daher in der Lage, Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, gar nicht an (über) die Grenze zu lassen. Das ist ein psychologisch und medial relevanter Unterschied im Vergleich mit den süd(ost)europäischen Ländern des Kontinents. Diese können – wenn sie die Asylgewährung für Verfolgte aufrecht erhalten - und dabei einen rechtsförmigen Prozess bei behalten wollen – nicht so tun, als gäbe es diese “Nachfrage” nicht.

Das bedeutet freilich nicht, dass sie von der Flüchtlingskonvention 1951 (1967) daran gehindert würden, eine striktere Aufnahmepolitik zu fahren oder Obergrenzen für die Aufnahme einzuführen. Weniger fair als es zu verunmöglichen, überhaupt einen Antrag stellen, ist das jedenfalls auch nicht.

Der Umstand, dass potenzielle Asylwerber (ohne Hilfe aus den USA) dort nicht einmal einen Antrag stellen können, scheint nicht einmal amerikanischen Parlamentariern geläufig zu sein, die im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten sitzen. Das zeigen die Fragen, die Abgeordnete Lois J. Frankel (Florida, D) an Frau Richard hat (ab 0:48:57, eigene Hervorhebung)

Frankel: Sie sagen, dass es Millionen syrische Vertriebene im eigenen Land und vier Millionen außerhalb des Landes gibt. Haben sie jemals die Zahl der Flüchtlinge quantifiziert, die gerne in die USA kommen würden? Was wäre das für eine Zahl ?

Richard: Sie kommen gar nicht hierher, auch wenn sie in die USA gehen (kommen) wollten (They don’t get to come 〈even〉 if they’d like to come to the United States).Es wäre wahrscheinlich eine große Zahl. Aber nicht hundert Prozent, weil die meisten Flüchtlinge wieder nach Haus wollen.

Fazit

  • Die US-Kongressabgeordneten sind nicht weniger naiv als die meisten Politiker, die sich in den europäischen Parlamenten ihre Hintern platt sitzen.
  • Mitteleuropäische Politiker, die sich strengeren Regularien für ihre Ländern widersetzen, sind entweder schlecht informiert oder intellektuell korrupt – indem sie über die die Praxis, die anderswo geübt wird, schweigen und die Fiktion schüren, die europäische Krise drehe sich nicht um (gesteuerte?) Migration. Manche dieser Politiker scheinen einen rechten Putsch provozieren zu wollen, der selbst der bisher geübten, eingeschränkten Aufnahme Verfolgter den Garaus machen würde.
  • Idealisten, die von einer Welt ohne Grenzen und einer schrankenlosen planetarischen Solidargemeinschaft träumen, verlieren ihre Unschuld, sobald sie Entscheidungsträger moralisch erpressen, Politiken gegen den Willen des eigenen Volks durchzusetzen.

Unabhängiger Journalist

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