Nachtrag: Mythen um Venezuela

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Ein aufschlussreicher Text

Die Implosion der Dollar-süchtigen venezolanischen Volkswirtschaft und die (auch militärischen) Drohgebärden der USA haben zu einem oft politinduzierten, üblicherweise faktenarmen Geschnatter um das politische System des Landes und dessen geostrategische Lage geführt, tan cerca de los Estados Unidos y tan lejos de Dios (auch V.). Ein paar Zurechtrückungen von (geographisch) weit weg. NB zu US-Sanktionen und oil production meltdown.

Spezialisten, die sich bisher eher im Aufwiegeln hervorgetan haben, üben sich beim Maduro-Regime nun im Abwiegeln, beispielsweise dieser russische Reporter hier.

Der gute Mann will höchstpersönlich nach Caracas geflogen sein und festgestellt haben, dass

  • in diesem hyperinflationären Land niemand seine US-Dollars (illegal) gegen Bolívares eintauschen möchte (weil offenkundig alle Angst vor der Staatspolizei haben).
  • Er findet ferner Klopapier im Überfluss vor (“The toilet paper is found in absolutely every store, and without any problems”) und fotographiert überquellende Supermarkt-Regale.
  • Sein (wirklich) bestes Argument ist, dass CNN & Co. bisher schlecht/biased aus V. berichtet hätten.

Warum das freilich ein Argument für komplementäres misreporting sein soll, bleibt unklar.

Weiter.

Beliebt – und zunächst einmal ernst zu nehmen – ist ferner die Behauptung, die USA hätten “Sanktionen der Massenvernichtung” (“sanctions of mass destruction”) gegen Venezuela verhängt.

Korrekt daran ist, dass die USA schon zu Zeiten von Hugo Chavez Sanktionen verhängt haben, dass sie aber erst seit kurzem ihre Vormachtstellung als internationale Reservewährung/Kapitalmarkt etc. als finanzielle Waffe gegen das Regime von Nicolas Maduro einsetzen.

Das Congressional Research Service, ein Dienstleister des US-Parlaments, hat soeben einen Überblick über die US-Sanktionen gegen das Land publiziert, aus dem hervorgeht, dass

  • die Obama-Administration bzw. der Kongress Strafmaßnahmen gegen Personen erlassen haben, die sich nach Meinung des US-Präsidenten an antidemokratischen Handlungen und Korruption beteiligt haben, aber auch, dass
  • die Administration Trump diesbezüglich einen Zahn zugelegt hat – z.B. mit Executive Order 13808 vom August 2017 sowie mit der jüngsten EO 13850, mit denen die venezolanische Regierung und die staatliche Ölgesellschaft PDVSA vom (US-)Kapitalmarkt ( = Schuldenmarkt) abgeschnitten wurden. Erlöse der PDVSA, deren man habhaft wird, gehen auf ein Sperrkonto, über das der von Washington gewünschte Präs. Guido verfügen können soll)

Das ist in einer Schuldenwirtschaft, wo Firmen auf Gedeih und Verderb auf immer frischen Kredit angewiesen sind, tatsächlich ein drastisches Mittel.

Es richtet sich aber zunächst gegen “Caracas” und dessen FX-bringenden Staatskonzern und ist dazu angetan, die venezolanische Regierung über Devisen-Austrockung zum Sturz zu bringen.

Sanktionen und Schuldenwirtschaft

Sanktionen gegen die “normalen Venezolaner” sind das insofern, als Maduro & Zentralbank selbst die in den vergangenen Jahren stark geschrumpften Deviseneinnahmen fehlen – wodurch im Ausland nichts mehr eingekauft werden kann und die Inflation (via “Bolívares-Drucken”) noch einmal angeheizt wird.

Diese Entwicklung hat schon vor geraumer Zeit schleichend eingesetzt, als der Ölpreis noch hoch war und die Öl-Produktion 2,3 Millionen Barrel pro Tag ausmachte.

Wirklich schlimm wurde die Sache aber nach dem – wohl künstlich erzeugten – Ölpreisverfall ab Ende 2014.

Das und – wie dieser Blogger meint – die natürliche Erschöpfung der Quellen für leichtes, süßes Öl haben dazu geführt,

dass seit Mitte 2016 ein historisch beispielloser Absturz der venezolanischen Ölförderung stattgefunden hat – von bis dahin 2,3 auf 1,148 Millionen Barrel Ende 2018 (für 2019 wird ein weiterer Rückgang auf 900.000 Barrel erwartet).

Das geht z.B. aus den OPEC-Produktionszahlen vom Dezember 2018 hervor, die auf peakoilbarrel.com zusammengefasst und mit Graphiken versehen wurden.

Die einschlägige Graphik dazu findet sich hier (dieser Blogger darf sie aus urheberrechtlichen Gründen nicht einbinden).

Das Unwissen darüber und die höchst illusionäre Natur der angeblich unerschöpflichen Ölreserven haben jedenfalls zu einem großen Kopfschütteln des Unverständnisses geführt und zur Vermutung, die USA wollten sich (“wie z.B. im Irak”) das Öl des Landes unter den Nagel reißen.

Freilich gibt es schlagende Unterschiede zwischen Venezuela und dem Irak.

Während der Irak “dank” jahrzehntelanger Sanktionen tatsächlich noch Förderpotenzial hat(te), scheint Venezuela am Ende des süßen Öls angekommen zu sein – im traditionellen Fördergebiet im Maracaibo-Meer sowieso, aber auch im Osten des Landes (“El Furrial”).

Was bleibt, ist die Schimäre vom Orinoco-Öl, das in Wirklichkeit und schwer verwertbares Bitumen ist.

Dieser Schimäre hängen auch z.B. US-Multis und der heutige Risiko-Analyst Raúl Gallegos an, der vor zwei Jahren ein hoch verdienstvolles, ungewöhnlich faktenreiches, penibel recherchiertes Buch über Venezuela auf den Markt gebracht hat. “Crude Nation: How Oil Riches Ruined Venezuela” ist u.a. hier erhältlich.

Nachbemerkung, 11.2.2019, 13.30 Uhr: Der Versuch der USA, in Venezuela einen Regimewechsel durchzuführen ist unübersehbar.

Dass die krassen wirtschaftlichen Probleme auf US-Sanktionen zurückzuführen wären, ist trotzdem mumbo jumbo.

Ernsthafte Sanktionen gegen die PDVSA, die z.B. auch den Import von Verflüssigungsmittel behindern, gibt es erst seit EO 13850, Ende 2018.

Schon davor – zwischen Mitte 2016 und Ende 2018 – hat freilich bereits Venezuelas epischer oil production meltdown stattgefunden

Schon vor den jüngsten Sanktionen sind Millionen Venezolaner nach Kolumbien und Brasilien geflohen.

Maduro war trotz eines Jahrzehnts hoher Ölpreise nicht imstande. die PDVSA wenigstens ansatzweise “resilient” zu machen – ausreichend “resilient” um das Unvermeidliche ein paar Jahre hinauszuzögern.

Unabhängiger Journalist

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