Ö: Wieder schwarz statt türkis – die “historische VP” schlägt zurück

Die traditionelle ÖVP der Länder und Bünde hat in den vergangenen Tagen Sebastian Kurz, die seit viereinhalb Jahren Ton angebende “bonapartistische Spitze” derart ins Abseits gedrängt, dass der erst 35-jährige Chamäleon-Politico kaum noch Chancen auf ein Comeback zu haben scheint. Vermutlich geschah dies mithilfe von den Grünen nahe stehenden “Netzwerken”, die – subjektiv durchaus ehrlich – korrumpierte und zynische Regierungspraktiken bekämpfen wollen. Ironischerweise haben sie damit die Tür für die Rückkehr jener Kreise geöffnet, die 50 Jahre lang die Geschicke des Landes bestimmt haben – auch bekannt unter dem Namen schwarz-rote (oder rot-schwarze) Koalition.

In einer “Palastrevolution” hatte Kurz erst 2017 die Spitze der alten ÖVP abgelöst, die seit den Tagen Alois Mocks in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bei Wahlen chronisch erfolglos gewesen war

(die ÖVP  blieb drei Jahrzehnte hinter dem länger stabil erscheinenden sozialdemokratischen Regierungspartner zurück).

In dieser Situation wurde der jugendlich und unverbraucht wirkende Kurz erst VP-Parteiobmann und dann Bundeskanzler

- dies nach einem fulminanten Wahlsieg, der die ÖVP zum ersten Mal seit Menschengedenken wieder zur stimmenstärksten Partei machte (ein Erfolg, den der neue Besen 2019 “noch einmal toppen konnte”, und zwar auf Kosten der FPÖ – “Ibiza-Affäre”).

Der Preis, den die  – diesfalls konservative – “alte Tante ” dafür bezahlen musste, bestand u.a. in

Zentralisierung und politischem Rebranding durch Kurz und dessen “Handler” & Vasallen. Das ging so weit, dass die “neue ÖVP” die traditionell schwarze “Parteifarbe” auf türkis abänderte.

Kurz & Co. waren bei den Urnengängen ’17 & ’19 zwar extrem erfolgreich, konnten die alten Strukturen in der Partei aber nie wirklich brechen.

Parteiinterne “Konterrevolution” der Traditions-Schwarzen

Jetzt haben sich die alten Strukturen zurück gemeldet und wie es aussieht, wurden dabei halbseidene Machtdiskurse des jugendlichen ÖVP-Napoleon genutzt, die von dessen “linken Feinden” an die Öffentlichkeit gebracht wurden.

Der Weg der Enthüllungen sowie der politische Hintergrund der in Frage kommenden “Leaker”scheint klar:

Es handelt sich bei den Enthüllungen um – ziemlich sicher authentische – Neben-Ergebnisse staatsanwaltlicher Ermittlungen gegen ein früheres Regierungsmitglied, die an die Presse gespielt wurden.

Natürlich ist/wäre so ein Vorgehen völlig illegal, aber

  • erstens kann niemand beweisen, welche Amtsperson welche Dokumente wann weiter gereicht hat und
  • zweitens ist die Journaille prinzipiell daran interessiert, ihre Fiktion von den Aufdeckern ohne Furcht und Tadel aufrechtzuerhalten, die durch mutige und beharrliche Recherche unliebsame Fakten über eine zynische und/oder korrumpierte Regierungspraxis ans Tageslicht bringen.     :mrgreen:    

Das politische Milieu dieser mutmaßlichen staatsanwaltlich-medialen Netzwerke ist leicht zu verorten und es changiert grün-rot

(ohne dass es dabei zwingend formelle Partei-Affiliationen oder eine Koordinierung z.B. mit der niederösterreichischen ÖVP gegeben haben muss).

Angesichts der Schnelligkeit, mit der die innerparteilichen Gegner von Kurz zugeschlagen haben, ist jedoch klar, dass sie wenigstens vorinformiert gewesen sein mussten.

Der Effekt innerhalb der ÖVP war eine Art Konterrevolution zur Kurz’schen Palastrevolution von Mitte 2017. Der Coup brachte die gleiche innerparteiliche Loser-Partie zurück an die Macht, die es seit 1966 nicht mehr geschafft hat, Nationalratswahlen zu gewinnen.

Nun ist es möglich, dass

  • so schnell ohnedies keine Wahlen mehr stattfinden und es daher unerheblich ist, welches Bild die ÖVP für “den Wähler” abgibt,  dass
  • die Loser inzwischen doch das Siegen gelernt haben, oder dass
  • es ihnen egal ist, wenn sie wieder hinter die andere ehemalige Großpartei, die SPÖ, zurückfallen.

In jedem Fall ist die historisch angestammte, sozusagen natürliche Regierungsform dieser VP-Kräfte die Große Koalition mit der SPÖ, egal ob aus einer Position der Stärke oder einer des “ewigen Zweiten”.

Eine zügige Entsorgung des aktuellen grünen Koalitionspartners der ÖVP und dessen Ersetzung durch die SPÖ könnte von daher durchaus bevorstehen.

In diesem Fall würde das “gut gemeinte” Agieren des grün-roten Aufdeckernetzwerks eine paradoxe Folge zeitigen:

die Renaissance der wohl “korruptesten” Regierungsform, die die Zweite Republik jemals hervor gebracht hat.

Es stellt sich jedoch die Frage ob ein fliegender Koalitionswechsel “nach italienischem Muster” auch in Österreich möglich ist.

Chancen und Risken von Neuwahlen

Wenn nein, müsste doch noch einmal gewählt werden, was (aus Sicht der “Linken”) eine große Chance, aber auch eine große Gefahr beinhalten würde.

  • Die Chance würde in einem Erdrutschsieg der SPÖ bestehen, so dass sich eine Koalition mit den Grünen auch arithmetisch ausgehen würde; oder – “weniger optimal” – wenigstens in einem Führungswechsel in der Koalition mit der “alten ÖVP”, so dass die Konstellation des Kabinetts Vranitzky II (1986) umgedreht würde (die mit Unterbrechung von “schwarz-blau” real bis Kern/Mitterlehner Bestand hatte. Diese Varianten können auch mit einer “Beimengung” durch die politisch korrekte Haselsteiner-Gründung NEOS erfolgen).
  • Die Gefahr solcher Wahlen (wiederum aus Sicht der “Linken”) besteht jedoch in einem “Rechtsruck” mit starken Gewinnen der Kickl-FPÖ, die zusammen mit einer erneut “umgepolten” ÖVP eine “rechte” Regierung bilden könnte. Abgesehen vom ungewissen “Wähler-Votum” hätte eine solche Variante freilich auch ein potenzielles personelles Problem: dass nämlich eine Zusammenarbeit von Kickl und Kurz nicht mehr  möglich erscheint, da Letzterer dem damaligen Innenminister “den Sessel vor die Tür gestellt hat”, obwohl dieser absolut nichts mit der “Ibiza-Affäre” seines Parteichefs Strache zu tun hatte. Sollte sich “Basti” freilich wirklich aus der Politik zurück ziehen, gäbe es auch kein Problem mit seiner “Personalie” mehr. Im Fall des Falles würde Kickl noch eher mit seinen niederösterreichischen bzw. ÖAAB-Feinden Sobotka und Nehammer einen Waffenstillstand schließen als dass er Kurzens Verhalten Mitte 2019 einfach vergessen würde.

Unabhängiger Journalist

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