Österreich: Der ORF-Direktor und eine nicht ganz geheime Wahl

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Titelverteidiger Wrabetz, heutiger Kanzler

Ein Stiftungsrat kürt in Österreich heute den ORF-Generaldirektor. Es ist eine Wahl zwischen den Kandidaten zweier Parteien, die derzeit jeweils etwa 20 Prozent der Stimmen auf die demokratische Waage bringen und die deshalb 26 der 35 Stimmen des intensiv politik-unabhängigen Gremiums kontrollieren (eine dritte Fraktion, die heute von 35 Prozent gewählt würde, hat eine Stimme). Noch Fragen ? Ah ja – geheime Wahl. Überall wird geschrieben, dass es diese nicht gibt. Das ist bestenfalls hintersinnig wahr. NB zum Matchwinner ORF-Betriebsrat.

Die heutige Entscheidung fällt zwischen der amtierenden ORF-Führung und der amtierenden ORF-Führung – also zwischen dem aktuellen Generaldirektor Alexander Wrabetz (SPÖ) und dem aktuellen Kaufmännischen Direktor Richard Grasl (ÖVP).

Beide Seiten tun so, als hätten sie die 13 Stiftungsräte ihres jeweiligen Freundeskreises fix in der Tasche (weil es sich um eine unabhängige Stiftung handelt, sind die Räte nicht in Fraktionen, sondern in Freundeskreisen organisiert). Plus fünf der restlichen, nicht direkt einem Freundeskreis zuordenbaren Räte.

Das würde 18 ergeben – die für eine Entscheidung notwendige Mehrheit.

Nun kann sich die (echte) Öffentlichkeit freilich nicht sicher sein, wer wirklich für wen gestimmt hat – denn die Wahl ist formell geheim.

An diesem Punkt beginnt in den Bericht erstattenden Medien ein Pirouettendrehen und Getäusche, das es in sich hat.

So sehr, dass man sich ernsthaft die Frage stellen muss, welchen Zweck dieses Getänzel hat, oder ob die beteiligten Journos womöglich wirklich nicht wissen, dass es sehr wohl eine geheime Wahl gibt, formell.

Das ist nämlich Sache. Die Stiftungsräte, vormals Kuratoren, treffen ihre Wahl einzeln in einer Wahlzelle und werfen den Stimmzettel danach in eine Urne. Lediglich die Auszählung der Stimmen erfolgt seit 2001 öffentlich.

Das ist ganz klar eine geheime Wahl und es besteht dabei keine Möglichkeit nachzuvollziehen, wer wie gewählt hat. Das gilt für die 26 Freunde aus den Kreisen genauso wie für die 9 Nicht-Freunde.

Ohne Macheloikes, genauer gesagt.

Ohne Macheloikes kann nachher kein Parteiheini behaupten, dass dieser oder jene z.B. mit einem Geschenk bestochen und zu einer Stimmabgabe für den Konkurrenzkandidaten bewegt worden sei.

Nun ist die Wahrscheinlichkeit, dass – wie sagen wir’s? – gewisse Vorkehrungen getroffen werden, ziemlich hoch.

Derlei wäre wahrhaftig nicht schwer.

Immerhin geht es nur um 35 Stimmen und nicht um Tausende, wie in jedem Sprengel z.B. einer Nationalratswahl. Da sollte es ein Leichtes sein, die Stimmzettel diskret so zu markieren, dass nachvollziehbar ist, wer wie abgestimmt hat.

Man darf also davon ausgehen, dass man wenigstens im ORF, in der Löwelstraße und der Lichtenfelsgasse über das Stimmverhalten Bescheid weiß.

Das Problem besteht “nur” darin, dass dieses Wissen nicht offen verwendet werden darf, weil es ohne Macheloikes gar nicht zustandegekommen sein kann.

Hier drängt sich die Frage auf, welchen Zweck es haben könnte, formell geheime Wahlen in der Öffentlichkeit als nicht-geheime Wahlen darzustellen.

Vielleicht hat all das eine einfache Erklärung – wie dass eine Agentur Mist verzapft und alle anderen es abgeschrieben haben. Oder dass die Journos sagen, dass faktisch keine geheime Wahl besteht, dass sie aber die richtigen Gründe dafür nicht angeben wollen/können.

Es ist aber auch möglich, dass nach der Wahl mit dem(n) jeweiligen Verräter(n) abgerechnet werden muss und dass es dabei hilfreich ist, wenn eine oberflächlich informierte Öffentlichkeit zu wissen glaubt, dass es keine geheime Wahl gegeben hat.

Es darf jedenfalls spekuliert werden. Dass die Journos so dämlich sind, dass sie eine geheime Wahl nicht von einer öffentlichen Auszählung unterscheiden können, glaube ich, ehrlich gesagt, nicht.

Nachbemerkung, 10.8.2016, 3:45 Uhr: Auch dieser Blogger weiß nicht ganz sicher, wen die einzelnen Stiftungsräte des ORF gewählt haben und muss sich auf die Eigenaussagen der Wählenden verlassen.

Aber eines ist ziemlich klar: Mehrheitsbeschaffer war diesmal der ORF-Zentralbetriebsrat. Vier der fünf Belegshaftsvertreter haben für den SP-Kandidaten gestimmt, nur eine Betriebsrätin scheint sich enthalten zu haben.

Das hat seine Logik und diese Logik heißt ORF-Gesetz. Dieses erlaubt - im Gegensatz zum sonst geltenden Gesellschaftsrecht -, dass die fünf Betriebsräte voll an der Kür ihres Chefs teilnehmen.

Die SPÖ hat damit noch nie ein größeres Problem gehabt (und nach Eigenaussage ist Wrabetz speziell gut im Finden von Mehrheiten  ;-)   ).

Die ÖVP-Mächtigen im und um den ORF haben dieses juristische Unikum dagegen immer kritisiert. Das hat jetzt den Ausschlag gegen Grasl gegeben, nicht irgendwelche Rachegelüste gegen Erwin den Großen. Bleibt nur noch, Alexander W. für die notwendige (?) Gebührenerhöhung viel Glück zu wünschen. Er wird es brauchen.

Bild: Wolfgang Blaschke, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Unabhängiger Journalist

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