Roger Stone und die Anti-Verschwörungstheoretiker

Unter Intellektuellen geistert ein Kampfbegriff herum, dessen Zweck darin besteht, abweichende Versionen über das Funktionieren unseres politischen Systems zu stigmatisieren. Er lautet “Verschwörungstheorie”. Zwei Bücher von Roger Stone, einem früheren amerikanischen Spindoktor, legen nahe, dass Verschwörungen gegen Recht und Verfassung nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellen. Wahrscheinlich auch bei uns.

Das Gros der Beobachter geht davon aus, dass die politischen Prozesse keineswegs durch nicht-öffentliche Verabredungen entstehen und in Gang gehalten werden, sondern dass diese organisch aus den sich ständig verändernden materiellen Grundlagen des Politischen hervorgehen.

Kritik an den Verschwörungstheoretikern ist unter Progressiven besonders beliebt und es bedarf nur wenig Spürsinn, hinter dem Topos einen vulgärmarxistischen Gedanken aufzuspüren: den Gedanken, dass – was immer die Akteure auf der Bühne anstellen mögen – , die Basis, die Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte, die erste Geige spielen und den großen Gang der Dinge diktieren.

In der Praxis geht es aber nicht um Geschichtsphilosophie, sondern darum, Leute aus dem Reich des Vernünftigen zu vertreiben, Leute mit einer, wie großartig gesagt wird, “verkrüppelten Epistemologie”, also einer Erkenntnistheorie, die gar nicht zur Erkenntnis fähig ist. Das ist akademisches Wortgeklingel für etwas, was früher “Irrlehre” genannt wurde oder eine “nicht offiziell anerkannte, ja denkunmögliche Erklärung”.

Es geht dabei üblicherweise auch nicht darum, Behauptungen oder Vermutungen konkret zu kritisieren sondern um einen rhetorischen Kunstgriff; um eine alte Propagandatechnik, die auf viele Namen hört: zum Beispiel “Dinge, die nicht zusammengehören, in einen Topf werfen” oder auch “Diffamierung durch Assoziation”.

Foucault würde vielleicht sagen, dass es darum geht, bestimmte Behauptungen aus unserem Diskurs auszugrenzen, also aus dem allgemein akzeptierten Sinnzusammenhang der jeweiligen Epoche. Die praktische Folge ist das Entstehen einer extremen politischen Gutgläubigkeit gerade unter “Geistesarbeitern” und eines Hangs zu offizösen Wahrheiten. Wahrheiten, die ihrerseits durch jene Theorien gedeckt werden, auf denen unser politisches System angeblich ruht (Demokratie, Gewaltenteilung, politische Verantwortung, good governance, Vierte Gewalt etc.).

Aus einer solchen Perspektive kann z.B. John F. Kennedy schon deswegen nicht Opfer eines Komplotts geworden sein, weil

  • eine offizielle Kommission festgestellt hat, dass das Attentat von einem Einzeläter begangen wurde und weil
  • die für das politische System zentralen Medien diese offizielle Wahrheit akzeptiert haben.

Gleiches gilt für 9/11. Das finale Argument besteht in beiden Fällen darin, dass die Verschwörungstheoretiker gar nicht recht haben dürfen, weil ansonsten fast alles, was wir in rebus politicis zu wissen glauben, in Zweifel gezogen werden muss.

Damit würde ein staatsbürgerlicher Minimalkonsens aufgekündigt. Wer glaubt, dass der amerikanische Machtapparat (oder Teile davon) in 9/11 verwickelt war, muss fast zwangsläufig akzeptieren, dass (andere) Teile dieses Apparats das Verbrechen gedeckt haben. Und dass auch die Meinung, dass die Medien den Mächtigen auf die Finger schauten, eine unhaltbare Legende darstellt. Das ist der eigentliche Grund, warum derlei Verschwörungstheorien potenziell so gefährlich sind.

Basis des Vorwurfs ist, wie gesagt, das Selbstbild, der schöne Schein unseres Systems. JFK kann unmöglich von innenpolitischen Konkurrenten oder Gruppierungen, deren Interessen bedroht waren, umgebracht worden sein, weil das zuerst bedeuten würde, dass der Wettbewerb um die Regierungsgewalt ganz anders stattfindet als das in unseren Lehrbüchern für den Staatskundeunterricht beschrieben ist. 9/11  kann kein “inside job”gewesen sein, weil das bedeuten würde, dass unsere Politiker völlig “anders ticken” als wir, die Zeitungleser, uns das vorstellen (können). MH-17 kann gar nicht auf Befehl aus Kiew abgeschossen worden sein, weil das aufzeigen würde, dass wir, die Guten, Verbündete haben, die 300 zivile Passagiere über die Klinge springen lassen, weil sie sich davon taktische Vorteile versprechen.

Amerikanische Verschwörungspraxis

Um derlei “Konspirationstheorien” auch nur ansatzweise in Erwägung zu ziehen, müssten wir unsere Vorstellungen über die Natur des Systems, in dem wir leben, grundsätzlich ändern. Das ist der Punkt, an dem Roger Stone ins Spiel kommt.

Wer ist Roger Stone ?

Stone ist ein langjähriger Washington insider, ein spin doctor und dirty trickster, jemand, der hinter allen republikanischen Frontmännern von Richard Nixon bis Baby Bush die Fäden gezogen hat. 2012 wechselte er zu den Libertären und 2013 uns 2014 publizierte er zwei bemerkenswerte Bücher. Eines über die Ermordung John F. Kennedys und ein zweites über Richard Nixon. Letzteres ist erst vor fünf Wochen erschienen.

Das Bild, das Stone über das amerikanische politische System von ca. 1960 bis 1975 entwirft, ist geeignet, eine solche Revision einzuleiten. Das von Stone entworfene Gemälde sieht – grob skizziert – so aus:

Im Wettbewerb um die Macht sind Wahlbetrug, Einbrüche bei Konkurrenten, die Täuschung der Öffentlichkeit, Erpressung und Bestechung, Abhöraktionen, Interventionen der Geheimdienste sowie die Morde gängige Praktiken. Ermordet wird ein Politiker dann, wenn er vollständig “aus dem Ruder läuft” und die interessen  gewaltbereiter Machtgruppen bedroht.

Das war bei JFK der Fall, der reich und unabhängig war. Jack K. persönlich scheint im herkömmlichen Sinn nicht bestechlich und nach dem Gehirnschlag seines Vaters auch nicht mehr erpressbar gewesen zu sein – nicht einmal durch seine amourösen Abenteuer. Freilich sei JFK 1960 von seinem Clan, vor allem Bruder Robert, mit “schmutzigen Methoden” an die Macht gebracht worden (Abhöraktionen, Diebstahl persönlicher Informationen, Stimmfälschungen). Das habe der unterlegene Gegner als Rechtfertigung für die eigenen illegalen Praktiken angessehen. Der Name des 1960 knapp unterlegenen Gegners war Richard Nixon.

Die zentrale politische Figur, die die Durchführung der Verschwörung gegen den jugendlichen Präsidenten erst ermöglichte und die später für ihre Vertuschung sorgte, ist für Stone Kennedys Stellvertreter und Nachfolger Lyndon Johnson. Dieser profitierte persönlich und politisch am stärksten von dem Attentat. Im Gegensatz zum Anspruch, den Stone mit dem Titel seines ersten Buchs erhebt, kann er eine strafrechtliche Schuld Johnsons aber nicht beweisen.

Verschiedene Indizien rund um den 22. November 1963 sowie das Bild, das er von der Feindschaft der beiden demokratischen Politiker zeichnet, sind jedoch eindeutig. Stone behauptet, dass der “Leibkiller” Johnsons, ein Mann namens Wallace, am Tatort gewesen und dass dies durch Fingerabdrücke beweisbar sei. Wegen der juristischen Ausgangslage sei die Untersuchung aber von der texanischen Polizei geführt worden, die von LBJ kontrolliert worden sei.

Stone meint, dass Johnson nur Tage später mit massiven Korruptionsanklagen eingedeckt worden wäre (von Robert Kennedy, der Justizminister war). Nach der Ermordung Jack Kennedys wurde LBJ aber automatisch Präsident und die Anklagen verschwanden.

Für Stone, der eigentlich dazu tendiert, Mischcharaktere zu zeichnen, ist LBJ ein Superschurke. Ein Psychopath, Erpresser, Korruptionist und Mörder. Seine Mitverschwörer in der JFK-Ermordnung seien die CIA und das amerikanische Militär gewesen.

Das zweite Buch ist eine Art Rehabilitierung Nixons. Nixon gilt auch heute noch als Inbegriff der politischen Skrupellosigkeit. Stone sagt heute über ihn, dass er im Vergleich zu Barack Obama den “Eindruck eines Pfadfinders” erwecke. Er argumentiert das auch (Bombardierungen ohne Autorisierung durch den Kongress, Einsatz der Steuerfahndung gegen politische Gegner).

Der Watergate-Einbruch sei ein politkrimineller Dutzendfall gewesen, über den sozusagen ein Vergrößerungsglas gehalten worden sei – während die Aktivitäten der Gegner nicht thematisiert worden seien. Eine Rebellion im Militär (Joint Chiefs of Staff) habe Nixon schließlich den Rest gegeben und zu seinem Impeachment geführt.

Wenn das Buch eine Ehrenrettung sein soll, ist es eine ambivalente. Denn Stone thematisiert auch Nixons Verbindungen zur Unterwelt und deutet an, dass tricky Dick das Komplott zur Ermordung Kennedys kannte und deckte. Der Tod Kennedys sei für den Republikaner der Ausgangspunkt für das “größte politische Comeback in der US-Geschichte” gewesen.

Stone behauptet, dass die CIA zweimal geplant habe, Nixon während dessen Präsidentschaft zu ermorden und dass der Geheimdienst die Watergate-Einbrecher unterwandert habe, um Material gegen Nixon in die Hand zu bekommen.

In gewisser Weise zeichnet Stone Nixon ähnlich wie Kennedy: Beide sind gerissene Akteure, die bereit sind, politisch-moralisch fragwürdig zu handeln. Aber beide legen sich mit den Hintergrundmächten der amerikanischen Republik an und sind für diese ab einem gwissen Punkt nicht mehr steuerbar. Beide werden von diesen schließlich auf unterschiedliche Weise “entsorgt”.

Nun muss man nicht jedes Wort Stones auf die Goldwaage legen. Der entscheidende Punkt ist, ob man dem Mann das große Bild abnimmt, das er vom politischen Prozess in den USA pinselt.

Ich tue es. Die Existenz des hier gezeichneten riesigen politischen Misthaufens ist glaubwürdig. Und es ist klar, dass seither vieles nur übler geworden ist. Stone schildert Politik im Weißen Haus und auf dem Kapitol als permanente Verschwörung gegen Recht und Verfassung.

Der politische Prozess in Europa unterscheidet sich, ist zu befürchten, nicht grundsätzlich davon. Nicht in den Nationalstaaten und schon gar nicht auf europäischer Ebene.

Der Sicherheitsapparat und die Geheimdienste mögen eine weniger dominante Rolle spielen (in Österreich ist das sicher so). Die Politiker bewegen sich aber auch hierzulande nach der Melodie von drei, vier Interessensgruppen. Nach der Pfeife der Wahlbevölkerung tanzen sie nur in seltenen Ausnahmefällen.

Wenn das eine Verschwörungstheorie ist, müssen sich nicht wenige schuldig bekennen. Diese “Verschwörungstheorie”, behaupte ich, ist aber durch den Augenschein und durch Diagnosen aus dem nicht korrumpierten Teil des medialen und wissenschaftlichen Establishments gedeckt. Leuten, deren Lebensunterhalt davon abhängt, dass sie bestimmte Dinge nicht kapieren, wird dieses Verständnis auch weiterhin abgehen.

Literatur: Roger Stone, The Man Who Killed Kennedy: The Case Against LBJ, 2013

Roger Stone, Nixon’s Secrets: The Rise, Fall and Untold Truth about the President, Watergate, and the Pardon, 2014

PS: Das folgende Interview ist fast eine Stunde lang, aber sehr gut:

 

 

Unabhängiger Journalist

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