Eine Partei übergreifende Allianz verzögert im britischen Unterhaus das vom neuen Premier verhandelte “Scheidungsabkommen” mit der EU und bringt es damit wohl ganz zu Fall. Anti-Brexiteers glauben so einen weiteren Aufschub des UK-Austritts um drei Monate gesichert zu haben. Unter demokratischen Umständen unhaltbar ist jedenfalls das Nein zu Neuwahlen in einem Gesetz gebenden Organ, wo die Regierungspartei ihre Mehrheit verloren hat. Wie der ewige Gott sagen hier die Abgeordneten: “Du sollst kein anderes Parlament neben (statt) mir haben (auch kein neu gewähltes)!”
Die “Anti-Brexit-Partei” hat mit einem prozeduralen Trick (“Benn-Letwin”) eine inhaltliche Abstimmung über den von Boris Johnson “nachverhandelten” Austritts-Deal verhindert,
bei dem die “Gefahr” bestand (und weiter besteht), dass er angenommen wird.
Damit hat das House of Commons den Premier gezwungen, nur wenige Stunden vor dem Ablauf einer diesbezüglichen Deadline (19. Oktober 24.00 Uhr) einen Aufschub des Austritts um weitere drei Monate zu beantragen.
Sollte jedoch der Austritts-Deal BoJos nächste Woche angenommen werden, wäre dieses Ansuchen freilich gegenstandslos.
Deshalb sucht der scheidende Parlamentssprecher nach Möglichkeiten, eine von der Regierung beantragte weitere Abstimmung in der Sache nächste Woche zu verhindern.
Das, scheint man zu meinen, sei ausreichend um einen “default Brexit” mit 31. Oktober zu verhindern (“notfalls” könnte auch noch das Europäische Parlament die Ratifizierung ablehnen).
Auch scheinen sich die Anti-Brexiteers sicher zu sein, dass der Europäische Rat einem neuerlichen Aufschub nichts in den Weg legen wird.
Wie dieses “Match” zwischen Downing Street 10 samt Bundesgenossen und einer über den Ärmelkanal hinweg agierenden Remainer-Fraktion ausgeht, kann dieser Blogger nicht beurteilen, weil ihm die Kenntnis der politischen und verfassungsrechtlichen Feinheiten fehlt.
Eines freilich ist mittelfristig völlig unhaltbar – die Blockade von Neuwahlen, die wahrscheinlich zu einem Pro-Brexit-Unterhaus führen würden.
“Du sollst kein Parlament neben (statt) mir haben”
Für das aktuelle House of Commons gilt diesbezüglich das genaue Gegenteil: Nur etwa 100 der 600 Abgeordneten sind “harte Brexiteers”, der Rest ist entweder “offen EU-freundlich” oder agiert verkappt für ein Verbleiben in der Union
(ein “Coming Out als europhil” wäre in vielen Wahlkreisen politischer Selbstmord).
Nun hat Boris Johnson, für alle ersichtlich, die Mehrheit im Unterhaus verloren, was praktisch überall auf der Welt zu Neuwahlen und der (versuchten) Bildung einer neuen Regierung führen würde.
Das ist in demokratischen Systemen sozusagen “the same procedure as every year”.
Nicht so im United Kingdom, bisher jedenfalls.
Dort blockiert die Opposition die von der Regierng gewünschten Neuwahlen (zwei Drittel des Unterhauses müssten für einen Urnengang stimmen).
Das ist paradox – nicht zuletzt, weil die Opposition, speziell Labour, seit Jahren stereotyp nach Neuwahlen gerufen hat, bis vor kurzem.
Ein Neuwahl-Boykott wie der aktuelle ist angesichts der fehlenden parlamentarischen Regierungsmehrheit nicht lange durchzuhalten,
jedenfalls nicht im Rahmen eines demokratischen Systems und solange es Labour nicht gelingt, im aktuellen Unterhaus eine arbeitsfähige Regierungsmehrheit zustande zu bringen.
Daher wird in absehbarer Zeit neu gewählt werden müssen – ganz egal, “wie gut es sich anfühlt den BoJo-Tories eine weitere Abstimmungsniederlage beizubringen”.
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